Orban-kritisches Plakat bei der Budapest-Pride 2023.Ferenc ISZA / AFP

Ungarn

Verbotene Pride: Ein Auswuchs von Orbáns "Kulturkampf"

Heute, 08:38 · Lesedauer 5 min

Verbot, Strafen, Auflösung durch die Polizei: Ungarns Fidesz-Regierung unter Viktor Orbán feuert aus allen Rohren. Die Budapester Pride-Parade soll am Samstag dennoch stattfinden. Aber warum ist das heuer so ein Problem?

Wie in den meisten europäischen Großstädten, findet seit rund 30 Jahren auch in Ungarns Hauptstadt Budapest jährlich eine Pride-Parade statt. Heuer aber will man das in Ungarn offenbar nicht mehr. Zumindest, wenn es nach der autokratischen Fidesz-Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán geht. 

Bereits Ende Februar kündigte er in seiner Rede zur Lage der Nation an: "Ich rate den Organisatoren der Pride, sich nicht um die Vorbereitungen für die diesjährige Parade zu kümmern. Es wäre eine Verschwendung von Zeit und Geld." 

Rechtliche Unsicherheit

Für die Veranstalter:innen kam eine Absage allerdings nicht in Frage. Schon im April gingen Tausende - in grau gekleidet - auf die Straßen, um gegen das Verbot zu demonstrieren.

Protest in Grau in Budapest im AprilAttila KISBENEDEK / AFP

Protest in Grau gegen das Pride-Verbot.

Man ist sich einig: Die Pride am Samstag soll dennoch stattfinden. Die rechtliche Lage ist allerdings unsicher. Orbán drohte erst am Freitag mit Konsequenzen für die, die den Marsch organisieren oder daran teilnehmen. 

Orbáns Regierung griff tief in die Trickkiste: Im März stimmte das Parlament für eine Änderung der Verfassung. Seitdem dürfen Versammlungen das sogenannte "Kinderschutz-Gesetz" nicht verletzen, sonst drohen Bußgelder von bis zu 500 Euro.

Das klar LGBTIQ-feindliche Gesetz ist seit 2021 in Kraft und verbietet Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Informationen über nicht-heterosexuelle Lebensformen.

info Orbáns Kinderschutz-Gesetz

Seit 2021 gilt in Ungarn ein Kinderschutzgesetz, das Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Informationen über nicht-heterosexuelle Lebensformen verwehrt. 

Betroffen sind davon etwa Darstellungen in Büchern und Filmen. Begründet wird die Regelung damit, dass LGBTIQ-Lebensformen für Kinder "besorgniserregend" seien. 

Laut dem ungarischen Justizminister Bence Tuzson sei die rechtliche Lage "eindeutig". Es sei verboten, Versammlungen zu veranstalten, die "für die Abweichung von der Identität des Geburtsgeschlechts, Geschlechtsumwandlung oder Homosexualität werben oder diese darstellen". 

Er schlug sogar vor, die Pride auf einer Pferderennbahn stattfinden zu lassen, dort könne man schließlich verhindern, dass Kinder zusehen.

info Chronologie des Pride-Verbots
  • 22. Februar: Regierungschef Viktor Orbán kündigt das Pride-Verbot an in seiner "Lage der Nation"-Rede an.
  • 18. März: Das Parlament stimmt für eine Änderung des Versammlungsgesetztes und somit für ein Pride-Verbot.
  • 12. April: Rund 10.000 Menschen demonstrieren in Budapest gegen das Verbot.
  • 04. Juni: Justizminister Bence Tuzson schlägt die Budapester Pferderennbahn als Veranstaltungsort vor, weil dort der Zugang von Kindern verhindert werden könne. Der Budapester Oberbürgermeister Gergely Karacsony erteilt der Idee eine Absage.
  • 6. Juni: Das ungarische Pride-Festival mit mehreren Aktivitäten wird eröffnet. Premier Viktor Orbán verbietet wenige Stunden zuvor LGBTIQ-Symbole an Regierungsgebäuden.
  • 16. Juni: Budapests Bürgermeister will die Pride als "städtische Veranstaltung" ausrichten, um so keine offizielle Genehmigung zu benötigen.
  • 19. Juni: Die Polizei verbietet die Budapester Pride, ob sie das durfte, darüber wird gestritten. 

Der Budapester Bürgermeister Gergely Karácsony von der grün-liberalen Párbeszéd-Partei war es, der dem Justizminister erklären musste, dass es sich bei den Demonstrierenden nicht um Pferde handelt. 

Er will ein Schlupfloch gefunden haben: Vor rund zwei Wochen kündigte er an, die Pride als städtische Veranstaltung abhalten zu wollen. Die Polizei untersagte sie dann allerdings wieder. Ob sie das darf, darüber gehen die Rechtsansichten zwischen Stadt und Bund auseinander. 

Orbáns "Kulturkampf"

Aber warum ist die Pride Orbán überhaupt so ein Dorn im Auge? 

Melani Barlai, Politikwissenschaftlerin an der Andrássy Universität in Budapest, nennt dafür im Gespräch mit PULS 24 mehrere Gründe. Orbáns Kampf gegen die Pride füge sich in seinen "Kulturkampf" ein, den er führe, "um seine Macht zu sichern". 

Er spreche damit zu seinen Wähler:innen. Besonders beliebt sei die nationalkonservative Fidesz-Partei schließlich in den ärmeren, ländlicheren Regionen Ungarns, wo konservative Werte und Familienbilder vorherrschen würden.

Melani BarlaiMelani Barlai / Andrássy Universität

Melani Barlai

Was natürlich auch daher komme, dass Fidesz seit 15 Jahren das gesellschaftspolitische Narrativ beherrsche und die wichtigsten Medien unter ihre Kontrolle gebracht habe. 

"Orbán produziert gezielt entlang von Werten Gegensätze in der Gesellschaft", sagt Barlai. Eine Strategie, die man auch bei Donald Trump, Herbert Kickl oder bei der PiS-Partei in Polen sehe. 

Die Rechtspolitiker sprechen von "unvereinbaren Lebenswelten" und stellen dem liberalen Pluralismus konservative Homogenität und einen illiberalen Staat gegenüber. 

Dass am Samstag mit Polizeigewalt oder massiven Festnahmen zu rechnen sei, glaubt Barlai aber nicht. Orbán habe mit dem Getöse vorab sein Ziel, seine Wähler:innen anzusprechen, schon erreicht. 

Opposition so stark wie lange nicht

Allerdings müsse man das Vorgehen von Fidesz gegen die Pride auch im Kontext der anstehenden Parlamentswahl im Jahr 2026 zu sehen, so die Politikwissenschaftlerin. Auch in den ländlichen Gebieten seien die eingefrorenen EU-Gelder mittlerweile zu spüren. 

Die Opposition stehe so gut da, wie seit 15 Jahren nicht mehr, Fidesz könnte die Zweidrittelmehrheit verlieren. Sie rechnet daher vor allem ab Herbst mit weiteren Freiheitseinschränkungen und Verfassungsänderungen, mit welchen sich Fidesz "durch die Hintertür" die Macht sichern wolle. 

Auf der Webseite der Pride-Veranstalter:innen finden sich jedenfalls Hinweise, was im Falle einer Geldstrafe zu tun ist und wo es Unterstützung gibt. Man will sich nicht einschüchtern lassen. 

Gefahr durch Rechtsextreme

Laut Barlai gehe am Samstag allerdings eher eine Gefahr von Rechtsextremen aus, die sich auch angekündigt haben. Solche Gruppierungen würden von der Regierung "geduldet" werden, ihre Versammlungen wurden nicht untersagt. Durch die scharfen Töne der Regierung fühlen sie sich bei Angriffen auf LGBTIQ-Personen bestärkt. 

Unterstützung bekommen die Demonstranti:innen am Samstag hingegen von zahlreiche europäische Spitzenpolitiker:innen, die teils auch nach Budapest reisen werden. Aus Österreich kommen auch Nationalratsabgeordnete von SPÖ, NEOS und Grünen. 

Orbán fügte an seine Drohungen am Freitag hinzu, die Polizei könne eine verbotene Veranstaltung zwar auflösen, Ungarn sei jedoch ein zivilisiertes Land, und die Aufgabe der Polizei sei es, die Menschen zu überzeugen, das Gesetz zu befolgen.

Zusammenfassung
  • Die ungarische Regierung unter Viktor Orbán will die Budapester Pride-Parade am Samstag verbieten und droht mit Bußgeldern von bis zu 500 Euro für Organisator:innen und Teilnehmer:innen.
  • Seit März dürfen Versammlungen laut Verfassungsänderung das Kinderschutz-Gesetz nicht verletzen, das seit 2021 Kindern und Jugendlichen Informationen über nicht-heterosexuelle Lebensformen verbietet.
  • Die rechtliche Lage ist umstritten, nachdem die Polizei die von Bürgermeister Karácsony als städtische Veranstaltung geplante Pride untersagt hat.
  • Politikwissenschaftlerin Melani Barlai sieht Orbáns Vorgehen als Teil eines Kulturkampfs, um konservative Wähler:innen zu mobilisieren und gesellschaftliche Gegensätze zu schüren.
  • Die Opposition ist so stark wie seit 15 Jahren nicht mehr, weshalb ab Herbst weitere Freiheitseinschränkungen und Verfassungsänderungen erwartet werden.
  • Dass am Samstag mit Polizeigewalt oder massiven Festnahmen zu rechnen sei, glaubt Barlai aber nicht. Orbán habe mit dem Getöse vorab sein Ziel, seine Wähler:innen anzusprechen, schon erreicht.