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Türkei-Wahl: Erdoğan muss sich wohl Stichwahl stellen

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Der Wahl-Krimi in der Türkei geht weiter. Eine Entscheidung wird wohl in einer Stichwahl fallen. Es ist ein äußerst knappes Rennen. Beide Parteien sehen sich in Führung. Erste Manipulationsvorwürfe wurden laut.

Bei der Präsidentschafts- und Parlamentswahl in der Türkei ist ein Streit schon um Teilergebnisse ausgebrochen. Mehrere Stunden nach Schließung der Wahllokale sahen staatliche Medien den amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zunächst vorne, während die Opposition mit ihrem Spitzenkandidaten Kemal Kılıçdaroğlu die Führung für sich reklamierte. Vorläufigen Zahlen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge schrumpfte Erdoğans Vorsprung im Laufe des Abends aber. Zuletzt rutschte er sogar unter 50 Prozent.

Unterschiedliche Zahlen und Manipulationsvorwürfe

Anadolu meldete mittlerweile einen Stimmenanteil von knapp 49,4 Prozent für Erdoğan, vor Kılıçdaroğlu mit 44,96  Prozent. So lautet das Ergebnis nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen. Somit muss sich Erdoğan nach 20 Jahren an der Macht erstmals einer Stichwahl stellen. Anfangs hatte Erdoğan der Agentur zufolge nach 25,7 Prozent der ausgezählten Stimmen noch bei 54,3 Prozent gelegen.

Neuer Präsident wird, wer im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommt. Schafft dies keiner der Kandidaten, treten die zwei Erstplatzierten in zwei Wochen in einer Stichwahl gegeneinander an.

Fix ist momentan nur: Es ist alles andere als eindeutig. Beide Parteien sehen sich in Führung. 

Ekrem İmamoğlu, Bürgermeister von Istanbul und Parteifreund Kılıçdaroğlus, rief in der Parteizentrale der CHP dazu auf, die Zahlen von Anadolu zu ignorieren. "Wir glauben Anadolu nicht", sagte er. Die Nachrichtenagentur habe "jegliche Seriosität verloren". Die Zahlen von CHP-Wahlbeobachtern zeichneten "ein positives Bild", betonte ein Parteisprecher. Die CHP werde ihre Zahlen veröffentlichen, sobald eine "bedeutende Anzahl" der Wahlurnen geöffnet worden sei. Er warf Anadolu "Manipulation" vor. 

"Die Fiktion, die mit 60 Prozent angefangen hat, ist mittlerweile auf unter 50 Prozent gesunken", schrieb Kılıçdaroğlu selbst auf Twitter. Er wie auch Erdoğan rief die Wahlbeobachter auf, die Auszählung bis zum Ende zu beaufsichtigen. "Wir werden heute Nacht nicht schlafen", schrieb Kılıçdaroğlu. Davor hatte er erklärt, er liege vorn.

Günay: Agentur ist unzuverlässig

Der Politologe und Türkei-Experte Cengiz Günay hat in Hinblick auf die Berichterstattung über die Wahlen in der Türkei der offiziellen Nachrichtenagentur des Landes, der Anadolu Ajansi, bescheinigt, sich als unzuverlässig erwiesen zu haben. "Sie beginnen immer mit Erdogan-Stimmen in Pro-Erdogan-Wahlkreisen. Somit deuten erste Ergebnisse immer auf einen Sieg der Regierung hin", twitterte der Direktor des Österreichischen Instituts für internationale Politik (oiip). "Die Idee besteht darin, die Teilnehmer zu demoralisieren und die Nachrichten in internationalen Medien zu prägen". 

AKP wirft Opposition "diktatorische Haltung" vor

Die türkische Regierung warf der Opposition indes eine "diktatorische Haltung" während der Stimmauszählung vor. Frühzeitig ein Ergebnis bekannt zu geben ist "politischer Raub", sagte der Sprecher der regierenden AKP, Ömer Çelik, am Sonntagabend. Erdoğan selbst legt wenig später nach: Er bezeichnete die Oppositionsäußerung während der laufenden Auszählung der Wählerstimmen als "Raub des nationalen Willens". 

Zahlen des oppositionsnahen Nachrichtenportals Anka zufolge lagen Erdoğan und Kılıçdaroğlu nach Teilauszählungen fast gleichauf - und beide unterhalb von 50 Prozent. Kandidaten anderer Parteien kamen Anka wie Anadolu zufolge auf insgesamt etwa fünf Prozent der Stimmen.

Erdoğan ist bei den Wahlen das erste Mal seit 20 Jahren nicht der Favorit. Umfragen deuten auf ein enges Rennen zwischen ihm und Kılıçdaroğlu hin. Der Oppositionsführer hatte die Nase meist sogar leicht vorne. 

Beobachtern zufolge war die Wahlbeteiligung bemerkenswert hoch, die offizielle Zahl wurde jedoch noch nicht veröffentlicht. Bei der letzten landesweiten Wahl 2018 hatte der 69-jährige Erdoğan mit 52,5 Prozent der Stimmen in der ersten Runde gewonnen, die Wahlbeteiligung lag bei über 86 Prozent.

Hohe Inflation

Erdoğans Popularität hat zuletzt gelitten, unter anderem wegen der hohen Inflation, die die Lebenshaltung für viele Türken drastisch verteuert. Kılıçdaroğlu hatte angekündigt, die Türkei wieder zu einer parlamentarischen Demokratie zu machen, die Befugnisse des Präsidenten zu beschneiden und die Unabhängigkeit der Justiz zu sichern. Zudem will er Friedenssicherung zum zentralen Bestandteil seiner Außenpolitik machen.

Wahlbehörde sieht keine Zwischenfälle

Nach Einschätzung der Wahlbehörde verlief der Wahltag ohne größere Zwischenfälle. Die prokurdische Oppositionspartei HDP bestätigte hingegen einen Medienbericht, wonach im südosttürkischen Mardin Wahlbeobachter der Schwesterpartei YSP angegriffen wurden. Die Abstimmung wird von internationalen Beobachtern der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und des Europarats verfolgt. 

ribbon Zusammenfassung
  • Der Wahl-Krimi in der Türkei geht weiter.
  • Eine Entscheidung wird wohl in einer Stichwahl fallen.
  • Es ist ein äußerst knappes Rennen.
  • Erste Manipulationsvorwürfe wurden laut.