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Prozess

Wien: 33-Jähriger soll Millionen für IS gesammelt haben

Heute, 11:11 · Lesedauer 4 min

Am kommenden Dienstag steht ein 33-jähriger Tschetschene in Wien vor Gericht. Er soll Mitglied der Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) sein. Seit 2018 habe er von Wien aus in ganz Europa mehrere Millionen Euro für IS-Kämpfer und -Anhänger in Syrien und im Irak gesammelt.

Auf 105 Seiten skizziert die Staatsanwaltschaft Wien in der Anklageschrift, die auch PULS 24 vorliegt, den Werdegang des Yusup M. Bis zu seiner Festnahme vergangenen Herbst war er in Wien-Floridsdorf gemeldet. 

Seitens der Anklagebehörde wird ihm eine "direkte Vernetzung mit Kernmitgliedern des IS" bescheinigt. Er befindet sich bereits seit Herbst in U-Haft in der JA Josefstadt.

Vorgeworfen werden Yusup M. die Verbrechen der terroristischen Vereinigung und der kriminellen Organisation. Demnach soll der Mann ab 2018 zunächst als Einzelperson Spenden zugunsten des IS gesammelt haben. Mit den lukrierten Beträgen habe er in den syrisch-kurdischen IS-Gefangenencamps al-Haul und Roj inhaftierte weibliche IS-Angehörige unterstützt.

Professioneller Terrorismus-Finanzierer

Ab dem Frühjahr 2022 soll Abu Ashab, wie Yusup M. genannt wurde, seine Tätigkeit als Terrorismus-Finanzierer professionalisiert und auf eine neue Ebene gehoben haben: Er schloss sich mit in Deutschland, Belgien und in der Türkei lebenden IS-Anhängern zu einer Gruppierung namens "Jamaat" zusammen. 

Deren Zweck bestand laut Anklage "einzig und allein darin, in Europa im Kollektiv Geldsammlungen zugunsten des IS zu betreiben und mit den eingenommenen Mitteln primär einerseits auf dem Dschihad befindliche IS-Kämpfer und andererseits in Syrien sowie Irak angehaltene bzw. inhaftierte IS-Angehörige finanziell zu unterstützen als auch freizukaufen".

Fast 74 Millionen Dollar gesammelt

Von "horrenden Summen", die zusammengetragen wurden, ist in der Anklageschrift die Rede. Die Gruppierung betrieb mehrere Telegram-Kanäle und Chat-Bots, wobei allein über einen Kanal laut Anklage bis zum Sommer 2024 "zu einem relevanten Teil für terroristische Zwecke" Spendengelder in Höhe von insgesamt circa 73,5 Mio. US-Dollar (62,77 Mio. Euro) in die Kassa gespült wurden.

Der Angeklagte habe "als Führungsperson" weitreichende Anordnungsbefugnisse gegenüber anderen "Jamaat"-Mitgliedern ausgeübt und alleinverantwortlich die Finanzverwaltung sowie die Gebarung der Gemeinschaftskasse betrieben. 

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Einem in Syrien ansässigen weiblichen IS-Mitglied - die Frau hatte eine zentrale Funktion inne - habe er Anweisungen hinsichtlich der Verwendung der bereitgestellten Gelder erteilt. 

Das von Yusup M. federführend getragene Terrorismus-Netzwerk habe "im gesamten Zeitraum des Bestehens jedenfalls im oberen zweistelligen Millionen-Euro-Bereich liegende Gelder gesammelt und diese für IS-Mitglieder bereitgestellt", wird in der Anklageschrift festgehalten.

Bildmaterial manipulativ zum Spenden-Generieren eingesetzt

Gesammelt wurde Länder übergreifend, wobei in den eingerichteten, mit einem eigenen Logo versehenen Spenden-Kanälen regelmäßig über das Ankommen der Gelder bei den Empfängern berichtet wurde. 

Bildmaterial aus den IS-Gefangenenlagern wurde dabei bewusst manipulativ verwendet, wie in der Anklageschrift dargelegt wird: "Besonders hinterhältig und perfide war jene Vorgehensweise, auf den veröffentlichten Fotos gezielt Kinder (ohne deren Mütter) einzusetzen, um diese möglichst Mitleid erregend darstellen zu können, die Motive der Gruppierung tunlichst humanitär erscheinen zu lassen und dementsprechend potenzielle Geldgeber gezielt zu täuschen und im Ergebnis eine höchstmögliche Anzahl an Spendern zu generieren."

Belastet wird Yusup M. vor allem von Chats, die von den Strafverfolgungsbehörden sichergestellt, ausgelesen und ausgewertet werden konnten. "Bruder, es werden lediglich Fotos von Kindern ohne Mütter gemacht, und zwar weil man Überschneidungen und Doppelspenden haben möchte. Ohne Zelte! Nur Fotos mit Kindern und Geld(scheine)!", erteilte er etwa konkrete Anweisungen zur Gestaltung von Fotos aus Lagern mit internierten IS-Anhängerinnen und deren Kindern.

Der 33-Jährige dürfte über Jahre hinweg enge Kontakte zu gleichgesinnten männlichen Landsleuten vorrangig tschetschenischer Abstammung gepflegt haben. 

"Diese Gesinnungsgenossen waren nicht nur über das gesamte österreichische Bundesgebiet verstreut, sondern darüber hinaus in mehreren europäischen Ländern als auch in der Türkei ansässig", betont die Staatsanwaltschaft die internationale Vernetzung der Gruppierung. 

Die führenden "Jamaat"-Mitglieder trafen sich nach Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden auch persönlich, etwa Mitte August 2022 in der Talsperre Pöhl im deutschen Bundesland Sachsen.

Video: Kampf gegen Online-Terror

Zusammenfassung
  • Ein 33-jähriger Tschetschene soll seit 2018 von Wien aus als Führungsperson einer europaweit agierenden IS-Finanzierungsgruppe namens "Jamaat" mehrere Millionen Euro für den IS gesammelt haben.
  • Über Telegram-Kanäle und Chat-Bots wurden laut Anklage bis Sommer 2024 insgesamt rund 73,5 Mio. US-Dollar (62,77 Mio. Euro) für terroristische Zwecke eingeworben, wobei gezielt manipulatives Bildmaterial mit Kindern zur Spendenakquise eingesetzt wurde.
  • Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und einer kriminellen Organisation vor und stützt sich dabei auf umfangreiche Chat-Auswertungen und internationale Vernetzung der Gruppe.