Debatte entfacht
Teilzeit: Zwischen (Minister-)Wunsch und Wirklichkeit
Mit seiner scharfen Kritik an Teilzeitbeschäftigten am Wochenende hat ÖVP-Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer eine breite Debatte ausgelöst.
Nachdem zuletzt in der ÖVP und von Arbeitgebervertretern Gedanken ventiliert wurden, Vollzeit steuerlich attraktiver zu gestalten, warnte am Mittwoch Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) vor einem Schlechtreden der Teilzeitarbeit. Diese habe viele Frauen in Beschäftigung gebracht und zu deren wirtschaftlichen Absicherung geführt.
Im PULS 24-Interview betonte Hattmannsdorfer am Mittwoch, dass er "volles Verständnis" für Betreuungspflichten - etwa für Kinder - habe.
Kein Verständnis habe er jedoch für die von ihm so benannte "Lifestyle-Teilzeit", also für Menschen, die in seinen Augen keinen Betreuungspflichten oder dergleichen nachgehen müssten und dennoch keine 40 Stunden in der Woche arbeiten möchten.
Was auf den ersten Blick nach mehr Wahlfreiheit aussieht, hat jedoch eine strukturelle Kehrseite: Immer mehr Stellen werden von Unternehmen selbst in Teilzeit ausgeschrieben.
Teilzeit-Option macht Jobinserat attraktiver
Laut dem "Ö1 Morgenjournal" sind allein beim Arbeitsmarktservice (AMS) derzeit rund 61.000 Jobinserate gemeldet. 65 Prozent davon sind Vollzeitjobs - ein Minus von 10 Prozent im Vergleich zu vor 10 Jahren.
Gleichzeitig steigt der Anteil an Inseraten, in denen wahlweise Vollzeit oder Teilzeit möglich ist. "Wenn wir das in Zahlen anschauen, 2014 waren es 26 Prozent, 2025 bereits 35 Prozent", erklärt AMS-Sprecher Gregor Bitschnau im "Ö1 Morgenjournal" am Donnerstag.
Der Trend zu flexibleren Arbeitszeiten sei seit 2022 besonders ausgeprägt. Grund dafür könnte die Corona-Pandemie und die wirtschaftliche Rezession sein.
Unternehmen schreiben Stellen zudem gezielt mit Teilzeit-Option aus, um attraktiver für Bewerber:innen zu sein. "Wenn eine Stelle in Teilzeit und Vollzeit ausgeschrieben ist, dann bemerken wir, dass diese rund 40 Prozent mehr Bewertungen generiert, auf deutlich höheres Interesse stößt", sagt Corina Staniek von Stepstone.
Branchen mit hohem Frauenanteil oft Teilzeit ausgeschrieben
Eine Analyse des Momentum Instituts auf Basis von AMS-Daten zeigt: In Branchen mit einem hohen Frauenanteil wird überdurchschnittlich oft ausschließlich Teilzeit ausgeschrieben.
Im Gesundheits- und Sozialwesen, wo 76 Prozent der Beschäftigten Frauen sind, betrifft das 30 Prozent der offenen Stellen. Ebenso hoch ist der Anteil im Erziehungs- und Bildungswesen.
Im Handel liegt der Anteil an Teilzeitstellen bei 26 Prozent, in der Kunst-, Sport- und Erholungsbranche bei 24 Prozent. Auch sonstige Dienstleistungen mit 10 Prozent sowie Gastronomie und Hotellerie mit 15 Prozent haben überdurchschnittlich viele reine Teilzeitangebote.
Laut Barbara Schuster, stellvertretende Chefökonomin am Momentum Institut, werde es umso schwieriger, eine Vollzeitarbeit zu bekommen, je mehr Stellen von Unternehmen ausschließlich mit Teilzeitkräften besetzt würden.
Im öffentlichen Sektor treffen ein hoher Frauenanteil und ein besonders niedriger Anteil an erzwungener Teilzeit zusammen: Nur sieben Prozent der Stellen in der öffentlichen Verwaltung sind ausschließlich in Teilzeit ausgeschrieben.
Gleichzeitig gibt es aber auch eine große Zahl an offenen Stellen mit Wahlmöglichkeit zwischen Teil- und Vollzeit. In überwiegend männlich dominierten Branchen ist der Anteil reiner Teilzeitjobs hingegen sehr gering.
Im Bereich Verkehr und Logistik liegt der Anteil bei sieben, in der Warenherstellung bei fünf und am Bau lediglich bei zwei Prozent.
Deshalb setzen Unternehmen auf Teilzeit
Das Momentum-Institut sieht bei Unternehmen einen ökonomischen Vorteil für das gezielte Setzen auf Teilzeit: geringere Kosten für Mehrarbeit.
Während Überstunden bei Vollzeitbeschäftigten mit einem 50-prozentigen Zuschlag vergütet werden müssen, liegt dieser bei Teilzeitkräften nur bei 25 Prozent. Unternehmen sparen damit auf Kosten der Beschäftigten.
Eine Anpassung der Zuschläge für Teilzeitkräfte auf das gleiche Niveau könnte laut Schuster einen Anreiz für mehr Vollzeitangebote schaffen.
Viele wären bereit mehr zu arbeiten, wenn es die Möglichkeit gäbe
Die Realität am Arbeitsmarkt ist komplizierter, als es die Kritik des Wirtschaftsministers Hattmannsdorfer an der Teilzeit-Arbeit vermuten lässt. Denn neben ökonomischen Zwängen und strukturellen Barrieren fehlt vielen schlicht die Chance auf mehr Stunden. Gerade im Handel oder in der Pflege würden viele gerne länger arbeiten - könnten es aber nicht.
Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) wären etwa 140.000 Teilzeitkräfte sofort bereit, im Schnitt elf Stunden pro Woche mehr zu arbeiten, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten.
Ein Ausbau der Kinderbetreuung, bessere Pflegeinfrastruktur, eine geringere Lohnlücke zwischen Frauen und Männern sowie höhere Gehälter in klassischen Frauenbranchen könnten laut Momentum die Erwerbsbeteiligung von Frauen erhöhen.
Steuerliche Entlastungen auf breiter Front seien dagegen wenig zielführend, da sie meist besserverdienenden Männern zugutekommen und dem Staat wertvolle Mittel entziehen würden.
Video: Hattmannsdorfer: "Mit Teilzeit halten wir den Wohlstand nicht“
Zusammenfassung
- Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) kritisierte in den vergangenen Tagen die zunehmende Teilzeitarbeit in Österreich.
- Immer mehr Stellen werden als Teilzeit ausgeschrieben, besonders in Branchen mit einem hohen Anteil an Frauen.
- Das erklärte Ziel der Politik ist es, Vollzeitarbeit wieder attraktiver zu machen, da die Entwicklung zur Teilzeit als systematisch bezeichnet wird.