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Pressestimmen zum Misstrauensvotum gegen Johnson

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Internationale Zeitungen schreiben über das gescheiterte Misstrauensvotum gegen den britischen Premier Boris Johnsons beim Misstrauensvotum seiner eigenen Partei.

"Sydney Morning Herald":

"Alles schien (für Boris Johnson) möglich. Aber jetzt, nach der Hälfte seiner fünfjährigen Amtszeit, hat sein Stündlein geschlagen. Er mag ein Vertrauensvotum überstanden haben, aber mit 41 Prozent seiner Abgeordneten gegen ihn hat er sein Amt wohl nur noch auf geborgte Zeit. (...) Tory-Abgeordnete sagen, ihm fehle es an Integrität, er habe ein lockeres Verhältnis zur Wahrheit und man könne ihm nicht trauen. Einige sagen, er sei nicht konservativ genug. Andere sagen, Teile seiner Politik seien zu konservativ. (...)

Dass Johnson überhaupt Premierminister wurde, zeugt von seinem unglaublichen Selbstvertrauen, gepaart mit einzigartigen Umständen. Hinzu kommt sein völliger Mangel an Scham. (...) Die Party ist vorbei, aber Boris Johnson lungert vorerst noch weiter herum. Es besteht aber kein Zweifel daran, dass bald die Zeit für ihn kommt, um zu gehen."

"The Times" (London):

"Boris Johnson hat die Vertrauensabstimmung zwar überstanden, aber das Ausmaß der Revolte gegen seine Führung deutet darauf hin, dass sich dies wahrscheinlich als Pyrrhussieg erweisen wird. (...)

Wenn Boris Johnson verhindern will, dass die Tories bei den nächsten Wahlen eine katastrophale Niederlage erleiden, muss er ein gewisses Maß an Bodenhaftung und Zielstrebigkeit an den Tag legen, das ihm bisher in seiner Amtszeit weitgehend gefehlt hat, selbst mit seinem inzwischen dritten Beraterteam.

Es besteht jedoch die Gefahr, dass seine Autorität so stark angekratzt ist, dass es für ihn immer schwieriger wird, etwas zu erreichen. Stattdessen wird die Versuchung groß sein, seine Position zu festigen, indem er neue Spaltungen herbeiführt, sei es durch die Entfachung von Kulturkämpfen im eigenen Land oder durch das Schüren neuer Konflikte mit der EU oder gar durch weitere Angriffe auf britische Institutionen. In einer Zeit, in der das Land vor noch nie dagewesenen Herausforderungen steht, wäre das ein Fehler. Die Öffentlichkeit würde einen solchen Mangel an Ernsthaftigkeit wohl kaum verzeihen."

"The Guardian":

"Boris Johnson hat die Vertrauensabstimmung zwar überstanden, aber nur 59 Prozent seiner Abgeordneten haben ihn unterstützt - weniger als beim Misstrauensvotum gegen Theresa May, die Johnson seinerzeit zu stürzen versuchte. Diese schwache Unterstützung muss die Rebellen ermutigen, weiter zu unterminieren. Sei es durch den Rücktritt von Ministern, durch strategische Revolten bei der Gesetzgebung oder durch die Abschaffung der Regel, die theoretisch ein weiteres solches Votum innerhalb eines Jahres verhindert. Es zeichnet sich eine miserable Zukunft ab, in der ihm Fesseln angelegt sind."

"The Telegraph" (London):

"Die Konservative Partei hat sich in die denkbar schlechteste Position gebracht, indem sie den Premierminister schwer verwundet hat, ohne ihn aus dem Amt zu entfernen. (...)

Johnsons Unterstützer sagen, die Partei und die Regierung könnten sich nun, da die Vertrauensfrage geklärt ist, 'von den Ablenkungen lösen'. Doch er selbst ist die Ablenkung, und solange er im Amt ist, wird er es auch bleiben - es sei denn, er kann die Partei hinter einer abgestimmten Strategie vereinen.

In seinem Appell an die Abgeordneten hat Johnson versprochen, die Steuern zu senken, obwohl die Ausgaben auf ein 70-Jahres-Hoch gestiegen sind. Das muss er nun einhalten. Die große Gefahr für die Tories besteht darin, dass sie den Premierminister so unterminieren, dass er nicht in der Lage ist, effektiv zu regieren. Er hat eine Galgenfrist gewonnen, aber wie lange wird sie andauern?"

"Neue Zürcher Zeitung":

"Angesichts der hohen Zahl von Rebellen ist es unwahrscheinlich, dass die Kritik am Premierminister nun dauerhaft verstummt. Etliche Abgeordnete realisierten in den letzten Tagen im Gespräch mit Wählern, dass die Party-Affäre an Johnson kleben bleibt und seine Integrität nachhaltig beschädigt hat. (...)

Bei zwei wichtigen Nachwahlen Ende Juni drohen Sitzverluste zugunsten von Labour im Norden Englands sowie der Liberaldemokraten im Süden. Ein doppeltes Fiasko dürfte die Unzufriedenheit in den Reihen der Tories zusätzlich erhöhen.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Autorität eines Premierministers oft auch nach einer abgewendeten Rebellion infrage gestellt bleibt. Theresa May gewann Ende 2018 ein Misstrauensvotum mit einer Mehrheit von 83 Stimmen und damit deutlicher als Johnson, musste dann aber im Mai 2019 zurücktreten."

"De Standaard" (Brüssel):

"Zwar hat Boris Johnson die Vertrauensabstimmung überlebt, doch eigentlich glaubt ihm niemand mehr. Wie kann er jemals wieder ein tatkräftiger Premierminister werden? Ist diese Katze mit neun politischen Leben nun bei ihrem letzten Kunststück angekommen? Es sieht immer mehr danach aus. Boris Johnson konnte Montagabend zwar genügend konservative Abgeordnete überzeugen (211 gegen 148), ihn nicht abzuwählen. Aber politisch gleicht er nun angeschossenem Wild. Welchen Nutzen hat er noch für seine Partei, wenn die Wähler ihm nicht mehr glauben? Der Mann, der die Konservativen 2019 zu einem Monster-Wahlsieg führte, scheint auf einem Abstellgleis gelandet zu sein."

"Dernières Nouvelles d’Alsace" (Straßburg):

"Seinen Sitz als Premierminister hat (Boris Johnson) zwar technisch gerettet, aber psychologisch und sogar politisch hat er ihn bereits verloren. Dieser knappe Sieg ist wahrscheinlich das Schlimmste, was Großbritannien und der Konservativen Partei passieren konnte.

(Das Misstrauensvotum) scheiterte, weil es zweifelsohne zu früh ausgelöst wurde. Es wäre besser gewesen, noch ein paar Wochen und die beiden Nachwahlen abzuwarten, die die Konservativen verlieren werden. (...) Aber es ist so knapp gescheitert, dass es schwer vorstellbar ist, wie die Regierung überhaupt in der Lage sein wird, zu regieren, geschweige denn die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen."

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  • Internationale Zeitungen schreiben über das gescheiterte Misstrauensvotum gegen den britischen Premier Boris Johnsons beim Misstrauensvotum seiner eigenen Partei.

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