Janik: Abschiebestopp wird kommen, man wird ihn nur nicht so nennen

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Erst vor wenigen Tagen plädierten die Niederlande und Deutschland noch gemeinsam mit Österreich und weiteren drei Ländern weiter nach Afghanistan abzuschieben. Nun setzen beide Länder diese Abschiebungen vorerst aus. Österreich will trotzdem daran festhalten. Das wird aber nicht lange so bleiben, analysiert Völkerrechtsexperte Ralph Janik.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ließ eine Abschiebung von Österreich nach Afghanistan aussetzen. Die EU-Botschafter in Afghanistan fordern eine Aussetzung, genauso wie zahlreiche NGOs. Die Regierung in Afghanistan bittet darum. Österreich will weiterhin Menschen dorthin bringen. Gemeinsam mit Deutschland, Dänemark, Belgien, Griechenland und den Niederlanden hat es die EU in einem Brief zu einer Fortsetzung der Abschiebungen nach Afghanistan gedrängt - trotz des Vormarsches der radikalislamischen Taliban.

Nun bröckelt die Einheit der sechs Länder bei diesem Thema. Am Mittwoch teilten Deutschland und die Niederlande mit, man würde die Abschiebungen aussetzen. Die Niederlande sprachen von einer Aussetzung von sechs Monaten, Deutschland setzt laut Innenministerium "zunächst" aus.

Österreich: Aussetzen steht nicht zur Diskussion

Österreich bleibt hingegen offenbar dabei. "Ein faktisches Aussetzen von Abschiebungen steht derzeit nicht zur Diskussion", betonte ein Sprecher des Innenministeriums am Mittwoch gegenüber der APA. Die Lage in Afghanistan werde gemeinsam mit dem Außenministerium laufend beobachtet und beurteilt. Österreich stehe bereit, Afghanistan im Rahmen konkreter Hilfsersuchen zu unterstützen, um seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen zu können. 

Janik: Abschiebestopp wird kommen

Völkerrechtsexperte Ralph Janik geht im PULS 24 Interview davon aus, dass es trotzdem zu einem Abschiebestopp kommen wird. Das Wort sei allerdings ein rotes Tuch, man werde es also nicht so nennen.

Lehrbuchbeispiel für Abschiebeverbot

Die Rechtslage zu Abschiebungen nach Afghanistan sei sehr klar. In Länder, in denen gefoltert wird, Abgeschobene unmenschlich oder erniedrigend behandelt werden könnten, dürfe nicht abgeschoben werden. "Afghanistan ist ein Lehrbuchbeispiel für ein solches Land" seitdem die Taliban vorrücken, erklärt der Experte. Dazu bräuchte man weder technische noch juristische Diskussionen führen, "das ist ziemlich eindeutig".

Janik habe den Eindruck, dass die Regierung "die Augen zumacht". Es sei schwierig sich das einzugestehen, weil man nach dem Fall Leonie, in dem Afghanen verdächtigt werden, sie getötet zu haben, versprach "auf Härte" zu setzen.  Zu sagen "wenn jemand hier eine Straftat begeht, muss er das Land verlassen", verkaufe sich zwar gut, gehe aber faktisch und rechtlich nicht. Der Fall löse Emotionen aus, man könne aber nicht auf die Gesamtsituation schließen.

"Abschiebungen funktionieren seit Jahren nicht"

"Das ist die scheinbar einfache Lösung, aber Abschiebungen funktionieren ja schon seit Jahren nicht so, wie man versucht zu suggerieren", rückt Janik die Aussagen der Regierung in ein anderes Licht. In Wirklichkeit würden nur relativ wenige abgeschoben. Es sei ein Versuch "mehr Rhetorik vorzuschieben als man den Worten Taten folgen lässt."

Kabul könnte in 90 Tagen fallen

Es gebe auch ein faktisches Problem. Wenn der Flughafen oder die Hauptstadt selbst umkämpft seien, könne man nicht abschieben. Laut aktuellen Berichten gehe man davon aus, dass es in 90 Tagen so weit sein sein könne, dass Kabul, die Hauptstadt, von den Taliban erobert wird. Die Taliban seien eine kampferprobte Gruppe, die wüssten, was sie tun. Die Regierung selbst hätte auch Schwachstellen, zum Beispiel Korruption. Laut Rotem Kreuz sei Afghanistan schon jetzt einer der umkämpftesten Orte der Welt.

Dass andere Länder Abschiebungen aussetzen, sei laut Lukas Gahleitner-Gertz, dem Sprecher der Asylkoordination,  längst überfällig und zeige, dass Länder auch zur Vernunft kommen können. Österreich klammere sich bei der Fortführung der Abschiebungen an einen Strohhalm, den es so nicht gebe.

Erst am Dienstag hatte das Innenministerium gegenüber PULS 24 auf die Frage nach für September geplante Abschiebungen geantwortet, dass "Charterrückführungen" seitens des BMI weder "im Vorfeld angekündigt, noch verifiziert oder falsifiziert" werden. Das würde jegliche Planungen für die zwangsweise Außerlandesbringung von Personen, die trotz einer rechtskräftig negativen Entscheidung und einer Ausreiseverpflichtung Österreich nicht freiwillig verlassen haben, unmöglich machen.

Kaltenbrunner: "Könnte mir vorstellen, dass Österreich den Abschiebestopp machen muss"

PULS 24 Chefredakteur Stefan Kaltenbrunner analysiert bei Anchorwoman Alina Marzi den temporären Abschiebestopp Deutschlands und der Niederlande nach Afghanistan und Österreichs Festhalten daran. 

Afghanistan hatte im Juli wegen der Sicherheitslage im Land um einen dreimonatigen Abschiebestopp gebeten und einem für vergangene Woche geplanten Abschiebeflug von München nach Afghanistan, an dessen Bord auch zwei aus Österreich abzuschiebende Afghanen hätten sein sollen, keine Landeerlaubnis erteilt. Zudem hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) - mit Verweis auf die Sicherheitslage in Afghanistan - mittels einstweiliger Verfügung die geplante Abschiebung eines abgelehnten Asylwerbers aus Österreich gestoppt.

ribbon Zusammenfassung
  • Erst vor wenigen Tagen plädierten Deutschland und die Niederlande gemeinsam mit Österreich und weiteren drei Ländern weiter nach Afghanistan abzuschieben.
  • Nun bröckelt die Einheit der sechs Länder bei diesem Thema. Am Mittwoch hieß es aus den Niederlanden und Deutschland, man würde die Abschiebungen vorerst aussetzen.
  • Österreich bleibt hingegen offenbar dabei. "Ein faktisches Aussetzen von Abschiebungen steht derzeit nicht zur Diskussion", betonte ein Sprecher des Innenministeriums am Mittwoch gegenüber der APA.
  • Völkerrechtsexperte Ralph Janik geht im PULS 24 Interview davon aus, dass es trotzdem zu einem Abschiebestopp kommen wird. Das Wort sei allerdings ein rotes Tuch, man werde es also nicht so nennen.
  • Die Rechtslage zu Abschiebungen nach Afghanistan sei sehr klar. Janik habe den Eindruck, dass die Regierung "die Augen zumacht".
  • Es gebe auch ein faktisches Problem. Wenn der Flughafen oder die Hauptstadt selbst umkämpft seien, könne man nicht abschieben.

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