APA/HARALD SCHNEIDER

Aufregung um Urteil

Nein, in Österreich gilt nicht die Scharia

Heute, 08:59 · Lesedauer 4 min

Mehrere Medien berichten, dass ein Gericht das islamische Recht, also die Scharia, erlaube bzw. anerkenne. In Wahrheit ist die Sache etwas differenzierter - ein Rechtsanwalt ordnet die juristische Lage im Gespräch mit PULS 24 ein.

Ein Gerichtsurteil sorgte in den vergangenen Tagen für jede Menge Aufregung. In einem Fall, bei dem das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen (47R65/25v) kürzlich die Entscheidung eines Schiedsgerichts bestätigt, das bei einer Vertragsstreitigkeit seine Entscheidung auf Basis der Scharia getroffen hatte.

Zwei Männer haben in Wien für vertragliche Streitigkeiten eine Vereinbarung getroffen, wie zunächst am Montag berichtet wurde. Darin hielten sie fest: "Das Schiedsgericht entscheidet anhand der islamischen Rechtsvorschriften (Ahlus-Sunnah wal-Jamaah) nach Billigkeit in der Sache nach bestem Wissen und Gewissen."

Es wurde also in diesem konkreten Fall vereinbart, dass der Vereinbarung die Scharia zugrunde liegt. 

"Die Scharia ist ja keine in die österreichische Rechtsordnung aufgenommene Regelung, somit nicht kodifiziert und wird nicht unmittelbar angewendet", erklärt der Wiener Anwalt Martin Kohlhofer im Interview gegenüber PULS 24. 

In Ländern wie Saudi-Arabien oder dem Iran ist das anders, dort beziehen sich niedergeschriebene Gesetze auf die Grundwerte der Scharia oder auf Teile davon.

In Österreich gibt es aber keine Gesetze, die sich auf die Scharia beziehen oder diese anwenden und daran ändert sich auch mit diesem Urteil nichts

Schiedsvereinbarung unter "bestimmten Voraussetzungen" 

Warum war die Entscheidung dann aber rechtsgültig? "Hierbei ging es um eine Schiedsvereinbarung, um einen Vertrag, der eine vermögensrechtliche Vereinbarung zwischen zwei Männern, beinhaltet. Es wurde vereinbart, für finanzielle Angelegenheiten ein privates Schiedsgericht anstatt eines staatlichen Gerichts einzusetzen", erklärt Kohlhofer.

Bei einer Schiedsvereinbarung herrscht freie Rechtswahl, das heißt, in diesem Fall können auch islamische Rechtsvorschriften zur Anwendung kommen, solange sie nicht österreichischem Recht widersprechen. "Die Parteien vereinbarten, dass das Schiedsgericht nach Billigkeit, besten Wissen und Gewissen zu entscheiden hat", so der Jurist.

Für das Gericht ist diese konkrete Schiedsvereinbarung zulässig. Zu prüfen war laut Kohlhofer, ob der betreffende Schiedsspruch als Ergebnis des Schiedsverfahrens mit den Grundwerten der nationalen Rechtsordnung, insbesondere den Grund- und Menschenrechten, vereinbar ist.

"Das Verfahren wurde unter Wahrung des Parteiengehörs geführt, ein Beweisverfahren abgehalten und nachvollziehbare und begründete Feststellungen getroffen. Da auch keine Anhaltspunkte für eine willkürliche Entscheidung bestanden, verstößt die Entscheidung nach Ansicht des Gerichts gegen keine Grundwerte der österreichischen Rechtsordnung", klärt Kohlhofer auf.

Österreichisches Recht kann nicht umgangen werden

In Österreich und der EU gelten verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrechte - etwa das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das Verbot der Diskriminierung, etc. 

Eine Entscheidung, die gegen diese Grundrechte verstoßen würde, wie etwa körperliche bzw. gesundheitliche Beeinträchtigungen in Form von Verletzungen oder Misshandlungen, wären laut Kohlhofer nicht denkbar.

Laut Kohlhofer greift in diesem Fall die "ordre public"-Klausel, welche besagt, dass Bestimmungen fremden Rechts nicht anzuwenden sind, wenn diese gegen die Grundwerte der österreichischen Rechtsordnung verstoßen würden. 

"Scharia in Österreich nicht unmittelbar anwendbar"

Die "Heute"-Zeitung titelte hingegen mit der Schlagzeile: "Die Scharia gilt in Österreich". Doch Aussagen wie diese sind irreführend. "Die Scharia ist in Österreich nicht unmittelbar anwendbar. Man muss es wirklich differenziert betrachten", betont Kohlhofer.

Die Freiheitlichen zeigten sich über den Schiedsspruch-Fall empört. FPÖ-Verfassungssprecher Michael Schilchegger verurteilte die Entscheidung des Handelsgerichts und betonte in einer Aussendung, dass es "Scharia-Urteile" in Österreich nicht geben darf.

Auch ÖVP-Generalsekretär Nico Marchetti kündigte am Dienstag an, dass die Bundesregierung werde "der Anwendung von Scharia-Regeln in Österreich dauerhaft einen Riegel vorschieben" werde.

Da das Urteil aber weder ein "Scharia-Urteil" ist noch die Scharia in die österreichische Rechtsordnung einführt, ist die Aufregung unbegründet.

Zusammenfassung
  • Mehrere Medien berichten, dass ein Gericht, das islamische Recht, also die Scharia erlaubt.
  • In Wahrheit ist die Sache etwas differenzierter - ein Rechtsanwalt ordnet die juristische Lage im Gespräch mit PULS 24 ein.