Datenschützer skeptisch
Videoüberwachung "massiver Angriff auf Grundrechte"
Zwanzig Plätze sind in Österreich aktuell videoüberwacht, vom Praterstern in Wien bis zum Jakominiplatz in Graz. Künftig sollen Dutzende weitere hinzukommen.
Bisher ist eine Videoüberwachung nämlich nur an öffentlichen Orten möglich, an denen es bereits gefährliche Angriffe gegeben hat.
Mit einem neuen Erlass können Plätze auch präventiv überwacht werden, sofern laut "einer sicherheitspolizeilichen Lageeinschätzung und einer Gefährdungsprognose Anhaltspunkte für zukünftige gefährliche Angriffe oder erkennbare kriminelle Strukturen gegeben sind".
Es sei ein lang gehegter Wunsch von Städten und Gemeinden, schilderte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). Datenschützer:innen sind allerdings skeptisch.
Datenschützer warnen vor Profiling
Für die Datenschutz-NGO epicenter.works stellen die Pläne für eine Ausweitung der Video-Überwachung einen "massiven Angriff auf die Grundrechte dar".
"Nach dem umstrittenen Beschluss des Bundestrojaners will das Innenministerium scheinbar sofort den nächsten Schritt gegen die Privatsphäre der Bevölkerung setzen", hieß es am Montag in einer Aussendung.
Die allermeisten Menschen auf überwachten öffentlichen Plätzen hätten sich nichts zu Schulden kommen lassen und würden trotzdem in ihrem Alltag überwacht.
Gerade in Zeiten von KI sei automatisierte Gesichtserkennung sehr einfach für Sicherheitsbehörden geworden. "Damit können im Innenministerium auf Knopfdruck Bewegungsprofile der Bevölkerung oder auch von Demonstrationen erstellt werden", so die Datenschützer:innen.
Dieses Problem sieht auch Georg Markus Kainz vom Datenschutzverein Quintessenz im Interview mit PULS 24. Das "ganz große Problem" bei der Videoüberwachung sei es, dass die gesammelten Daten potenziell ausgewertet und Profile der Bevölkerung erstellt werden könnten.
"Hier müssen wir einfach aufpassen, dass nicht aus einer Gelegenheit heraus plötzlich Datenmengen entstehen, die dann in der Zukunft irgendwann einmal gegen uns, gegen den Bürger, verwendet werden können", so Kainz. Wenn eine KI die Daten einmal zur Auswertung bekomme, sei es irrelevant, ob das Ausgangsmaterial binnen 48 Stunden gelöscht wird.
An diesen Orten gibt es bereits Videoüberwachung
- Wien: Praterstern, Karlsplatz, Reumannplatz/Favoritenstraße Keplerplatz/Favoritenstraße
- Innsbruck: Bahnhofsvorplatz, Bogenmeile, Rapoldipark, Sillpark
- Graz: Jakominiplatz
- Salzburg: Bahnhofsvorplatz und Rudolfskai
- Linz: Altstadt und Hinsenkampplatz
- Klagenfurt: Herrengasse, Pfarrplatz, Heiligengeistplatz
- Villach: Lederergasse
- Schwechat: Flughafen
- Außerdem an Plätzen in Ried im Innkreis, Wels, Steyr und Wiener Neustadt
"Ein solches Vorgehen in der Sommerpause des Nationalrats - ohne konkrete Begründung, ohne wissenschaftliche Evidenz, ohne vorherige Debatte und nur mittels eines einseitigen Erlasses des Innenministeriums - ist beispiellos überschießend", betont Datenschutzexperte Thomas Lohninger von epicenter.works. "Videoüberwachung im öffentlichen Raum braucht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung in jedem Einzelfall, statt eines Befehls des Innenministers zur Ausweitung."
Die NGO verweist auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zur Section Control, wonach eine durchgehende Überwachung des öffentlichen Raums sich negativ auf Grundrechte auswirken und verfassungswidrig sein könne. "Die Bestimmungen im Sicherheitspolizeigesetz zur Videoüberwachung lassen jede Sensibilität für Grundrechte vermissen", so epicenter.works.
Eine saubere Rechtsgrundlage für KI-gestützte Gesichtserkennung fehle ebenso wie ein zeitgemäßer Rechtsschutz. Die Datenschützer:innen forderten dringend eine Reform der Gesetze, nicht zuletzt wegen der "bereits überfälligen" Umsetzung des AI-Acts der EU.
Datenschützer: "Kameras haben keine verhindernde Wirkung"
Kainz zweifelt auch am Nutzen der Kameras: "Kameras haben keine verhindernden Wirkungen, sondern maximal lenkende Wirkungen." Drogenhändler wüssten genau "an welcher Stelle eine Kamera montiert ist. Und wenn sie eben nicht wollen, dass hier zugeschaut wird, dann gehen sie in die Nachbarhäuser oder in die Flure der Privathäuser. Was ja viel schlimmer ist."
Wie das Innenministerium auf Anfrage von PULS 24 erklärt, sei der Zweck der Kameras "hauptsächlich die Prävention, doch die ist freilich schwierig messbar". Nicht geschehende Straftaten könne man schließlich nicht erfassen. Es wurden jedoch laufend Analysen erstellt, die "mittel- und langfristige statistisch belegbare Aussagen zulassen" - etwa zur Kriminalität auf den Plätzen.
"Gibt es hier positive Signale, kann die Videoüberwachung natürlich auch wieder enden. Dies erfordert auch eine begleitende Evaluierung der sicherheitspolizeilichen Lageeinschätzung."
Video: Messenger-Überwachung beschlossen
Zusammenfassung
- Der Ausbau der Videoüberwachung in Österreich betrifft künftig Dutzende zusätzliche öffentliche Plätze, nachdem bisher nur 20 Standorte überwacht wurden.
- Mit einem neuen Erlass können nun auch Plätze präventiv überwacht werden, wenn eine sicherheitspolizeiliche Lageeinschätzung und Gefährdungsprognose dies nahelegen.
- Datenschützer wie epicenter.works kritisieren die Ausweitung als "massiven Angriff auf die Grundrechte" und warnen vor Profiling sowie der Erstellung von Bewegungsprofilen durch KI-gestützte Systeme.
- Die Wirkung der Kameras wird von Datenschützern stark bezweifelt, da sie laut Georg Markus Kainz keine verhindernde, sondern höchstens lenkende Wirkung haben.
- Das Innenministerium betont die präventive Funktion der Kameras und kündigt eine begleitende Evaluierung an, wobei die Überwachung bei positiven Entwicklungen auch wieder beendet werden kann.