Darfur im Sudan wird erneut zur Hölle
Flüchtlinge wie Mohamed, der seinen vollständigen Namen nicht nennen möchte, erlebten Schreckliches. "Ältere Menschen, die nicht schnell genug fliehen konnten, verbrannten lebendig in ihren Hütten. Kinder wurden aus Verstecken gezogen und umgebracht", berichtet Mohamed telefonisch aus Al-Fashir, der Hauptstadt von Nord-Darfur. Die RSF hätte ihre Opfer rassistisch beschimpft und beleidigt. Mitarbeiter einer Hilfsorganisation seien regelrecht hingerichtet worden.
Die Aussagen von Mohamed können nicht unabhängig geprüft werden, doch Beobachter und Hilfsorganisationen vor Ort bestätigen den gewaltsamen Tod der Mitarbeiter der Hilfsorganisation Relief International. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks UNICEF kamen mindestens 23 Kinder ums Leben. Laut Berichten gab es mindestens 129, womöglich mehrere Hundert Tote.
Seit zwei Jahren herrscht im Sudan ein Bürgerkrieg zwischen der Miliz RSF von Mohamed Hamdan Dagalo und den Regierungstruppen des sudanesischen De-Facto-Machthabers Abdel Fattah al-Burhan. Die Wurzeln der Gewalt in Darfur reichen noch weiter zurück, zum Konflikt arabischer Nomaden und afrikanischer Bauern um Ressourcen wie Wasser und Land.
Vor 20 Jahren überfielen arabische Reitermilizen, die später teils in der RSF aufgingen, die Dörfer der Massalit, Zaghawa oder Fur, afrikanischer Volksgruppen. Tausende Dörfer wurden zerstört, es kam zu massiver sexueller Gewalt und zu Massakern. Der damalige US-Außenminister Colin Powell sprach 2004 von einem Genozid in Darfur.
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) erließ 2010 einen internationalen Haftbefehl gegen den damaligen sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir wegen Menschenrechtsverbrechen in Darfur. Anders als heute erhielt Darfur internationale Aufmerksamkeit, Hollywood-Stars wie George Clooney, Angelina Jolie oder Mia Farrow appellierten öffentlichkeitswirksam: "Save Darfur".
Wiederholt sich die Geschichte?
Jetzt könnte sich das alles wiederholen. Aus West-Darfur gab es bereits im Sommer 2023 Berichte über Massaker an der Volksgruppe der dort lebenden Massalit. Menschenrechtsgruppen warfen der RSF seither wiederholt Folter, Gruppenvergewaltigungen und andere Verbrechen vor.
Seit dem Angriff auf Zamzam Mitte April vergeht kein Tag ohne Berichte über Dutzende Tote beim Beschuss von Al-Fashir und umliegender Ortschaften. Vor allem Al-Fashir, die letzte große Stadt unter Kontrolle der Armee und seit einem Jahr von der RSF belagert, ist strategisch wichtig. Sollte die RSF auch Al-Fashir erobern, kontrolliert sie ganz Darfur - und könnte ihre Pläne zur Bildung einer Parallelregierung dort umsetzen.
Diese Woche sprachen Beobachter davon, dass eine Entscheidung im Kampf um Al-Fashir bevorsteht. Ein Sprecher der Armee berichtete von einem massiven Angriff von vier Seiten auf die Stadt und stundenlangen Gefechten.
Hilfe wegen Kämpfen eingestellt
Viele, die nach dem Überfall auf Zamzam im rund zwölf Kilometer entfernten Al-Fashir Schutz gesucht haben - nach UN-Angaben etwa 150.000 Menschen - sitzen in der Falle. Sie sind für internationale Hilfsorganisationen unerreichbar. Auch mehrere Nachbarschaftsküchen haben mittlerweile die Arbeit wegen des Dauerbeschusses eingestellt.
IStGH-Chefankläger Karim Khan hat Ermittlungen aufgenommen. "Mein Büro ist eindeutig der Ansicht, dass in Darfur zweifellos internationale Verbrechen begangen werden", sagte er im Jänner vor dem UNO-Sicherheitsrat.
Auch UNO-Menschenrechtshochkommissar Volker Türk zeigte sich tief besorgt. Vergangene Woche sagte er, das Leid der Bevölkerung sei "kaum vorstellbar, noch schwerer zu begreifen und schlichtweg unmöglich zu akzeptieren". Nun berichtete er, dass in den vergangenen drei Wochen in der Region Nord-Darfur mindestens 542 Zivilisten getötet worden seien. Die Dunkelziffer sei wahrscheinlich wesentlich höher, so Türk.
Katastrophale Gesundheitsversorgung in Al-Fashir
Mohamed, der Überlebende des Angriffs auf Zamzam, hat in Al-Fashir Zuflucht gefunden - doch dort fühlt er sich nicht wirklich sicher. "Wenn sie es schaffen, Al-Fashir zu erobern, kommt es auch hier zu einem Massaker", ist er überzeugt. Wegen einer Schussverletzung kann er vorerst nicht weiter fliehen.
Doch in der Stadt, in der nach den Bombardierungen kein Krankenhaus mehr funktionsfähig ist, fehlt es an Medikamenten, es gibt keine Schmerzmittel. "Viele versuchen, mit traditioneller Kräutermedizin zu heilen", berichtet er. "Wunden werden mit Feuer ausgebrannt, damit sie sich nicht entzünden."
Gleichzeitig sind die Preise für Lebensmittel, aber auch für Benzin, explodiert. Nach UNO-Angaben kostet ein Liter Diesel in Nord-Darfur mittlerweile 56 Dollar.
Hunderttausende auf der Flucht
Etwa 300.000 Menschen flüchteten aus dem zerstörten Zamzam zu Fuß oder mit Eselskarren ins etwa 60 Kilometer entfernte Tawila, wo unter anderem Teams der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) arbeiten. "Fast jeder, mit dem wir gesprochen haben, hat mindestens einen Angehörigen verloren", berichtet Teamleiterin Marion Ramsten.
Verletzte und geschwächte Menschen mussten unterwegs zurückgelassen werden, starben auf den staubigen Pisten. Zahlreiche Ankömmlinge seien völlig dehydriert. Viele haben demnach buchstäblich alles außer ihrem Leben verloren, RSF-Kämpfer nahmen ihnen Bargeld und Mobiltelefone ab.
In Tawila finden die Geflüchteten Sicherheit - aber nicht viel mehr. "Die Menschen leben bei Temperaturen um 40 Grad unter freiem Himmel", so ein Helfer vor Ort. "Es gibt keine Unterkünfte, keine Toiletten oder Duschen. Zugang zu Lebensmitteln oder Wasser ist schwierig für die Vertriebenen." Und niemand weiß, ob die RSF nicht auch Tawila angreifen wird.
Zusammenfassung
- Die RSF-Miliz griff das Flüchtlingslager Zamzam in Nord-Darfur an, was zu Panik und zahlreichen Todesopfern führte.
- Mindestens 23 Kinder und insgesamt mindestens 129 Menschen kamen bei dem Angriff ums Leben, so UNICEF.
- Der Bürgerkrieg im Sudan zwischen der RSF und den Regierungstruppen dauert seit zwei Jahren an.
- In Al-Fashir, wohin 150.000 Menschen geflüchtet sind, herrscht eine katastrophale humanitäre Lage.
- Etwa 300.000 Menschen flohen aus Zamzam nach Tawila, wo sie unter extremen Bedingungen leben.