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"Voice Killer" in Wien: Eine Opfer-Oper

Heute, 08:05 · Lesedauer 4 min

Es ist nicht das luftig-leichte Stück, mit dem sich das Musiktheater an der Wien am Freitagabend in die premierentechnische Sommerpause verabschiedet hat. Noch dazu hat Miroslav Srnkas Oper "Voice Killer" angesichts des Amoklaufs von Graz auch ein in mehrfacher Hinsicht schwieriges Thema. Schließlich handelt es sich um das Psychogramm eines realen Serienmörders. Die Grazer Bluttat überschattete denn auch den Abend der letztlich bejubelten Uraufführung.

Die Premierenfeier wurde gestrichen. "Auch in Zeiten der Ohnmacht und Sprachlosigkeit, dürfen wir nicht verzagen", begründete zu Beginn Hausherr Stefan Herheim die Entscheidung, die Oper zu zeigen, bevor er zu einer Schweigeminute bat. Unter diesen traurigen Vorzeichen begann das Auftragswerk, das man an das Erfolgsduo aus Miroslav Srnka und seinem Librettisten Tom Holloway vergeben hatte. Die beiden hatten 2016 mit "South Pole" an der Bayerischen Staatsoper einen Sensationserfolg gelandet.

Am Beginn des neuen Werks steht nun ein Foto des historischen Soldaten Edward J. Leonski, sympathisch in die Kamera lachend. Just dieses eigentlich gewinnende Lachen wird von Srnka respektive vom US-Bassbariton Seth Carico in der Partie des Mörders infolge zum irren Ausdruck der psychischen Labilität verzerrt. Und lange ist dieses derangierte Lachen und Leonskis ebenso gemächliches wie unter großer Anspannung vonstattengehendes Zählen von 40 auf 0 der einzige Ton, der auf der Bühne erklingt.

Langes Schweigen

Die Figuren schweigen anfangs. Das Klangforum hätte auch 20 Minuten verspätet zur Premiere kommen können, und es wäre nicht aufgefallen. Spät setzt das Orchester ein - wenn man das überhaupt so nennen will. Es schleicht sich eher langsam, fast unmerklich ins Geschehen ein. Irgendwann sind die Klänge aus dem Graben da.

Auf der Bühne selbst geben Srnka und Holloway den Opfern eine Stimme - und zwar tatsächlich eine. Alle drei Partien sind mit Sopranistinnen besetzt, auch wenn Caroline Wettergreen, Holly Flack und Nadja Stefanoff durchaus unterschiedliche Timbres aufweisen. Die meisten der Figuren treibt Srnka in die extremen Höhen, hier dem Berufskollegen Thomas Adès nicht unähnlich. Das gilt streckenweise selbst für den Bassbariton Carico.

Das Klangforum macht dabei meist lediglich einen atmosphärischen Klangraum für die Singstimmen auf. Über weite Strecken ist "Voice Killer" mehr Soundinstallation als eine Partitur mit Vorwärtsdrang, auch wenn sich das leiernde Flirren in den entscheidenden Phasen Ligeti-artig zum Crescendo steigert.

Die Regie bringt die Dynamik

Die Dynamik in das Geschehen bringt die grundstimmige Regie von Cordula Däuper, die ihr Wien-Debüt gleichsam im True-Crime-Format der TV-Sender mit eingeblendeten Akten, Fotos der Beteiligten, Zeugenaussagen und Briefen der Opfer gestaltet. Mit ihrem Team gelingt eine äußerst ansprechende Tiefenwirkung zwischen als Projektionsfläche dienendem Gazevorhang und kleineren Räumen, die auf verschiedenen Ebenen aus dem Dunkel ebenso schnell auftauchen, wie sie verschwinden.

Darin erzählt man den realen Fall des Soldaten Edward J. Leonski nach, der 1942 als Teil der US-Schutztruppe in Australien drei Frauen ermordete, die er zuvor für sich singen ließ, was ihn mutmaßlich an die eigene Mutter erinnerte. Dieser Umstand offenbart die eigentlich paranoide Situation, dass eine Oper über den Gesang und dessen psychopathologische Wirkung auf einen Täter zum Teil daran scheitert, dass in der Oper immer gesungen wird und sich das eigentliche Sujet dadurch eben nicht abheben kann.

Fokus auf die Opfer gelingt bedingt

Srnka ist dabei sichtlich bemüht, den Fokus nicht nur auf den Mörder zu legen, sondern den Opfern ein Gesicht zu geben, deren Geschichte zu erzählen. Zugleich ist sich der 50-jährige Tscheche bewusst, dass dieses Ansinnen nur bedingt gelingen kann, was das Schlussbild selbst thematisiert. Zu faszinierend erscheint dem Menschen das Böse, der Blick in den Abgrund, zu arbiträr dabei im Vergleich die Leidtragenden. Den größten Applaus erhielt mithin am Ende wieder der Mörder.

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E - "Voice Killer" von Miroslav Srnka und Tom Holloway. Im Musiktheater an der Wien, Linke Wienzeile 6, 1060 Wien. Musikalische Leitung: Finnegan Downie Dear, Inszenierung: Cordula Däuper, Bühne: Friedrich Eggert, Kostüm: Sophie du Vinage. Mit: Private - Seth Carico, Gallo - Julian Hubbard, Ivy / McGuffie - Caroline Wettergreen, Pauline / Military Cop - Holly Flack, Gladys - Nadja Stefanoff, Provost / Pappa - Stephan Loges, Momma - Jacqueline Macaulay. Weitere Aufführungen am 16., 18., 20. und 23. Juni. www.theater-wien.at/de/spielplan/saison2024-25/1321/Voice-Killer)

Zusammenfassung
  • Die Oper "Voice Killer" von Miroslav Srnka und Tom Holloway feierte am Freitag im Musiktheater an der Wien Uraufführung und beleuchtet das Psychogramm des realen Serienmörders Edward J. Leonski, der 1942 in Australien drei Frauen tötete.
  • Die Premiere wurde vom Amoklauf in Graz überschattet, weshalb auf eine Premierenfeier verzichtet und eine Schweigeminute abgehalten wurde.
  • Musikalisch und szenisch setzt das Werk auf eine atmosphärische Soundinstallation und True-Crime-Elemente, wobei die Opfer von drei Sopranistinnen dargestellt werden und weitere Aufführungen am 16., 18., 20. und 23. Juni stattfinden.