Vervielfachter Blender "Felix Krull" in den Kammerspielen
Der Stoff rund um den Liftboy in einem Pariser Luxushotel, der durch seine Täuschungsmanöver schnell zum Liebling der Hautevolée wird und später als Doppelgänger des Marquis de Venosta eine Weltreise antritt, wurde bereits 1957 von Kurt Hoffmann verfilmt, in den 1980ern folgte eine TV-Serie, 2021 schuf Daniel Kehlmann das Drehbuch für Detlev Bucks Neuverfilmung. Auf den Theaterspielplänen findet sich die mit Dichtung und Wahrheit spielende Geschichte deutlich seltener. In Brabands zweistündiger Inszenierung, in der er die Titelfigur gleich in sechsfacher Ausführung auf die Bühne stellt, wurde deutlich, warum: Die vielen Figuren, die zahlreichen Wendungen widersetzen sich einer halbwegs kohärenten Darstellung, die Täuschungsmanöver verleiten allzu schnell zu Klamauk.
Bereits 2011 bediente sich Bastian Kraft in seiner "Krull"-Inszenierung am Münchner Volkstheater der aufgelegten Vervielfachung des Protagonisten und brachte den Roman als Drillingssatire auf die Bühne. In Wien sind es nun sechs Felix Krulls, die dem Publikum zunächst vor dem geschlossenen Vorhang in identischen Smokings ihre Aufwartung machen: Claudius von Stolzmann, Roman Schmelzer, Martin Niedermair und Markus Kofler hat Ausstatter Stephan Dietrich eine wasserstoffblonde Frisur verpasst, während Susa Meyer und Silvia Meisterle ihre natürliche Haarpracht zur Schau stellen und später auch in weibliche Rollen schlüpfen dürfen.
Zwischen Klamauk und Schlüpfrigkeit
In raschem Wechsel präsentieren sich alle sechs als der wahre Felix Krull, im Laufe des turbulenten Abends schält sich Stolzmann als der wahre Protagonist heraus, während sich das restliche Ensemble in Wegbegleiter wie Krulls Eltern, diverses Militär- und Hotelpersonal und die Proponenten der feinen Gesellschaft verwandelt. Doch auch hier setzt Braband auf Vervielfachung, dürfen Susa Meyer und Silvia Meisterle den diebischen Liftboy doch als Madame Houpflé gleich im Doppelpack verführen, was nicht zur einzigen schlüpfrigen Szene des Abends führt.
Die Problematik der zahlreichen Schauplätze hat Stephan Dietrich durch eine reduzierte, aber verborgene (Licht-)Effekte bereithaltende Bühne gelöst. Die abstrakten geometrischen Formen werden zu Betten, Tischen oder Aufzügen, im Hintergrund strahlt ein kreisrundes Loch bisweilen als (begehbare) Sonne. Immer schneller, immer turbulenter dreht sich das Rad der Geschichte dieses sein gesamtes Umfeld blendenden Hochstaplers, vor allem im zweiten Teil des Abends werden Szenen oft nur angerissen, bevor schon die nächste Station dieses unglaublichen Lebensweges wartet.
Die Blender sind überall
Wie bereitwillig sich Teile der Gesellschaft blenden lassen, ja sogar dann noch an der Fiktion festhalten, wenn diese bereits Risse bekommt, verdeutlicht dieser mit großer Spielfreude umgesetzte Abend allemal. Wer reale Beispiele sucht, wird im Programmheft fündig, wo vom Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi bis zur "Krypto-Queen" Ruja Ignatova, die mit ihrer wertlosen Währung "OneCoin" bei Investoren einen Schaden in Milliardenhöhe anrichtete, Blenderinnen und Blender aller Art vorgestellt werden. Da findet sich Felix Krull in guter Gesellschaft. Das Publikum feierte den schrillen Abend jedenfalls mit herzlichem Applaus. Eines ist gewiss: Der nächste Blender ist in Zeiten wie diesen nicht weit.
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Mann, Bühnenbearbeitung von Georg Schmiedleitner und Sophie Püschel. Regie: Folke Braband, Bühne und Kostüme: Stephan Dietrich. Mit Claudius von Stolzmann, Roman Schmelzer, Susa Meyer, Silvia Meisterle, Martin Niedermair und Markus Kofler. Weitere Termine in den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt: 16., 21. bis 23. und 28. Mai sowie 3., 4., 12., 16., 21. bis 23., 25., 26., 28. bis 30. Juni. www.josefstadt.org)
Zusammenfassung
- Zum 150. Geburtstag und 70. Todestag von Thomas Mann bringt das Theater in der Josefstadt 2025 den Roman 'Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull' als Bühnenstück auf die Bühne.
- Regisseur Folke Braband lässt sechs Schauspieler:innen die Hauptfigur Felix Krull verkörpern, wodurch die Vielschichtigkeit und das Verwirrspiel des Romans betont werden.
- Das Publikum feierte die schrille Inszenierung, die mit abstraktem Bühnenbild und Parallelen zu realen Hochstaplern wie Wolfgang Beltracchi und Ruja Ignatova arbeitet, mit herzlichem Applaus.