"Verlangen" in Innsbruck: Meditation über die "Purheit"
Denn der Arbeitsbegriff "Purheit", im Werk von Wentz gemeint als eine Form von Reinheit, die auch mit Schönheit und einer nicht näher definierten Form von Unschuld verschmolz, erwies sich für den Zugang zum Stoff als durchaus zweischneidiges Schwert. Einerseits verdrängte dieses häufig erwähnte Wort zwar - wohl gewollt - erfolgreich das "Verlangen", andererseits zerbröselte das Wort auch bei genauerer Betrachtung.
Die Geschichte rund um den Hof am Land, auf den die Brüder Simon und Peter und ihr Halbbruder Eben gleichermaßen Anspruch stellten, hatte nämlich weitestgehend einen anderen Fokus. Der Vater Ephraim, ganz und gar Patriarch und nach dem Tod seiner Frau mit der Suche nach einer deutlich jüngeren Frau erfolgreich, durfte nämlich als regelrechter Sklaventreiber gelten. Unter dessen cholerischer Vorherrschaft wurden die männlichen Protagonisten - seine Söhne - schließlich endgültig in Richtung ihres Sehnsuchtsortes USA vertrieben und deren Halbbruder Schritt für Schritt ins Verderben geführt.
Dazwischen standen die Frauenfiguren: Die ungebundene Mina - etwas schaumgebremst gespielt von Marie-Therese Futterknecht - und Agnes, die zweite Ehefrau des Hofbesitzers Ephraim, von Julia Posch gekonnt in deren Abgründigkeit und Widersprüchlichkeit verkörpert. Letztere entfachte schließlich auch den mehr als nur schwelenden Konflikt zwischen Ephraim und Eben und war letzten Endes auch eine Schlüsselfigur, um das Stück in Richtung äußerst blutrünstiges Unhappy-End zu treiben.
Unterstrichen wurde diese Geschichte, die in rund zwei Stunden zu Beginn fast zu gemächlich erzählt wurde und nur langsam, dafür dann aber gewaltig an Fahrt aufnahm, von gekonnt eingesetzten Musikfetzen und gezielt platzierten Sounds. Besonders erwähnenswert zudem: die stimmungsvollen Videoprojektionen von Amir Kaufmann, die das naturalistische und eher einfache Bühnenbild immer wieder verwandelten und zum Teil ins Traumwandlerische kippen ließen.
Über all diesen inhaltlichen und formellen Themen schwebte also der Begriff "Purheit". Ein Begriff, der im Stück zum Teil Frauen umgehängt oder auch Situationen zugeschrieben wurde. Klar war: Die "Purheit" stand im Kontrast zum harten Landleben, in der eine althergebrachte und unverrückbare Ordnung der Dinge vorherrschte. Sie war auch Kontrast zu einer gewissen Sprachlosigkeit im Stück, in dem Figuren an sich komplizierte Umstände oftmals mit "Ja, eh" kommentierten.
Die Entscheidung der Autorin diesen Begriff so zentral zu setzen, mag somit verständlich und tragfähig erscheinen. Sie dämpfte damit aber auch die Doppeldeutigkeit des Stoffes ab, ließ den Zuschauer stets diese "Purheit" in einem Meer aus Gemeinheiten und Gewalt suchen. Der Begriff lenkte gewissermaßen, gab eine konkrete Marschrichtung vor, nahm die Zuschauer fast schon an die Hand und gab diesen dezente Handlungsanleitungen.
Das Publikum jedenfalls quittierte diese Entscheidung und den dialektal eingefärbten Text selbst mit lauten Bravo-Rufen für Wentz. Ebenjene und heftigen Applaus durften sich im nicht restlos ausverkauften Großen Haus auch die Darsteller, allem voran "Agnes" Julia Posch und "Eben" Tommy Fischnaller-Wachtler sowie "Ephraim" Christoph Kail abholen.
(Von Markus Stegmayr/APA)
(S E R V I C E - "Verlangen" von Lisa Wentz frei nach "Desire Under The Elms" von Eugene O ́Neill. Regie: Cilli Drexel. Bühne: Vibeke Andersen. Kostüme: Janine Werthmann. Musik: Hannes Strobl. Video: Amir Kaufmann. Mit: Christoph Kail (Ephraim), Patrick Ljuboja (Simon), Florian Granzner (Peter), Tommy Fischnaller-Wachtler (Eben), Julia Posch (Agnes), Marie-Therese Futterknecht (Mina). Weitere Vorstellungen: 20., 25., 26. und 29. September, 4., 6., 12., 19. und 31. Oktober, 22. und 30. November, 13. Dezember. www.landestheater.at)
Zusammenfassung
- Das Theaterstück 'Verlangen' von Lisa Wentz feierte am Samstagabend im Tiroler Landestheater in Innsbruck Premiere und verlegte den Stoff von Eugene O'Neill nach Tirol.
- Der Begriff 'Purheit' stand im Zentrum des Stücks und wurde ambivalent als eine Form von Reinheit und Unschuld dargestellt.
- Das Publikum reagierte mit lauten Bravo-Rufen und heftigem Applaus, besonders für die Darsteller Julia Posch und Tommy Fischnaller-Wachtler.