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"Doppelte Standards"

ESC: Kritik an Publikumsvoting wegen Israel

Heute, 14:26 · Lesedauer 5 min

Die auffällig vielen Publikumspunkte für Israel beim Eurovision Song Contest sorgen für Diskussion. Mehrere Sender hätten sich wegen der Punktvergabe gemeldet, teilte die Europäische Rundfunkunion (EBU) in Genf mit. Auch im Netz wird die Fairness der Stimmabgabe infrage gestellt.

Israels Platz zwei beim diesjährigen Eurovision Song Contest kam für viele überraschend. Die ESC-Kandidatin Yuval Raphael erhielt von den Fachjurys der 37 teilnehmenden Länder 60 Punkte, beim Publikumsvoting räumte sie hingegen mit 297 Punkten ab.

Die große Diskrepanz zwischen Jury- und Zuschauervoting wirft seither Fragen auf. Eigentlich ist es nicht ungewöhnlich, dass Jurys und Publikum auseinander liegen. Doch nur selten fällt die Lücke so deutlich aus. 

ESC-Sieger JJ aus Österreich erhielt 258 Punkte von den Jurys und 178 Punkte vom Publikum. Bei Deutschland, das vom Wiener Duo Abor & Tynna vertreten wurde, waren es 74 Publikums- und 77 Jury-Punkte. 

Kompliziertes Punktesystem

Beim Publikumsvoting erhält der Song, der Erstplatzierte 12 Punkte, der Zweitplatzierte 10 Punkte. Ab Platz drei geht es mit 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2 und 1 Punkt weiter.

Auf dem offiziellen EBU-Kanal für den ESC war die israelische Sängerin vor dem Finale in den aufgezeichneten Halbfinal-Sendungen immer wieder in einem Werbefenster zu sehen, mit dem Aufruf, für sie zu stimmen. Kein anderes Land war in Werbefenstern vertreten, dort lief sonst nur Reklame.

Sogar am Times Square in New York gab es große Werbungen mit dem Aufruf, für Raphael abzustimmen. Der offizielle Social-Media-Account von Israel teilte den Aufruf.

https://x.com/Israel/status/1922707170073735374

Neben den Publikumsbewertungen aus den teilnehmenden Ländern gibt es nämlich auch eine Rubrik "Rest of the World", in der Menschen in allen Nicht-ESC-Nationen abstimmen konnten. "Rest of the World" zählte wie das Ergebnis eines Landes.

Unter anderem hatte die Nonprofit-Organisation Israeli American Council deshalb über Facebook um Stimmen für Raphael geworben. "Sie singt für uns alle", hieß es da.

Seit dem Ende des Wettbewerbs sind die Spots mit Raphael in den Aufzeichnungen nicht mehr zu sehen. Dazu sagt die EBU auf Anfrage, solche Werbung sei nach den ESC-Regeln nicht verboten.

Nur auf dem Papier unpolitisch

Auf dem Papier ist der ESC eine völlig unpolitische Veranstaltung, in der es nur um Spaß, Völkerverständigung und den besten Auftritt geht. In Wirklichkeit spielen Ressentiments, Sympathien und kulturelle Nähe beim Voting des Publikums erfahrungsgemäß aber eine offenkundig gewichtige Rolle.

https://x.com/superTV247/status/1923882226602725545

Ergebnisse sind korrekt und richtig

Zudem verweist die EBU auf die deutsche Firma Once, die seit Jahren das Televoting für den ESC koordiniert. Sie habe bestätigt, dass die Abstimmungsergebnisse aus allen Ländern korrekt angegeben worden seien.

Das Abstimmungsverfahren für den ESC sei "das fortschrittlichste der Welt", so ESC-Direktor Green. Alles werde geprüft und verifiziert, "um verdächtige oder unregelmäßige Abstimmungsmuster auszuschließen." Once habe die Gültigkeit bestätigt.

Terror-Überlebende als "Symbolfigur"

Raphael ist eine Überlebende des Massakers der islamistischen Hamas und weiterer Terrorgruppen vom 7. Oktober 2023. Wegen des Gazakriegs, den Israel nach den Anschlägen begonnen hat, gab es immer wieder Proteste gegen die Teilnahme Israels am ESC. Außerdem kritisieren viele, dass Israel Raphael zu Propagandazwecken nutzen könnte. 

Mehrere beteiligte Fernsehsender hatten die Stimmabgabe beim Event in Basel am Samstagabend infrage gestellt. Die spanische Anstalt RTVE kündigte einen Antrag auf Überprüfung des Televotings an: "Mehrere Länder werden ebenfalls denselben Antrag stellen, da sie der Ansicht sind, dass das Televoting durch die aktuellen militärischen Konflikte beeinflusst wurde und dies den kulturellen Charakter der Veranstaltung gefährden könnte."

"Doppelte Standards"

Ministerpräsident Pedro Sánchez forderte gar den Ausschluss Israels vom Wettbewerb. Als Begründung für seine Forderung nannte der Politiker das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen.

Die Offensive habe sogar in der Nacht des ESC-Finales mit weiteren Bombardierungen angedauert, betonte er. In Anspielung auf den Umgang mit Russland sagte der sozialistische Politiker: "Wir dürfen keine doppelten Standards in der Kultur zulassen."

Niemand habe sich empört, als Russland wegen der Invasion der Ukraine vom ESC ausgeschlossen wurde. "Dasselbe sollte auch für Israel gelten", sagte Sánchez. Die EBU begründet den unterschiedlichen Umgang unter anderem damit, dass es wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine internationale Sanktionen gegen Russland gibt, gegen Israel nicht.

Video: Nach ESC-Sieg: JJs Ankunft in Österreich

Belgien kritisiert mangelnde Fairness

Der belgische öffentlich-rechtliche Sender VRT stellte seine künftige ESC-Teilnahme infrage. Es lägen zwar keine Hinweise darauf vor, dass die Stimmenauszählung nicht korrekt durchgeführt wurde, so VRT. Aber die Frage sei, "ob das derzeitige Abstimmungssystem ein faires Abbild der Meinungen der Zuschauer und Zuhörer garantiert".

"Wir sind in stetigem Austausch mit allen teilnehmenden Sendern des Eurovision Song Contest und nehmen ihre Bedenken ernst", zitierte sie ESC-Direktor Martin Green.

"Jetzt, da die Veranstaltung vorbei ist, werden wir umfangreiche Diskussionen mit den teilnehmenden Sendern führen, über alle Aspekte des diesjährigen Wettbewerbs nachdenken und Feedback sammeln. Das wird in die Planungen des 70. ESC im kommenden Jahr einfließen", sagte Green weiter.

Zusammenfassung
  • Die auffällig viele Publikumspunkte für Israel beim Eurovision Song Contest sorgen für Diskussion.
  • Mehrere Sender hätten sich wegen der Punktvergabe gemeldet, teilte die Europäische Rundfunkunion (EBU) in Genf mit.
  • Auch im Netz wird die Fairness der Stimmabgabe infrage gestellt.