ImPulsTanz: Akram Khans feministischer Wüstensturm "Thikra"
Im bürgerlich-europäischen Ambiente des altehrwürdigen Theaterhauses am Wiener Ring lassen 14 Frauen mit langen, schwarzen, wallenden Haaren den südindischen Bharatanatyam und westliche zeitgenössische Tanzkunst zusammenkommen - beschwören die Geister und die Göttinnen des Theaters. Es ist die letzte Show der Kompanie nach ihrer Gründung vor 25 Jahren, aber es ist keineswegs das Ende von Akram Khan.
Das imposante Bühnenbild der saudischen Künstlerin Manal AlDowayan erinnert an eine Wüste, aus der ein in rotes Licht getauchter Felshügel hervorragt. Darunter versteckt sich eine Höhle, ein heiliger Raum. In der Finsternis liegt eine reglose weiße Gestalt am Boden und unmittelbar liegt eine dramatische Atmosphäre in der Luft. Vor dieser Kulisse werden sich Szenen entfalten, die von einer Art weiblicher Urkraft inspiriert wurden.
Der britische Choreograf mit Wurzeln in Bangladesch taucht diesmal tief in die vergrabenen rituellen Schichten der Wüstenlandschaft des Wadi AlFann in Al-ʿUla ein, dem UNESCO-Weltkulturerbe in Saudi-Arabien. "Thikra" bedeutet "Erinnerung" und ist - so will es Khan verstanden wissen - das einzige, was uns Menschen in einer zerrissenen Welt verbindet.
Die indischen klassischen Tanzkünste durchdringen all seine zeitgenössischen Stücke, auch "Thikra", für das er zum ersten Mal ausschließlich Frauen besetzt hat, die eine unglaubliche Kraft und Eleganz heraufbeschwören. Ihre Hände sind leicht und ihre Beinarbeit ist komplex. Ihr langes Haar wird zu einer eigenen Sprache: Geknotet und geschwungen, betont es die Bewegungen wie eine Verlängerung des Körpers.
Ohropax am Eingang
Die Erzählung ist zweitrangig, entsteht in Bruchstücken, und die meiste Zeit über ist man sich nicht sicher, was passiert. Eine zentrale matriarchale Figur erweckt eine leblose Frau zum Leben. Es gibt Momente des Wahnsinn und der Gewalt. Das unheilvolle Sounddesign von Gareth Fry ist so gewaltig, am Eingang wurden bei der Premiere in Montpellier Ohropax ausgeteilt, aber man sollte die Wucht der Trommeln, die man bis in den Brustkorb hinein spürt, schon erlebt haben. Fast über eine Stunde lang hält man die Luft an - am Ende dann ein tiefes Ausatmen.
(Von Marietta Steinhart/APA)
(S E R V I C E - "Thikra - Night of Remembering" im Burgtheater, Universitätsring 2, 1., Regie und Choreografie: Akram Khan, Visuelle Leitung, Kostüm und Szenografie: Manal AlDowayan, Narratives Konzept: Manal AlDowayan und Akram Khan, Musikkomposition und Klanglandschaften: Aditya Prakash, Sounddesign: Gareth Fry, Lichtdesign: Zeynep Kepekli, Kreative Mitarbeit und Coaching: Mavin Khoo, Dramaturgie: Blue Pieta, Probenleitung: Charlotte Pook, Angela Towler und Chris Tudor, Tänzerinnen: Pallavi Anand, Ching-Ying Chien, Kavya Ganesh, Nikita Goile, Samantha Hines, Jyotsna Jagannathan, Mythili Prakash, Azusa Seyama Prioville, Divya Ravi, Aishwarya Raut, Mei Fei Soo, Harshini Sukumaran, Shreema Upadhyaya, Jin Young Won, Kimberly Yap, Hsin-Hsuan Yu; www.impulstanz.com)
Zusammenfassung
- Akram Khans "Thikra: Night of Remembering" mit 14 Tänzerinnen feiert am Dienstag seine Österreichpremiere beim ImPulsTanz Festival im Burgtheater.
- Das Stück verbindet südindischen Bharatanatyam mit westlicher zeitgenössischer Tanzkunst und setzt auf eine rein weibliche Besetzung, die mit kraftvollen Bewegungen und dem Einsatz ihrer Haare beeindruckt.
- Das Bühnenbild erinnert an eine Wüstenlandschaft, das Sounddesign ist so intensiv, dass bei der Premiere in Montpellier Ohropax verteilt wurden, und die Aufführung dauert fast eine Stunde.