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Festwochen-"Kongresse" starteten mit polemischen Reden

31. Mai 2025 · Lesedauer 4 min

Nach den "Wiener Prozessen" im vergangenen Jahr setzt Festwochen-Chef Milo Rau sein Diskurstheater mit zwei wochenendfüllenden "Wiener Kongressen" in etwas lockererer Form fort. Zum Auftakt des ersten Teils, der sich mit Kulturkriegen und "Cancel Culture" beschäftigt, prallten am Freitagabend im Theater Akzent nach einer Vorschau unversöhnliche Positionen der feministischen Autorin Mateja Meded und des rechten Journalisten Ulf Poschardt aufeinander und sorgten für Emotionen.

Das Feld der argumentativen und moralischen Debatte sei zu einem Feld des Krieges geworden, in dem Andersdenkende oder sogar nur Vermittelnde zu Feindinnen gestempelt würden, klagte Rau in seiner einführenden Rede. Der "Kulturkampf" sei ein Vorläufer des Bürgerkriegs und schließlich der Autokratie, könnte aber ein notwendiger dialektischer Streit sein, der zu einer schmerzlichen gemeinschaftlichen Lösung führe. "Lasst uns daran in den nächsten Tagen arbeiten, mit aller Härte und aller Klarheit, aber auch mit Großzügigkeit und Neugierde", plädierte der Regisseur auf einer minimalistischen Bühne mit einem Rednerpult, Tischen, Fantasiefahnen sowie einer Dolmetschkabine.

Brisante Fragen zu Gaza und "Genozid"

Nach einer kurzen Einführung der deutsch-amerikanischen Kulturwissenschafterin Elisabeth Bronfen zur Geschichte des Cancelns erläuterten die Strafverteidigerin Alexia Stuefer und die Anglistin Sandra Pelzmann als Moderatorinnen das Prozedere von drei Sitzungen des "Kongresses", die sich am Samstag und Sonntag mit dem Krieg in Gaza, Diskussionen um die deutsche Politikwissenschafterin Ulrike Guérot sowie mit Kunstfreiheit in östlichen Nachbarländern Österreichs beschäftigen werden. Am Sonntagnachmittag soll eine Jury der von Rau 2024 ausgerufenen "Freien Republik Wien" dann brisante Fragen zu den drei Fällen beantworten. Unter anderem soll geklärt werden, ob die Verwendung der Begriffe "Genozid" und "versuchter Genozid" für das Vorgehen von Israels Streitkräften zulässig oder propagandistisch und antisemitisch sei.

Einen ersten Einblick in zu erwartende Polemiken lieferten am Freitagabend die Auftritte von deutschen Gästen, die Klischees von linken und rechten Aktivistinnen und Aktivisten nahezu ideal erfüllten. Die Autorin und Schauspielerin Mateja Meded betrat bloßfüßig die Bühne und verlas in rasender Geschwindigkeit eine Abrechnung mit dem Patriarchat, dessen Kastrierung sie letztlich forderte. Weil er seinerzeit gegen eine Kriminalisierung von Vergewaltigung in der Ehe gestimmt hatte, bezeichnet sie den neuen deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz als "Idiot" und erntete damit Applaus bei einem mehrheitlich linkslastigen Publikum. Für Gelächter sorgte zudem ein Schwenk der Bühnenkamera auf eine angesichts von Mededs Sprechtempo sichtlich gequälte Dolmetscherin.

Journalist Poschardt widmete Auftritt israelischen Streitkräften

Deutlich weniger sagte indes der Journalist und nunmehrige "Welt"-Herausgeber Ulf Poschardt, der seinen 12-minütigen Auftritt mit einer langen Pause begann. Er widme seine Rede den israelischen Defense Forces. Denn diese vereinten alle Israelis, Jüdinnen und Juden, die einen auch im deutschen Kulturbetrieb sein Unwesen treibenden Antisemitismus mit Waffengewalt bekämpfen müssen, erklärte er und erntete dafür erste Buhrufe. "Benjamin Netanyahu ist mir näher als Milo Rau", ergänzte er.

Der in der Vergangenheit von TV-Moderator Jan Böhmermann mit Hitlerbart persiflierte Poschardt prangerte zudem einen "ritualisierten Denunziationswettlauf" an, bei dem man von einem "Shitbürgertum" zuerst als rechts, dann rechtsextrem und schließlich als Nazi dargestellt werde. Der Journalist verteidigte die Kulturpolitik des ungarischen Premiers Viktor Orbán und meinte, dass die Biennalen von Venedig und die Documenta in Kassel in weiten Teilen wie die Ausstellung von schlechten Soziologie-Seminararbeiten aussähen. Gleichzeitig bedankte er sich für jene Angst, die seine Gegner verbreiteten. Dies sorge dafür, dass sich sein aktuelles Buch gut verkaufe.

Linguistin Wodak beobachtete Angst in den USA

Von Angst war abschließend aber auch in einem von "Wiener Kongress"-Dramaturg Robert Misik verlesenen Vortrag der Linguistin Ruth Wodak die Rede, die nüchtern von einer kürzlichen Vortragsreise in den USA berichtete. "Insgesamt herrscht Angst, Ängste dominieren den Alltag wie manche dies aus totalitären Ländern kennen", beschrieb Wodak die aktuelle Situation im US-Wissenschaftsbetrieb.

(S E R V I C E - "Die Wiener Kongresse. Kongress I. Kulturkriege" im Rahmen der Wiener Festwochen, Theater Akzent, Theresianumgasse 18, 1040 Wien. Konzeption und Regie: Milo Rau. Weitere "Sitzungen" am 31. Mai und 1. Juni bzw. (Kongress II) am 13., 14. und 15. Juni. https://www.festwochen.at/kongress-1)

Zusammenfassung
  • Die Wiener Festwochen eröffneten mit den 'Wiener Kongressen', bei denen am Freitagabend im Theater Akzent kontrovers über Kulturkriege und Cancel Culture debattiert wurde.
  • Zu den Höhepunkten zählten eine polemische Rede der Autorin Mateja Meded gegen das Patriarchat und ein 12-minütiger Auftritt von Journalist Ulf Poschardt, der die israelischen Streitkräfte würdigte und Antisemitismus im Kulturbetrieb kritisierte.