Einzelhaft für Sehnsüchtige: ImPulsTanz-Auftakt "Club Amour"
Boris Charmatz' Amtszeit als künstlerischer Direktor des von Pina Bausch 1973 gegründeten Tanztheaters Wuppertal geht mit Ende des Monats frühzeitig nach nur drei Jahren zu Ende. Zum Abschied hat er das getan, was er eigentlich ausgeschlossen hatte: Seine eigenen Werke und jene von Pina Bausch gemeinsam zu zeigen. Nicht nur das: Er stellt zwei seiner früheren Arbeiten aus den 90er-Jahren dem 1978 entstandenen, seither weltweit aufgeführten "Cafe Müller" voran und lässt damit das historische Stück, das längst Teil des Kanons ist, zum Epilog seiner eigenen Schaffensbiografie werden. Mutig, trotzig, letztlich anmaßend - angesichts einer fehlenden gemeinsamen inneren Erzählung.
Ebenfalls querulantisch betritt man am ersten ImPulsTanz-Abend die heiligen Hallen der Wiener Prunkhäuser: Durch den Bühneneingang. Denn Charmatz' Stücke "Aatt Enen Tionon" und "Herses, Duo" sind nicht für das Frontaltheater gedacht, sondern finden inmitten des am Bühnenboden hockenden Publikums statt. Die Unbequemlichkeit für die Zuschauer unterstreicht die Grobheit der choreografischen Ausdrucksweise, auch das laute Knallen der Bretterböden, wenn die in Einzelhaft auf je einer Etage eines schmucklosen Turms gehaltenen Tänzer sich wieder und wieder darniederwerfen. Diese Menschen - auch das nackte Duo, das sich im zweiten Teil beim mechanischen Ringen um echten Kontakt ineinander verturnt, sind herzlos, aber seelenvoll. Charmatz selbst ist darunter, die beiden Stücke waren seine frühen Erfolge. Sie forderten das Publikum heraus - doch was im kulturellen Biotop der 90er-Jahre Funken sprühte, wirkt heute abgenutzt.
Es ist ein schmaler, aber klarer Grat zwischen dem In-die-Jahre-gekommen-Sein und einem zeitlosen historischen Klassiker. Wenn das Publikum nach zwei Stunden in den Zuschauerraum des Burgtheaters darf und sich die eben noch kollektiv genutzte Bühne in den Guckkasten zurückzieht, wird der Unterschied überdeutlich. Pina Bauschs "Café Müller" ist kurz, simpel und abstrakt, aber übervoll mit Geschichte, mit Figuren und Emotionen, mit Komik, mit Gewalt, mit Einsamkeit. Die Liebenden taumeln, stürzen durch das Kaffeehaus, andere fegen rasend schnell die Stühle und Tische fort, oder bringen das Paar hartnäckig in Position: tragen soll er sie, aber er lässt sie immer fallen. Die bald 50 Jahre sieht man vor allem am originalen Bühnenbild, an den Kostümen, am Frauenbild wohl auch. Die Choreographie selbst ist zeitlos. Die Brille der Charmatz-Arbeiten, die im "Club Amour" unfreiwillig getragen wird, schärft den Blick für manche Brutalität im Kleinen, für die Mechaniken der Unerreichbarkeit, aber sie hat die Augen auch schon müde gemacht. In der zweiten Festivalwoche steht mit "Nelken" eine weitere Pina Bausch-Ikone auf dem Spielplan von ImPulsTanz - dann solitär.
(Von Maria Scholl/APA)
(S E R V I C E - "Club Amour" von Tanztheater Wuppertal Pina Bausch und Terrain Boris Charmatz im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals. Weitere Termine am 11., 12. und 13. Juli. Burgtheater. www.impulstanz.com)
Zusammenfassung
- Das ImPulsTanz-Festival eröffnete am Donnerstagabend im Wiener Burgtheater mit einer Collage aus zwei frühen Werken von Boris Charmatz und dem 1978 uraufgeführten 'Café Müller' von Pina Bausch.
- Boris Charmatz beendet nach nur drei Jahren seine Amtszeit als künstlerischer Direktor des Tanztheaters Wuppertal und präsentiert zum Abschied erstmals eigene Arbeiten gemeinsam mit jenen von Pina Bausch.
- Weitere Aufführungen der Produktion 'Club Amour' finden am 11., 12. und 13. Juli im Burgtheater statt.