Bregenzer Festspiele: Paasikivi will "Festival of Vocal Art"
Zu Beginn des Interviews mit der APA-Austria Presse Agentur outete sich Paasikivi als Fan des Eurovision-Songcontests, insbesondere des österreichischen Beitrags. "Ich mag das Genreübergreifende. Dass jemand mit klassisch geschulter Stimme kommt und das mit Pop kombiniert, find' ich toll", so die gelernte Sängerin. In Vorarlberg sah sich Paasikivi, die bis 2023 die Finnische Nationaloper leitete, trotz der Fülle an Neuem gut angekommen. "Ich fühle mich wirklich wohl hier im Haus", betonte sie, die Mentalität sei professionell und entspannt. "Die Menschen hier interessieren sich sehr für das Festival. Es ist schön zu merken, dass das, was wir hier machen, nicht egal ist", betonte sie."Ich bin vom Bodensee, von der Schönheit der Natur begeistert", war sie auch von der Region angetan. Beim Deutschlernen mache sie Fortschritte, ihr in der Schule und via Oper gelerntes Deutsch habe sie deutlich erweitert.
"Alles, was wir machen, muss höchstmögliche Qualität haben", betonte sie die Gleichwertigkeit aller Bregenzer Produktionen, auch wenn die Oper auf der Seebühne eigene Anforderungen habe. Von den künstlerischen Möglichkeiten sei sie begeistert: Das Spiel auf dem See, heuer zum zweiten Mal "Der Freischütz", sei "etwas Einzigartiges" und bleibe das "Kronjuwel", dabei böten die Hausoper als Konterpart sowie die Werkstattbühne als Raum für Experimentelles "so viele Freiheiten". "Das ist ja das Schöne an einem Festival, die Vielfalt", betonte sie. Sie wolle für das Publikum "ganzheitliche, hochwertige, vielseitige Kulturerlebnisse". In ihrer ersten Saison will sie ihre nordische DNA spürbar machen: Die Besucher erwartet viel finnische Kunst, etwa der Choreograf Tero Saarinen, die Dirigenten Hannu Lintu und Jukka-Pekka Saraste. Das bedeute aber nicht, dass Bregenz zukünftig ein nordisches Festival werde.
Die Hausoper "Oedipe" mit Premiere am 16. Juli, dirigiert von Lintu und inszeniert von Andreas Kriegenburg, "ist eines meiner Lieblingswerke", verriet Paasikivi zu ihrem Eröffnungswerk. Die Oper habe interessante Figuren, dazu komme George Enescus "Gänsehaut"-Partitur mit farbenreicher, expressiver Musik und dramatischen Gesangslinien. "Das Team macht eine zeitlose Interpretation, die diese archaischen Gefühle auch visuell transportiert", so die Intendantin, die mit großer Spannung auf den Probenstart am 9. Juni (auf dem See eine Woche später, Anm.) wartet. Bis dahin hätten die Teams noch "alle Hände voll zu tun". Diesen vertraue sie voll. Man plane so gut wie möglich, "aber in solchen Prozessen mit Hunderten Mitwirkenden gibt es immer, immer Überraschungen: Aber auch da finden wir immer eine Lösung."
"La Traviata" ab 2026 mit "Pariser Eleganz"
Ab 2026 ist Verdis "La Traviata" das Spiel auf dem See. Bei der Programmierung für die Seebühne müsse vieles beachtet werden: So müssten Titel und Komponist berühmt sein, dazu komme das Bühnenbild, das für zwei Jahre Teil der Stadtarchitektur sei. Diese "gute Balance zwischen Freiraum und Einschränkungen" akzeptiere sie aber gerne für die "riesenfantastische Möglichkeit hier". In der bisherigen Bregenz-Werkliste habe sie "La Traviata" vermisst, dabei sei die Oper perfekt für die Seebühne: "Sie ist romantisch, tragisch, mit schönen Arien, guten Chorpartien", befand Paasikivi mit einem Fingerzeig, in welche Richtung Inszenierung und Bühne gehen könnten: "Es handelt von Pariser Eleganz? Dann bekommen wir Pariser Eleganz!"
Ihrer Vorgängerin Elisabeth Sobotka dankbar zeigte sich Paasikivi für das Opernstudio für junge Sänger und Sängerinnen, "das mache ich sehr gerne weiter". Alle Kulturanbieter trügen Verantwortung für die nächste Künstlergeneration. Sich in professionellem Setting auszuprobieren, habe für junge Vokalisten große Bedeutung. "Eine gute Stimme muss frei sein, aber man muss nicht nur schön singen, sondern auch mit viel Expressivität, das Publikum muss die Nuancen und die Bewegung der Seele hören", so die Mezzosopranistin, die die Meisterklasse selbst betreut.
Bregenz als "Festival of Vocal Art"
Wie sich das Festival unter ihrer Führung weiterentwickeln werde, sei noch in Arbeit. Sie verstehe Bregenz aber als ein "Festival of Vocal Art" und möchte vokale Musik in vielfältigen Formen zeigen: Chormusik, außergewöhnliche Sänger mit genreübergreifenden Projekten, Vokalensembles - kurz: mehr Chöre einbinden und vermehrt spartenübergreifende Projekte umsetzen. "Ich habe viel Genreübergreifendes in Finnland gemacht. Damit erreichen wir neues Publikum, das ist sehr wichtig. Wir sollten ein Festival sein, das alle einbindet", betonte Paasikivi. "Ich möchte auch sehr gerne neue Kammeropern für die Werkstattbühne zeigen - einige Uraufführungen sind bereits in Auftrag gegeben", so die Intendantin. In den jährlich rund 200.000 Besuchern, die zum Spiel auf dem See kommen, sah sie viel Potenzial, diese auch für andere Produktionen zu interessieren. Das sei entscheidend für das "künstlerische Mosaik, das ich bauen will".
Kunst und Kultur wichtig für Resilienz einer Gesellschaft
Kunst und Kultur seien immer wichtig, in Krisenzeiten hätten diese aber besonders große Bedeutung für die Resilienz einer Gesellschaft, war Paasikivi angesichts der unsicheren Zeiten überzeugt. So nehme die Kultur in Finnland eine Schlüsselposition zur Schaffung einer positiven Identität ein. Kultur schaffe Räume für Austausch und respektvollen Dialog, so komme man zu gegenseitigem Verständnis. "Eine Gesellschaft mit eigener, lebendiger Kulturidentität ist immer eine resiliente Gesellschaft, aber nicht in aggressiver Weise", betonte Paasikivi. In der Entwicklung in den USA sah sie "eine Warnung für uns alle". Sie hoffe, dass Europa einen anderen Weg einschlage. Ebenso "unruhig" werden ließen Paasikivi die Sparpläne der öffentlichen Hand in Österreich. Sie hoffe sehr, dass die Subventionsgeber die Leistungen der Kultur für die Gesellschaft auch in Zukunft anerkennen.
(Das Gespräch führte Angelika Grabher-Hollenstein/APA)
Zusammenfassung
- Seit Oktober 2024 leitet Lilli Paasikivi als Intendantin die Bregenzer Festspiele und setzt in ihrer ersten Saison mit Enescus 'Oedipe' einen nordischen Schwerpunkt.
- Das Festival soll sich künftig als 'Festival of Vocal Art' positionieren, mit mehr Chormusik, genreübergreifenden Projekten und neuen Kammeropern auf der Werkstattbühne.
- Ab 2026 wird Verdis 'La Traviata' auf der Seebühne inszeniert, wobei Paasikivi 'Pariser Eleganz' verspricht.
- Paasikivi betont die Gleichwertigkeit aller Produktionen und führt das Opernstudio für junge Sänger:innen fort.
- Mit jährlich rund 200.000 Besuchern beim Spiel auf dem See sieht sie großes Potenzial, auch neues Publikum für weitere Festivalformate zu gewinnen.