"Better Living" im Österreichpavillon auf der Biennale
Hat man den leise klirrenden Vorhang hinter sich, führt ein langer Gang direkt in den Garten. Die beiden Öffnungen hin zu den Ausstellungsräumen sind verschalt, lediglich ein Guckloch gibt einen ersten Blick auf die Ausstellung frei. Im Hof selbst erwartet die Besucherinnen und Besucher heuer ein Diskursraum, der "Space of Negotiation", wo eine Installation zum Verweilen einlädt. Angelehnt an die Form eines 1954 von Josef Hoffmann geplanten nierenförmigen Pools, der für einige Jahre an dieser Stelle als Teil des damaligen Skulpturengartens stand, hat das Kuratorenteam aus lokal gebrannten Ziegeln ein Podest gebaut, das rund 40 Personen Platz bietet. Aus den Sitzflächen ragen junge Bäume, so genannte "Klimagewinner", wie Pollak der APA bei einem ersten Lokalaugenschein erläutert. Pflanzen, die auch den künftigen klimatischen Bedingungen standhalten sollen.
Im Rahmen von Diskussionen sollen hier im Zwei-Wochen-Rhythmus drängende Fragen zum Wohnbau verhandelt werden. Im Hof fällt der Blick auch gleich auf eine Reihe von Protestschildern, die im überdachten Außenbereich an der Wand lehnen. Hier hat der Fotograf Armin Linke einen fotografischen Essay geschaffen: Zu sehen sind auf Schildern angebrachte Fotos von "Räumen der Verhandlung", wie Obrist sie nennt. "Also Räume der Planung, des Teambuildings, der Verwaltung oder auch der Selbstorganisation." Abgelichtet hat Linke etwa das Büro der Wiener Stadträtin für Wohnbau, Pionierprojekte wie die Sargfabrik oder die Baustelle von Porto Fluviale in Rom, wo die Zusammenarbeit zwischen der römischen Stadtverwaltung und den Wohnrechtsbewegungen zunehmend Realität wird, wie der römische Architekt Romito erklärt. Die Installation in Form von Schildern soll dabei bewusst an die Demonstrationen im Kampf für bezahlbaren Wohnraum in Rom erinnern.
Von großen Wohnblöcken bis zur Produktion von Stadt
Doch zunächst geht es nach Wien: Vom Hof aus betritt man den ersten, kleineren Ausstellungsraum, in dem auf einem großformatigen Screen in wenigen Minuten die Geschichte des Wiener Wohnbaus von den 1920er-Jahren bis heute erzählt wird. Der Hauptraum wird schließlich von einer riesigen, in der Raummitte positionierten rot-pinken Sofa-Landschaft dominiert. Von dort aus fällt der Blick auf die acht Kapitel der Schau, die von "Places of Emancipation" (Obrist: "Die heroische Periode der riesigen Wohnanlagen", wie etwa der Karl-Marx-Hof) über "Big Structures in a Shrinking City" (Stichwort: Wohnpark Alterlaa) und "Spaces of Liberation" (wie etwa das "Einküchenhaus") über "Pioneers" (wie die Sargfabrik) bis zur "Production of Neighbourhoods" im 21. Jahrhundert (Seestadt), "The End of Housing (as a Typology)" (Sonnwendviertel) und "Living, Working, Wilderness" (Nordbahnviertel) reichen. Drei Kapitel, die laut Obrist "Menschen mit Haltung zu ihrem Quartier" beleuchten.
Im achten Kapitel widmet man sich schließlich in "Scaling Transformation" Ansprüchen an die Umwandlung von Bestand und der Notwendigkeit von Teilhabe, wie sie etwa in Rom seit Jahrzehnten aus einer Not heraus stattfindet. Beeindruckend ist schließlich auch die riesige Wien-Karte auf einer Wand des Pavillons, die die großzügige Verteilung der Gemeindebauten über die ganze Stadt demonstriert. Jedes der Kapitel wartet sowohl mit großformatigen Fotografien als auch eigens gestalteten Videos auf, hinzu kommen anschauliche Grafiken mit Auf- und Grundrissen einzelner Gebäude, um deren vorbildhafte Nutzung zu zeigen. Zurück auf der Couch lässt sich schließlich in der Publikation blättern, die diesmal kein Katalog, sondern eine Sonderausgabe der Zeitschrift "Arch+" ist.
Häuserkampf in Rom als Vorbild für Partizipation
In dem dicken, zweisprachigen Heft wird auch die Verbindung zum zweiten Teil der Ausstellung geschaffen, die sich auf der gegenüberliegenden Seite des Pavillons befindet und von Romito kuratiert wurde. Auch hier betritt man den Pavillon wieder über den Hof und wird von einem KI-animierten Film über eine utopische Transformation der Stadt begrüßt. Eine Skulptur in Form einer Trajanssäule veranschaulicht "den Überlebenskampf in den Ruinen der Gegenwart", wie Romito es nennt. Im Hauptraum widmet er sich zunächst in einer Zeitleiste ausführlich dem Häuserkampf in Rom seit 1870. Im Fokus stehen beispielhaft sieben Projekte, in denen Wohn- und Lebensraum durch die Besetzung verlassener Orte - von der Polizeistation bis zum Luxushotel - realisiert wird. Anders als in Wien, wo 77 Prozent der Bevölkerung zur Miete wohnen, herrscht in Rom das Primat des Eigentums, die Stadt habe sich aus der Wohnfrage weitgehend zurückgezogen.
Und so bleibe es mutigen Initiativen überlassen, sich Räume zu erkämpfen. Beispielhaft ist etwa das Projekt "Spin Time", eine Besetzung im Stadtzentrum mit einer Fläche von 21.000 Quadratmetern, wo heute rund 150 Familien aus 27 Ländern zusammenleben und ein Theater, ein Museum, Kunstwerkstätten und Nachmittagsbetreuung für Kinder geschaffen haben. Ein Beispiel für den Einsatz einer Nachbarsgemeinschaft für den Renaturierungsprozesses einer ehemaligen Viskosefabrik ist der "Lago Bullicante", das Projekt "Ararat" bietet einer staatenlosen kurdischen Gemeinschaft seit 25 Jahren einen Ort der Zusammenarbeit von sozialen Bewegungen.
Archiv der Räume, die auf ihre "Wiederverwendung" warten
Auch der Rom-Teil der Ausstellung wartet mit einer großdimensionalen Karte der Stadt auf: Hier hat Romito farblich hervorgehoben, welche Areale in der Stadt ungenutzt sind und welche Gebäude (100 an der Zahl) zur "Wiederverwendung" bereit stehen. So etwa der 70er-Jahre-Wohnkomplex "Corviale", den der Architekt mittels 100 Zollstöcken als Skulptur nachgebaut hat, die als "Archiv der Orte" dient: Auf herausziehbaren Holzplatten werden die Lage und die Geschichte der Ruinen dokumentiert. Für Rom würde er sich mehr Engagement seitens der Stadt wünschen, diese "Projekte von unten" zu unterstützen - tatsächlich schwebe über vielen Orten jedoch das Damoklesschwert der Räumung.
Und in Wien? Da schielen Obrist und Pollak auf das Engagement der römischen Zivilbevölkerung, das auch in Wien vonnöten wäre. "Voneinander lernen" schwebt als inoffizielles Motto über der "Agency for Better Living" - und lädt zum Austausch schließlich wieder in den Hof.
(S E R V I C E - 19. Architekturbiennale von Venedig, 10. Mai bis 23. November. Österreich-Pavillon "Agency for Better Living" von Sabine Pollak, Michael Obrist und Lorenzo Romito. https://labiennale2025.at)
Zusammenfassung
- Der Österreich-Pavillon auf der 19. Architekturbiennale in Venedig thematisiert unter dem Titel 'Agency for Better Living' die Wohnfrage in Wien und Rom.
- Ein Diskursraum namens 'Space of Negotiation' lädt im Zwei-Wochen-Rhythmus zu Diskussionen über drängende Fragen des Wohnbaus ein.
- Die Ausstellung beleuchtet die Geschichte des Wiener Wohnbaus und zeigt acht Kapitel, darunter der Karl-Marx-Hof und die Seestadt.
- Im Rom-Teil der Ausstellung wird der 'Häuserkampf' thematisiert, bei dem besetzte Gebäude als Wohnraum genutzt werden, wie das Projekt 'Spin Time'.
- Eine Karte zeigt 100 ungenutzte Gebäude in Rom, die zur 'Wiederverwendung' bereitstehen, während das Engagement der römischen Zivilbevölkerung als Vorbild für Wien hervorgehoben wird.