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Wie am Mond und Mars: "Analog-Mission" auf fünf Kontinenten

Heute, 12:33 · Lesedauer 5 min

Noch bieten Mond und Mars für den Menschen keinen Lebensraum. Um Herausforderungen auf dem Weg dorthin und das Dasein unter dortigen Extrembedingungen zu untersuchen, behilft man sich mit "Analog-Missionen": realitätsnah aufgesetzte und bewohnte Habitate auf der Erde. Für eine großangelegte Mission mit 16 Habitaten auf fünf Kontinenten gab es nun am Montag im Missions-Kontrollzentrum des Österreichischen Weltraumforum (ÖWF) in Wien den Startschuss.

Das drei Jahre lang vorbereitete Projekt "World's Biggest Analog" stellt sich die Leitfrage, wie wir im Weltraum als Community leben und arbeiten werden. Bis zum 26. Oktober leben und experimentieren 70 "Analog-Astronauten" in den Habitaten - zu Fragen wie: Wie lassen sich unter Extrembedingungen und Stresssituationen Entscheidungen treffen? Wie überleben Mikroorganismen unter ausgewählten Marsbedingungen? Wie gut funktioniert ein Mini-Gewächshaus auf engem Raum? Wie managt man die Luftqualität in Innenräumen? Das ÖWF koordiniert das Projekt mit seinen 17 teilnehmenden Institutionen in Amerika, Asien, Australien, Afrika und Europa.

Die 16 teils geschlossenen, teils Außen-Habitate befinden sich in Armenien, Australien, Brasilien, Frankreich, Indien, Jordanien, Kenia, in den Niederlanden, im Oman, in Polen, Portugal und Tschechien sowie in den USA. Dabei simulieren etwa zwei Drittel der Stationen Umweltfaktoren wie auf dem Nachbarplaneten Mars, darunter das Wüstenklima, und ein Drittel die Bedingungen auf dem Erdtrabant Mond.

"Jede Station ist einzigartig, aber das Training der Crew ist vergleichbar und die dort durchgeführten Experimente ebenso", erläuterte ÖWF-Direktor Gernot Grömer vor Journalisten. In Polen etwa dient ein ehemaliger Kriegsbunker als Habitat: "Das war ein Hangar, der für Bomberverbände des Warschauer Paktes gebaut worden ist, um über Westeuropa einen Bombenhagel zu bringen. Jetzt haben wir eine hochinternationale, rein weibliche Crew dort, die für kollaborative Raumfahrtexperimente zur Verfügung steht. Wie cool ist das bitte?"

Zudem simuliere man in einer Art Taucherkapsel in der Nähe von Prag "ein Raumschiff im Transit von Erde zu Mars": "Hier leben drei Menschen auf acht Quadratmetern zusammen." Die längste Mission, die man dort bisher schon umgesetzt habe, "war bisher nur eine Woche lang. Wir betreten mit zwei Wochen hier forschungstechnisch Neuland", meinte Grömer zu APA: "Es ist, wie wenn man jeden Tag ein Buch mit weißen Seiten aufschlägt und die ersten Kapitel schreibt. Wir werden wohl jeden Tag rausgehen und sagen können: Heute haben wir etwas Neues gelernt."

Früher Einzel-Missionen

Der Unterschied zu vorhergehenden Missionen sei, "dass die Stationen nun in Echtzeit miteinander kommunizieren können. Für uns ist daher spannend: Wie sehr ändert sich das Gefühl der Isolation, wenn man weiß, dass es noch andere Stationen auf dem Planeten gibt, mit denen ich mich in Echtzeit unterhalten kann. Das hat es bisher noch nicht gegeben, so Grömer.

"Die ersten Menschen, die einmal auf dem Mars gehen werden, sind schon geboren", sagte der ÖWF-Direktor. Aus heutiger Sicht rechneten große Weltraumorganisationen damit, dass Menschen in den 2040er Jahren den Mars betreten werden. Man betreibe mit der Mission, die 200 Forschende involviert, eine "Lern-Erfahrung": Man werde auch Fehler machen, aber jeder Fehler werde helfen, auch einmal mehr über den Besiedlungsraum von Mond und Mars zu wissen.

Live-Schaltungen von Kontrollzentrum zu Habitaten

Die weltumspannende zweiwöchige Mission wurde mit Live-Schaltungen vom Kontrollzentrum im 12. Wiener Gemeindebezirk aus, dem Standort des ÖWF, und in Anwesenheit einiger Vertreterinnen und Vertreter der teilnehmenden Länder hin zu den verschiedenen Standorten eingeleitet. Hier gaben die einzelnen Teams einen kurzen Lagebericht bzw. schickten Grußworte von ihren Mars- und Mond-ähnlichen Habitaten auf der Erde - zur Erde.

Analogmissionen ermöglichen, die extremen Bedingungen, die Astronautinnen und Astronauten auf Weltraummissionen erleben, zuvor im sicheren Rahmen zu testen. "Dabei testen wir Ausrüstung und Arbeitsabläufe und suchen nach Schwachpunkten, damit beim tatsächlichen Einsatz alles glatt geht", sagte ÖWF-Analog-Astronautin Anika Mehlis, die zuvor schon an zwei Mars-Analog-Missionen in Armenien und in Israel teilgenommen und sich dort u.a. mit der weiteren Entwicklung der Raumanzugssimulatoren beschäftigt hat. Sie fungiert diesmal als Leiterin des Missions-Koordinationszentrums.

Es biete sich mit diesem Projekt nun die Möglichkeit, die bereits bestehenden Habitate besser zu vernetzen. Sie selbst freue sich über die Möglichkeit, in ihrer Position im Kontrollzentrum "nun die Erdseite kennenzulernen". Eine Herausforderung bestehe, die Koordination über die verschiedenen Zeitzonen hinweg und der Fülle an Daten zu meistern. "Logistik ist hier ein großes Thema." Man sammle die in den kommenden zwei Wochen produzierten Daten zu den Forschungsprojekten und übergebe sie dann an die Forschungsgruppen, die sich dann der Analyse und Publikation widmen werden.

Das ÖWF hat bereits mehr als ein Dutzend Missionen koordiniert, wobei alle vorhergehenden Einzelmissionen ein Habitat und eine Crew umfasst haben. Nachdem sich nicht die Frage stelle, ob man in einigen Dekaden Stationen auf dem Mond oder dem Mars haben werde, habe man bei dieser Mission auch beide Zielorte mitgenommen, so Grömer.

(S E R V I C E - https://www.worldsbiggestanalog.com/; https://oewf.org/)

Zusammenfassung
  • Das Österreichische Weltraumforum (ÖWF) hat am Montag das weltweit größte Analog-Missionsprojekt mit 16 Habitaten auf fünf Kontinenten gestartet.
  • Bis zum 26. Oktober leben und forschen 70 Analog-Astronauten in Habitaten in 12 Ländern unter simulierten Mond- und Marsbedingungen.
  • Die Mission wird vom ÖWF mit 17 Institutionen und insgesamt 200 Forschenden koordiniert und wurde drei Jahre lang vorbereitet.
  • Erstmals sind die Stationen in Echtzeit miteinander vernetzt, um Isolationserfahrungen und Kommunikation unter Extrembedingungen zu erforschen.
  • Mit Live-Schaltungen vom Kontrollzentrum in Wien werden die Experimente begleitet, die unter anderem Entscheidungsfindung, Luftqualität und Mini-Gewächshäuser testen.