Personalsituation in Wiener Krisenzentren schon lange prekär

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Die von der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) in ihrem jüngsten Jahresbericht aufgezeigte prekäre Personalsituation in den Wiener Krisenzentren ist bereits im März Thema einer Überlastungsanzeige des Dienststellenausschusses der Wiener Jugendämter gewesen. Diese wurde an das Büro von Vizebürgermeister und Jugendstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) geschickt, sie liegt der APA vor.

Darin heißt es unter anderem: "Aufgrund des Personalnotstandes, der unabhängig von den aktuellen Corona-Ausfällen insbesondere in den Regionen Nord und Nord-West schon längere Zeit besteht, können Mitarbeiter*innen der Regionalstellen Soziale Arbeit ihrem gesetzlichen Auftrag des Kinderschutzes nicht in erforderlichem Ausmaß nachgehen". Die Krisenzentren (KRIZ) seien "auf einem hohen Belegungsniveau bei gleichzeitig massivem Personalmangel, der zuletzt versucht wurde, durch unterschiedliche Bereiche (Familienzentren, Schulkooperationsteam, Mobile Arbeit mit Familien, Regionalstellen Soziale Arbeit mit Familien) auszugleichen", schreibt der Dienststellenausschuss wörtlich.

Doch das wurde in der Anzeige aber kritisch bewertet: "Das kurzfristige nicht planbare Einspringen in einen anderen Arbeitsbereich, ohne Zeitperspektive führt zu deutlichen Belastungen der betroffenen Mitarbeiter*innen." Obwohl Krisenzentren ein Schutzraum für Kinder und Jugendliche seien, die akut aus gefährdenden Familiensituationen herausgenommen werden müssen, müsse derzeit "in der Gefährdungseinschätzung auch die Situation in den Krisenzentren mitbedacht werden", hieß es in der Anzeige. "Sozialarbeiter*innen der Regionalstellen Soziale Arbeit müssen in ihrer Arbeit derzeit ständig die problematische Situation in der Familie gegen die ebenfalls sehr problematische Situation im Krisenzentrum abwägen." Dies könne dazu führen, "dass Kinder und Jugendliche länger in belasteten, traumatisierenden Familiensituationen belassen werden müssen, weil eine Krisenunterbringung die größere Belastung darstellen würde".

Doch dies ist - neben dem Bericht der KJA - nur einer der jüngsten Aufschreie zu einem seit Jahren bestehenden Problem. Der APA liegt auch ein Schreiben vom Sommer 2019 vor, in dem unter anderem von einer "seit Jahren bestehenden Forderung nach einer raschen Postenaufstockung" die Rede ist. Dabei wird auch auf den Bevölkerungszuwachs in Wien hingewiesen.

Zudem ist der APA ein anonymes Schreiben aus der Belegschaft zur Kenntnis gelangt, in dem eine Belastungsstudie aus dem Jahr 2019 angeführt wird, der zufolge damals - also vor Pandemie und Ukraine-Krieg - ein zusätzlicher Personalbedarf von 42 Vollzeitkräften herrschte. Die Überlastung und hohe Fluktuation der Sozialarbeiterinnen und -arbeiter in dem Bereich hat demnach unmittelbare Auswirkungen auf das Wohlergehen der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Denn sie müssen klären, ob diese durch körperliche oder psychische Gewalt, Vernachlässigung oder Missbrauch gefährdet sind, Gutachten für Gerichte bei Sorgerechts- oder Kontaktrechtsstreitigkeiten erstellen und Kinder in Wohngemeinschaften betreuen. Eine Vollzeitkraft könne erfahrungsgemäß bei etwa 40 Befassungen gut und qualitativ arbeiten, ab 50 Befassungen würden die Sozialarbeiter beginnen, den Überblick zu verlieren. In dem Schreiben ist die Rede, dass die Sozialarbeiterinnen und -arbeiter mit bis zu 90 Fällen befasst sind.

Im Büro des Stadtrats wurde auf APA-Anfrage auf beteuert, dass bereits Maßnahmen ergriffen worden seien, um die Situation zu verbessern. "Um Überlastungen - sei es aufgrund der Pandemie und deren Auswirkungen auf Familien und psychische Erkrankungen oder des Fachkräftemangels - entgegenzuwirken, werden Krisenzentren ausgebaut", hieß es in einer Stellungnahme. So werde zum Beispiel ein spezielles Krisenzentrum für psychisch auffällige Kinder und Jugendliche geschaffen.

Dem Personalmangel will man mit einer Schulungsinitiative entgegenwirken. Die Zahl der Ausbildungsplätze der Sozialpädagogik soll dazu angehoben werden, kündigte Wiederkehr an.

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  • In dem Schreiben ist die Rede, dass die Sozialarbeiterinnen und -arbeiter mit bis zu 90 Fällen befasst sind.

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