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ÖAW-Chef Faßmann: "Wissenschaft ist ein dauernder Kampf"

08. Aug. 2025 · Lesedauer 8 min

Trotz Gegenwind ist der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) Heinz Faßmann zuversichtlich, was die Situation von Wissenschaft und Forschung anbelangt. Das APA-Interview anlässlich seines 70. Geburtstags.

Frage: Bundespräsident Van der Bellen hat bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele zur Zuversicht aufgerufen. Wie zuversichtlich sind Sie über die Situation der Wissenschaft und Forschung, angesichts von Angriffen auf Forscherinnen und Forscher, Zensur von Begriffen, Einmischung der Politik in Forschungsinhalte, budgetären Engpässen und immer lauter werdenden Schwurblern?

Faßmann: Ich bin optimistisch, weil Wissenschaft und Forschung eine wichtige Aufgabe in der Gesellschaft erfüllen. Aber es ist für uns ein dauernder Kampf. Es ist wie Sisyphus, der Steine den Berg hinauf transportiert und nicht verzagt ist, wenn sie nachher wieder runterrollen. Die Aufklärung der Gesellschaft, die wissenschaftliche Realitätserfassung, alte Theorien durch neue ersetzen - wir sind nie am Ziel, Wissenschaft ist eine dauernde Aufgabe. Wir haben daher auch gelernt, den Mut nicht zu verlieren.

Frage: Bisher kannte man Angriffe auf die Wissenschaft vor allem aus autokratischen Systemen. Was sagen Sie dazu, dass nun auch in Österreich der Wissenschaftssprecher der Kanzlerpartei, Rudolf Taschner, im Parlament erklärt, welche Forschung seiner Meinung nach förderungswürdig ist und welche nicht?

Faßmann: Das muss man richtig dimensionieren. Das war eine provokante Parlamentsrede, und letztlich hat er dazu aufgefordert, Begutachtungssysteme zu evaluieren, damit sie tatsächlich zur Förderung der besten Projekte führen. Keiner meint ernsthaft, dass die Politik beginnen sollte, wissenschaftliche Fragen zu bestimmen oder zu entscheiden, welche Projekte gefördert werden sollen.

Frage: Taschner bezweifelte, ob die Selbstreinigungskräfte der Wissenschaft stark genug seien. Halten Sie diese für intakt?

Faßmann: Sie sind intakt. Aber wir müssen immer wieder prüfen, ob sie tatsächlich funktionieren. So verändert die Künstliche Intelligenz (KI) das gesamte Antrags- und Begutachtungssystem. Immer mehr Forschungsanträge werden KI-unterstützt erstellt oder ganz von der KI geschrieben, und die Gutachten werden vielleicht auch maschinell verfasst. Wir müssen uns daher fragen, wie wir wissenschaftliche Qualität überprüfen. Denn so, wie wir es heute machen, passt es nicht mehr. Aber einen Irrtum einzugestehen und zu lernen, sind Kernelemente der Wissenschaft.

Feuer für die Forschung ist das Wichtigste

Frage: Zurück zur Zuversicht. Sie können leicht zuversichtlich sein, als bald 70-Jähriger, der viele Jahre seiner wissenschaftlichen Karriere in einem prosperierenden System mit guten Aussichten durchlaufen hat. Was sagen Sie jungen Doktoranden, die überlegen, ob sie in die Wissenschaft gehen sollen, angesichts dunkler Wolken am Horizont?

Faßmann: Ich stimme Ihnen vollkommen zu. Wenn ich zurückblicke, dann hat das Wissenschafts- und Forschungssystem einen tollen Aufholprozess hinter sich. Österreich spielt heute in vielen Disziplinen in der Oberliga. Dieser Rückblick macht mich stolz und vielleicht macht er mich auch so zuversichtlich. Wenn heute jemand mit der wissenschaftlichen Laufbahn beginnt, sage ich: Probieren Sie es. Wenn Sie für die Forschung Feuer fangen, dann machen Sie es. Die politischen Umstände ändern sich, das Wichtige bleibt der Enthusiasmus für die Wissenschaft.

Verlust der Glaubwürdigkeit

Frage: Sie verneinten kürzlich im "Kurier" die Frage, ob die Wissenschaft selbst schuld sei an der derzeitigen Situation, insbesondere dann nicht, wenn sich Wissenschafter aus parteipolitischem Geplänkel heraushalten und nicht Teil einer politischen Bewegung werden. Sie waren auf einem ÖVP-Ticket Minister. Wer soll Ihnen danach noch die neutrale Rolle des Wissenschafters abnehmen?

Faßmann: Das sind unterschiedliche Lebensphasen und ich habe immer versucht, das eine vom anderen zu trennen. Als Wissenschafter habe ich nicht Politiker gespielt und als Politiker nicht gleichzeitig Wissenschaft betrieben. Wenn Wissenschafter anfangen, Politiker zu spielen, oder Politiker so tun, als ob sie Wissenschafter sind und beispielsweise bestimmte Arzneien zur Covid-Bekämpfung empfehlen, verlieren beide Glaubwürdigkeit. Rollen sind nicht zu vertauschen, aber Rollen wechseln kann man ohne weiteres.

Frage: Angesichts der angespannten Budgetsituation sollen auch Forschungseinrichtungen einen Solidarbeitrag leisten. Wo spart die ÖAW wie viel ein?

Faßmann: Wir haben versprochen, etwa 3,5 Mio. Euro nicht auszugeben, indem wir bestimmte Investitionen und Bauprojekte aufschieben. Das ist managebar. Ich sehe aber mit Sorge, dass auch die langfristige Vorausschau für die Jahre 2027 bis 2029 auf Stagnation hinauslaufen könnte, ohne Berücksichtigung der Inflationsentwicklung, was real zu einer Kürzung führen würde. Das ist der falsche Weg. Wenn wir in Wissenschaft und Forschung über Gebühr zum Sparen anfangen, dann werden wir unsere Zukunftschancen verspielen.

Kein Sparen mit dem Rasenmäher

Frage: Die Entscheidung über die Finanzierung der wichtigsten Player im Forschungssystem ab 2027, inklusive der ÖAW, muss noch heuer bei den Verhandlungen über den nächsten Forschungs-, Technologie und Innovationspakt (FTI-Pakt) fallen. Wissenschaftsministerin Holzleitner sprach von einer "härteren Nuss" - wie wollen Sie diese knacken?

Faßmann: Wir haben alle eine sparsame Zukunftsplanung gemacht und sehen für die Grundlagenforschung einen Mehrbedarf für 2027 bis 2029 in der Größenordnung von 500 Mio. Euro. Das ist machbar. Sparen mit dem Rasenmäher hat der Republik noch nie gut getan. Und sparen gerade bei der Forschung macht keinen Sinn. Ganz im Gegenteil. Aus der Krise sollten wir uns über Forschung hinaus investieren. Wir werden die Frau Ministerin beim Knacken der Nuss sicherlich unterstützen.

Frage: Der von Ihnen genannte Mehrbedarf gilt für alle im Forschungsfinanzierungsgesetz erfassten Forschungsförderer und -einrichtungen?

Faßmann: Nein, das sind die Investitionen der Grundlagenforschung, also neben der ÖAW, das Institute of Science and Technology Austria (ISTA), die Ludwig Boltzmann-Gesellschaft, Geosphere Austria, die Agentur für Bildung und Internationalisierung (OeAD) und der Wissenschaftsfonds FWF.

Frage: Fix ist, dass der Fonds Zukunft Österreich 2026 nur 50 Mio. Euro ausschütten wird, statt 140 Mio. Euro 2025. Wie sehr trifft das die ÖAW, die heuer 16 Mio. Euro aus diesem Topf erhalten hat?

Faßmann: Diese 16 Mio. Euro hat die ÖAW eingeworben, sie fördert damit aber die Universitäten und alle Forschungseinrichtungen. Einerseits werden Postdocs, die aus den USA nach Österreich kommen wollen, für vier Jahre finanziert. Und andererseits werden registerbasierte Forschungsprojekte gefördert. Auch da sind alle Forscherinnen und Forscher in Österreich antragsberechtigt. Genau dafür ist der Fonds auch da: Akzente setzen und für unvorhergesehene Ereignisse gewappnet sein. Aus dem Grund soll der Fonds Zukunft Österreich weiterbestehen und finanziell dorthin kommen, wo er schon einmal war.

Vorschläge der EU-Kommission "positiv"

Frage: Die EU-Kommission will in der nächsten Finanzierungsperiode das EU-Forschungsrahmenprogramm "Horizon Europe" mit 175 Mrd. Euro dotieren. Eine Expertengruppe, die Empfehlungen für das nächste Rahmenprogramm ausgearbeitet hat und der Sie angehört haben, hatte 220 Mrd. Euro gefordert. Bedeutet das einen Rückfall für Europa, vor dem Sie bereits gewarnt haben?

Faßmann: Das, was wir derzeit über das nächste Forschungsrahmenprogramm wissen, ist positiv zu bewerten. Es wurde ja schon bezweifelt, ob es überhaupt ein ernsthaftes Rahmenprogramm geben wird, und man hat mit gravierenden Einschnitten gerechnet. Beides ist nicht eingetreten. Und die 175 Mrd. Euro sind eine Verdoppelung der derzeit zur Verfügung stehenden Summe. Das ist auch notwendig, denn die Kommission hat klar erkannt, dass Europa stärker werden muss und sich nicht in die technologische und innovatorische Abhängigkeit der USA oder Chinas begeben darf.

Frage: Sie haben von Ihrer fünfjährigen Amtszeit als ÖAW-Präsident noch zwei Jahre vor sich: Was haben Sie noch vor?

Faßmann: Wir haben bisher unglaublich viel erreicht, u.a. die Gründung eines Instituts für Künstliche Intelligenz in der Biomedizin (Aithyra) mit einer sensationellen privaten Finanzierung und ein Science Communication Center zusammen mit der TU Wien und der Uni Wien. Das wird uns die nächsten zwei Jahre weiter beschäftigen.

Denkmuster formen

Frage: Apropos Science Communication Center: Wissenschaftskommunikation ist sehr oft eine "Predigt vor Bekehrten". Wie wollen Sie neue Zielgruppen erschließen?

Faßmann: Es wird kein Wissenschaftsmuseum werden, sondern ein Ort der Kommunikation mit der und über die Wissenschaft. Für mich ist es auch entscheidend, eben nicht nur die "Bekehrten" anzusprechen. Wir kooperieren mit dem Bildungsministerium und wollen, dass dieses Zentrum ein Fixpunkt wird für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I und II, insbesondere dann, wenn sie aus den Bundesländern nach Wien kommen. Verbunden damit ist die Hoffnung, Interesse an Wissenschaft und wissenschaftlichen Fragestellungen zu wecken und vielleicht zu intensivieren. Die Ausrichtung auf junge Menschen ist wichtig - bei ihnen haben wir noch die Chance, Weltbilder und Denkmuster zu formen.

Frage: Wollen Sie auch das Forschungsspektrum der Akademie erweitern?

Faßmann: Die zwei großen Stärken der Akademie, auf der einen Seite die Life Sciences, auf der anderen Seite die Quantenforschung, wollen wir weiterentwickeln. Aber auch die Geisteswissenschaften spielen in der Akademie eine wichtige Rolle. In einer geopolitisch so unüberschaubaren Situation brauchen wir sie mehr denn je, denn sie erarbeiten das notwendige Orientierungswissen.

Zusammenlegung von Hoch- und Mittelenergiephysik

Frage: Wenn Sie neue Fragestellungen aufgreifen, müssen Sie auch Platz machen dafür - was lassen Sie auslaufen?

Faßmann: Wir machen zweierlei: Einerseits entwickeln wir bestimmte Fragestellungen weiter oder strukturieren sie anders. Heute werden zum Beispiel in den Digital Humanities Editionen und Wörterbüchern anders und effizienter erstellt. Andererseits nutzen wir innerhalb der Akademie Synergien. So werden wir unsere zwei Physikinstitute, eines für Hochenergie- und eines für Mittelenergiephysik, zusammenlegen und damit das größte Institut für Elementarteilchenphysik in Österreich gründen.

Frage: Werden Sie in zwei Jahren nochmals für das Amt des Präsidenten kandidieren?

Faßmann: Das wird man sehen. Ich weiß es heute noch nicht.

(Das Gespräch führte Christian Müller/APA)

Zusammenfassung
  • ÖAW-Präsident Heinz Faßmann sieht Wissenschaft als einen dauernden Kampf, bleibt aber optimistisch bezüglich der gesellschaftlichen Bedeutung und Zukunft von Forschung.
  • Er warnt vor realen Kürzungen durch stagnierende Budgets und kritisiert Sparmaßnahmen im Wissenschaftsbereich, da für die Grundlagenforschung ein Mehrbedarf von 500 Mio. Euro für 2027 bis 2029 angemeldet wurde.
  • Der Fonds Zukunft Österreich wird 2026 nur noch 50 Mio. Euro ausschütten, nach 140 Mio. Euro im Jahr 2025, was auch die ÖAW betrifft, die 2025 16 Mio. Euro daraus erhalten hat.
  • Das EU-Forschungsrahmenprogramm "Horizon Europe" soll mit 175 Mrd. Euro ausgestattet werden, was zwar weniger als die empfohlenen 220 Mrd. Euro ist, aber eine Verdoppelung der bisherigen Mittel bedeutet.
  • Faßmann hebt die Gründung eines Instituts für Künstliche Intelligenz in der Biomedizin und eines Science Communication Centers hervor und betont die Bedeutung, junge Menschen für Wissenschaft zu begeistern.