Prozess um Kind in der HundeboxKonstantin Auer / PULS 24

Kind in Hundebox: Bericht der Kommission "enttäuschend"

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Ein damals 12-jähriger Bub aus Waidhofen im Waldviertel wurde über Monate hinweg von seiner Mutter gequält. Der Bub musste hungern und frieren. Vergangene Woche wurden die 33-Jährige und eine Komplizin nicht rechtskräftig verurteilt. Nun untersuchte eine Kommission den Kinderschutz in Niederösterreich - allerdings "fallunabhängig". Für Opferanwalt Ruisinger ist das Ergebnis "enttäuschend".

Versuchter Mord, Quälen und Vernachlässigen wehrloser Personen und Freiheitsentziehung brachten die 33-jährige Mutter 20 Jahre in Haft. Ihre 40-jährige Komplizin, die zu den Misshandlungen an dem damals 12-jährigen Buben angestiftet hat, muss 14 Jahre in Haft. Beide Frauen werden in ein forensisch-therapeutisches Zentrum eingewiesen. So die nicht rechtskräftigen Urteile von vergangener Woche.

Die Mutter hat das Kind zumindest zwischen Juli und November frieren und hungern lassen, es teils geschlagen, mit kaltem Wasser übergossen und mehrmals in eine Hundebox gesperrt. Zweimal waren in dieser Zeit Mitarbeiter:innen der Kinder- und Jugendhilfe in der Wohnung. Zuletzt am 18. November, vier Tage bevor das Kind ins Koma fiel.

Video: Hohe Haftstrafen

Kommission durch Datenschutz behindert

Um die Rolle der Behörden zu untersuchen - und mögliche gesetzliche Lücken zu finden, sollte eine Expert:innenkommission bis Jänner 2024 den Fall beleuchten. Der Endbericht wurde nach einer Verzögerung am Dienstag im niederösterreichischen Landtag präsentiert.

Die Expert:innen konnten die Causa aber "trotz Verschwiegenheitserklärung aller Kommissionsmitglieder" nur "fallunabhängig" beleuchten und allgemeine Empfehlungen zum Kinderschutz abgeben. Die Kommission konnte nur auf öffentliche Daten zugreifen - und ging nach diesen Daten einen hypothetischer Sachverhalt  "auf einer Meta-Ebene" durch, wie Königsberger-Ludwig sagte.

Laut den Expertinnen und Experten stellten sich von Beginn ihrer Tätigkeit an verschiedene Rechtsvorgaben der beteiligten Institutionen Kinder- und Jugendhilfe, Bildung und Gesundheit als erschwerend dar. Die Kommission sei daher rasch an die Grenzen des inhaltlichen Austausches über den Anlassfall gestoßen. Insbesondere die Bestimmungen des Datenschutzes und der berufsrechtlichen Verschwiegenheiten seien eine Herausforderung gewesen.

Der Kommission gehörten als Vorsitzende die Kinder- und Jugendanwältin Gabriela Peterschofsky-Orange, Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin der Kinderschutzorganisation "möwe", Kinder- und Jugendpsychiater Paulus Hochgatterer sowie insgesamt drei Mitarbeiter von Kinder-und Jugendhilfe, Bildungsdirektion und von der Landesgesundheitsagentur an.

Sieben Empfehlungen

Sie leiteten aus aus dem hypothetischen Sachverhalt Empfehlungen ab:

  1. Als wichtigste Empfehlung der Expertengruppe gilt, dass Datenschutz und berufsrechtliche Verschwiegenheitsverpflichtungen niemals den Austausch des Wissens im Interesse des Kinderschutzes blockieren dürften. Hier seien die vorhandenen Rechtsvorschriften auf Bundes- und Landesebene zu überprüfen.
  2. Angeregt wurde auch, eine ständige NÖ Kinderschutzkommission einzurichten, bestehend aus Landes-externen Expert:innen. Es brauche laufende fachliche Evaluierung.
  3. Nötig ist laut der Expertengruppe weiters eine "multiprofessionelle Zusammenarbeit und Teamarbeit" um ein umfassendes Bild der Gesamtsituation zu erlangen.
    Empfehlenswert - im Sinne der optimalen Vernetzung und Kooperation - sei, dass sich Systeme - wie etwa Schule, Ärzte, Behörden - regelmäßig auch außerhalb einer konkreten Krisenbewältigung austauschen.
  4. Es brauche außerdem systemübergreifende Arbeitsgruppen, damit sich die Vorgaben von diversen Institutionen verzahnen könnten. Bisher entstünden Kinderschutzvorschriften organisationsintern ohne Abstimmung mit anderen.
  5. Laut Empfehlung solle es innerhalb jeder Organisationseinheit klare Richtlinien für diese Zusammenarbeit geben, unter Berücksichtigung einer Haltung im Sinne des Kinderschutzes und der Kinderrechte – idealerweise Kinderschutzkonzepte mit in Kinderschutz besonders geschulten Personen.
  6. Darüber hinaus sei Dokumentation ein "wesentlicher Baustein des Kinderschutzes" und Mittel zur Qualitätssicherung. Sie solle in jeder Organisation verpflichtend sein, auch dort, wo Kinderschutz nicht die Kernkompetenz darstelle. Es brauche dabei ein Vier-Augen-Prinzip.
  7. Auch das Thema des gesellschaftlichen Informationsbedürfnisses wurde von den Expert:innen behandelt. Auskunft solle generell "professionell, zeitnah und ohne Verletzung von Persönlichkeitsrechten" erfolgen, stets müsse dem Kinderschutz dabei Rechnung getragen werden. Kritisch sehen es die Expert:innen, wenn detailgenaue Informationen über Personen in die Öffentlichkeit gelangen.

Unterstrichen wurde von der unabhängigen Kommission zusammenfassend, dass Kinderschutz in Institutionen jeweils separat stattfände, aber nicht als Zusammenschluss von rechtlichen Regelungen, staatlichen und privaten Maßnahmen. Genau dieses Wissen über Möglichkeiten anderer Systeme sei aber für das jeweils eigene Handeln "äußerst wichtig".

Amtshaftungsklage möglich

Laut Königsberger-Ludwig gebe es in der Landesregierung ein "einstimmiges Commitment, dass wir in allen Punkten den Empfehlungen der Kommission nachgehen werden. Wir werden mit diesen Ergebnissen weiterarbeiten".

Ruisinger im Interview nach dem Urteil

Rechtsanwalt Timo Ruisinger, der Im Prozess das mittlerweile 13-jährge Kind und seinen Vater vertritt, behält sich in der Causa hingegen auch noch vor, gegen die Behörden eine Amtshaftungsklage einzubringen. Zumindest wolle er sich das überlegen, wie er gegenüber PULS 24 sagte. Der Prozess habe ihn in diesen Überlegungen noch bestärkt.

Ergebnis "enttäuschend"

In einer ersten Reaktion auf den Kommissionsbericht meinte Ruisinger auf PULS 24 Anfrage, dass das Ergebnis - ohne es im Detail zu kennen - "enttäuschend" sei. "Die Kommission hatte den Auftrag den konkreten Einzelfall, also diese Causa und den gesamten Verlauf zu durchleuchten", so der Anwalt.

Nun sei bekanntgeworden, dass dies wegen des Datenschutzes nicht möglich gewesen sei. "Es ist zu hinterfragen weshalb es dann Wochen bzw. Monate gedauert hat dieses Nichtergebnis zu präsentieren". Laut Ruisinger habe man wohl den Prozess abgewartet, "bevor die Öffentlichkeit informiert wird". 

Behörde wird nochmal geprüft

Das Kinder- und Jugendamt geriet durch den Gerichtsprozess wieder in Erklärungsnot. Die Behörde soll nun ebenfalls nochmals geprüft werden. Die Behörde stellte zwar, nach dem der Fall aufkam, zunächst fest, dass laut interner Prüfung "alle rechtlichen und fachlichen Vorgaben eingehalten wurden". 

Die Aussagen der beiden Mitarbeiter:innen unter Wahrheitspflicht im Gerichtsprozess ließen Soziallandesrätin Ulrike Königsberger-Ludiwg (SPÖ), wie berichtet,  nun aber eine neuerliche Prüfung veranlassen: Im Gericht seien Details bekanntgeworden, die sich in der bisherigen Aktenlage, dem Dokumentationsmaterial der Behörde widersprechen könnten. 

Bei ihren Besuchen bei der verurteilten Mutter wurden von ihnen zwar Auffälligkeiten festgestellt, es wurde aber keine Veranlassung für eine sogenannte Gefahr-im-Verzug-Maßnahme gesehen.

Mehr zu den Hintergründen:

Untersucht werde nun neuerlich von der Fachaufsicht des Landes, "ob alle rechtlichen und fachlichen Standards" eingehalten wurden, kündigte Königsberger-Ludwig an. In dieser Hinsicht sei das Landesgericht Krems im Wege eines Amtshilfeersuchens um die Übermittlung des Prozessprotokolls ersucht worden. 

"Es ist mir wirklich an restloser Aufklärung gelegen", so die Soziallandesrätin, die neue Prüfung solle "möglichst schnell" abgeschlossen sein.

ribbon Zusammenfassung
  • Eine Expertengruppe hat nach der Misshandlung eines 13-jährigen Kindes im Waldviertel sieben Empfehlungen für den Kinderschutz vorgelegt.
  • Als zentrale Empfehlung gilt, dass Datenschutzbestimmungen den Schutz von Kindern nicht behindern dürfen.
  • In Niederösterreich ist die Einrichtung einer ständigen Kinderschutzkommission geplant, die sich regelmäßig trifft und sich mit gesellschaftlichen Entwicklungen befasst.
  • Die Expertengruppe betont die Notwendigkeit multiprofessioneller Zusammenarbeit und regelmäßiger Kommunikation außerhalb von Krisensituationen.
  • Nach einem Prozess wegen schwerer Misshandlung wurde die Mutter des Kindes zu 20 Jahren Haft verurteilt, eine weitere Beteiligte zu 14 Jahren.
  • Rechtsanwalt Timo Ruisinger, der Im Prozess das mittlerweile 13-jährge Kind und seinen Vater vertritt, bezeichnet das Ergebnis als "enttäuschend", da es nicht um den Einzelfall gehe.