"Systemsprenger"-Prozess
Kriminelle Burschen vor Gericht: "Grüßi Gotti" für die Komplizen
Am Landesgericht Wien hat man am Dienstag das Gefühl, man steigt erst beim Staffelfinale in eine Serie ein. Denn neben den Protagonisten - einem 14-jährigen Hauptangeklagten und einem 16-jährigen Zweitangeklagten – spielen auch diverse Mittäter wiederkehrende Rollen. Da sie aber größtenteils noch unmündig sind, tauchen sie im Laufe der Verhandlung nur als Zeugen auf. Den Behörden sind sie aber dennoch gut bekannt.
Genauso wie der 14-jährige Hauptangeklagte. Der "Systemsprenger" beschäftigt die Polizei schon seit eineinhalb Jahren, dabei ist er erst seit Ende März strafmündig. Zwei Wochen später erhielt er seine erste Haftstrafe von zehn Wochen, am Dienstag fasste er die zweite aus.
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Er wurde rechtskräftig zu einer teilbedingten Haft von neun Monaten und zwei Wochen verurteilt.
"Spritztouren" mit gestohlenen Autos
Beeindruckt hat ihn die Verhandlung nicht, vielleicht weil er das Gerichtsdrama mittlerweile schon kennt. In einem kurzärmeligen blauen Hemd über einem weißen Shirt hört er regungslos zu, als der Zweitangeklagte befragt wird.
Die Liste der Vergehen, die ihm angelastet wird, ist lang. Einbrüche in diverse Geschäfte, vorrangig Autohändler, bei denen er gemeinsam mit anderen, darunter dem 16-Jährigen, Autos für nächtliche "Spritztouren" entwendet hat. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm schweren gewerblichen Einbruch und kriminelle Vereinigung vor.
Warum er sich nachts draußen herumtrieb, statt in seinem Krisenzentrum zu bleiben, will die Richterin wissen. Im Krisenzentrum sei er schlecht behandelt worden. Und der Grund für die Straftaten? "Mir war einfach langweilig."
Schwierige Kindheit
Sein Verteidiger hält fest, dass der 14-Jährige ein "armer Teufel" sei. Schon als Kleinkind wohnte er in immer wechselnden Krisenzentren, eine Kernfamilie gebe es nicht. Auch die Geschwister sind in Krisenzentren bzw. bei einer Pflegefamilie untergebracht.
Dass auch sein älterer Bruder amtsbekannt ist, macht die Richterin nur zu deutlich: Mehrmals verwechselt sie ihn und den Hauptangeklagten, ihre Namen teilen sich denselben Anfangsbuchstaben.
"Nachdem die alle schon oft aufgetreten sind bei uns, sag' ich lieber Erstangeklagter, dann gibt's keine Verwechslungen", seufzt sie. Eben jenen Hauptangeklagten bezeichnet sie als "die treibende Kraft" hinter den Einbrüchen der jugendlichen Gruppen.
"Ich hab niemanden reingezogen, die sind freiwillig zu mir gekommen", meint er noch, lenkt dann aber doch ein.
"Ist uns so eingefallen, dass wir auch einbrechen"
Der Zweitangeklagte komme allerdings aus einem "sehr guten Haus", betont sein Verteidiger. Seine Kindheit sei jedoch schwierig gewesen, er wurde in Syrien geboren. Die Eltern sind am Dienstag ebenfalls in dem kleinen Saal, der so voll ist, dass Zuseher:innen teils am Boden sitzen müssen.
Dem 16-Jährigen wird unter anderem ein Einbruch in ein Juweliergeschäft vorgeworfen. Zwei Halsketten – eine davon mit 14 Karat – und drei Ringe erbeutete er. Am Tag vor der Verhandlungen brachte sein Vater sie zur Polizei, nachdem der Sohn seinem Verteidiger gestanden hatte, wo sich die Beute befand.
Im Gerichtssaal gibt auch er an, dass aus "Langeweile" angefangen habe, "nachts rauszugehen". "Wieso denn das, Sie sind doch schulpflichtig", wirft die Richterin ein. Es sei ihm einfach in den Kopf gekommen.
"Die anderen haben Autos eingeschlagen als erstes und dann ist uns so eingefallen, dass wir auch einbrechen", meint der 16-Jährige.
"Ich habe einfach aufs Gas gedrückt"
An vieles kann er sich bei seiner Aussage nicht mehr erinnern, schon aber in welchem Auto er saß. Ob ein VW Sharan, ein VW Golf oder aber ein verhängnisvoller roter Toyota. Mit dem raste er nach einem Einbruch bei Regen und Dunkelheit auf einen Streifenwagen zu, als er gemeinsam mit anderen auf der Flucht vor anderen Beamten war.
"Ich hab einfach aufs Gas gedrückt und bin geradeaus gefahren", erzählt der 16-Jährige. "Ich war halt schon sehr schnell, ich hab dann gesehen, dass sie halt im Weg stehen. Ich war erstarrt … zum Glück sind sie ausgewichen."
Bei der Lenkerin des Streifenwagens, in den die Jugendlichen beinahe frontal gekracht wären, entschuldigen sich die beiden Angeklagten am Dienstag. Sie ist als Zeugin geladen.
Beweise braucht die Richterin keine mehr, ihr geht es bei der Aussage um "erzieherische Gründe". Die Angeklagten sollen verstehen, dass ihr Handeln beinahe deutlich mehr als den gebrochenen Arm eines unmündigen Mittäters bedeutet hätte.
Die Polizistin ist kurz angebunden: "Ist in Ordnung, das nächste Mal passt's besser auf, weil das kann anders auch ausgehen", erklärt sie ihnen.
Video: Gerade erst 14 geworden – und schon zweimal verurteilt
Zeugen, die die Aussage verweigern
Mit anderen Zeugen verstehen sich die beiden schon besser, zumindest der Hauptangeklagte. Er grinst insgesamt drei Freunde ständig an, einer der Zeugen kann daraufhin – sehr zum Missfallen der Richterin – auch nicht aufhören zu lachen.
Alle ihre Namen sind im Rahmen der Verhandlung bereits mehrmals gefallen. Bei vielen der Einbrüche und Spritztouren geben die Angeklagten an, dass die nunmehrigen Zeugen dabei gewesen sind.
Ein 13-jähriger Zeuge, bei dem es schwer vorstellbar ist, dass er überhaupt die Gaspedale eines Autos erreichen würde, erklärt kurzerhand: "Wissen Sie was, ich verweiger' einfach die Aussage." "Das ist für einen Zeugen nicht vorgesehen", antwortet die Richterin nüchtern, während der Saal in Gelächter ausbricht. Selbst die Verteidiger steigen in das Lachen mit ein.
Bis auf mehrmalige Nachfragen mittels "Hä?" kann er jedoch nichts beisteuern, nach wenigen Minuten wird er wieder vor die Tür gesetzt. Dem nachfolgenden Zeugen geht es ähnlich, auch er will keine Aussage machen. "Das hatten wir schon", sagt die Richterin, sichtlich etwas genervt, und schickt auch ihn ebenfalls raus. Dort rotten sich die Kinder zusammen und warten auf die Urteilsverkündung.
"Stopp-Signal"
Die Staatsanwältin bekräftigt in ihrem Schlussplädoyer, dass es ein "Stopp-Signal" für den Hauptangeklagten geben müsse.
Die Richterin stimmt dem großteils zu, der 14-Jährige erhält zu seiner zehnwöchigen Haftstrafe, eine bereits rechtskräftige Zusatzstrafe von neun Monaten und zwei Wochen. Sechs Monate und zwei Wochen werden ihm bedingt nachgesehen. Zudem muss er in Psychotherapie und erhält für die Zeit nach seiner Entlassung Bewährungshilfe sowie eine Ausbildungs- und Wohnweisung.
Sein bisher unbescholtener Komplize erhält 15 Monate, davon zehn Monate bedingt. Weil er schon mehrmals durch aggressives Verhalten aufgefallen ist, muss er zusätzlich ein Anti-Gewalt-Training absolvieren. Nach der Haft wird ihm Bewährungshilfe zur Seite gestellt. Auch ihm wurde eine Ausbildungsweisung erteilt.
Die Jugendlichen nehmen die Urteile stoisch zur Kenntnis. Als sie von der Justizwache aus dem Saal geführt werden, grinst der 14-jährige Hauptangeklagte aber wieder: Er hat seine Freunde entdeckt, die bis vor kurzem noch Zeugen waren. "Grüßi Gotti", lacht er ihnen zu, als er weggeführt wird.
Der Gerichtstermin mag für ihn vielleicht das Staffelfinale gewesen sein. Seine noch unmündigen Freunde scheinen aber teils in den Starlöchern zu stehen, um die Protagonisten-Rolle von ihm zu übernehmen. Zumindest einer von ihnen hat aber vor Gericht betont, solche Einbrüche "macht er nicht mehr".
Zusammenfassung
- Ein erst 14-jähriger Hauptangeklagter mit über 100 staatsanwaltschaftlichen Vormerkungen, ein 16-jähriger Komplize, der mit einem gestohlenen Auto beinahe frontal in einen Streifenwagen gerast wäre, und unmündige Zeugen, die "die Aussage verweigern".
- In Wien beschäftigt ein jugendlicher "Systemsprenger" samt kindlicher Mittäter seit über einem Jahr die Behörden.
- Am Dienstag wurde er erneut zu mehreren Monaten Haft verurteilt.