Schwestern Bauernhof Eurotours Slowakei 202Puls 24/Franziska Schwarz

“Der Wolf ist so stark geschützt, aber wer schützt mich?”

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In der Slowakei müssen Nutztiere geschützt werden, damit es Entschädigungszahlungen gibt. Der hohe Schutzstatus des Wolfes wirft hier andere Probleme auf, aber eigentlich fürchtet man sich vor einem anderen großen Beutegreifer.

Vier riesige Hunde erwarten einen vor dem Hofeingang. Sie beobachten und bellen, sie erkennen alles Fremde. Erst als die zwei Frauen die Ankommenden grüßen, legen sich die Vierbeiner wieder zum Dösen hin. Die Hunde sind so groß wie Schafe und auch, wenn man keine Angst vor den Tieren hat sind sie respekteinflössend. Am Bauernhof gibt es einen großen Stall, aber der ist leer - die Schafe sind auf der Weide. 

Die Schwestern Jana (37) und Luci (38) sind Schafbäuerinnen in Pokryváč, in der Slowakei zwischen den hügeligen Ausläufen des Tatra-Gebirges nahe der polnischen Grenze. Die beiden haben 300 Schafe und verarbeiten im Sommer täglich mehr als 200 Liter Schafmilch zu Käse. Der Ort in dem sie leben hat keine 200 Einwohner und auch Google-Maps versagt bei der Wegbeschreibung. Unterhalten haben wir uns auf Englisch, auch deshalb sind manche Aussagen vielleicht etwas direkter, als sie es in der Muttersprache wären.

Seit 15 Jahren betreiben die beiden Ovčia Farma, übersetzt bedeutet das Schaf-Farm. Auch ihr Vater und ihr Großvater waren bereits Schafbauern.

Letztes Jahr wurden 20 ihrer Schafe in einer Nacht von einem Wolf gerissen. "Der Wolf soll schon existieren in der Wildnis, aber ich wünsche mir mehr Unterstützung von der Regierung", sagt Jana. Das Tier ist so stark geschützt, "aber wer schützt mich", fragt die Bäuerin.

Einen Bauern aus dem Nachbardorf hat es noch schlimmer erwischt: Hundert Schafe wurden in einer Nacht gerissen. Da hilft dann auch nur die Entschädigung bedingt, denn die "guten" Schafe sind weg, sagt Luci. Wolfsrisse sind erschreckend und traumatisch für die Geschädigten, manchmal töten die Wölfe viele Nutztiere, um dem Nachwuchs im Rudel zu zeigen, wie es geht.

Keine Riss-Entschädigung ohne Schutzversuch

In der Slowakei wird man bei Tier-Rissen von der Versicherung entschädigt. Voraussetzung dafür ist, dass versucht wurde, die Nutztiere zu beschützen - das ist in Österreich nicht so. Anerkannte Herdenschutzmaßnahmen sind Zäune unter Strom, Behirtung und Herdenschutzhunde. All diese Dinge haben sich Jana und Luci angeschafft.

Ein Schafshirte am HorizontPULS 24/Franziska Schwarz

Während des Gesprächs erschien der Hirte am Horizont. Hirten seien "ein bisschen faul", so die Interviewpartnerinnen.

Das mit dem Herdenschutz ist aber gar nicht so einfach: Hirten sitzen, so die Interviewpartnerinnen, eigentlich viel herum, erzählen sie mit einem frustrierten Unterton, als der Schafhüter um 16 Uhr am Horizont erscheint. Rund um die Uhr zu behirten wäre zu teuer, deshalb haben sie einen Hirten von Früh bis Nachmittag, danach werden die Schafe ins Innere der Umzäunung getrieben.

Ob der Stromzaun hält, was er verspricht, das wissen die beiden noch nicht. Aufgestellt haben sie ihn dieses Jahr im April, vor dem Auftrieb der Schafe auf die umliegende Hügellandschaft. Dabei haben sie auf Förderungen vom Staat verzichtet, weil sie das Geld im April gebraucht hätten und nicht im November. Es sei sehr bürokratisch, diese Art von EU-Förderung zu beantragen, so Luci. Insgesamt haben sie fünf Quadratkilometer eingezäunt, mehr geht finanziell nicht.

Herdenschutzhunde haben einen bestimmten Werdegang. In der Theorie brauchen die Hunde drei Dinge, damit sie die Schafe vor Wölfen und anderen Gefahren schützen. Erstens, der Herdenschutz ist ein Gruppenprojekt, es braucht mehrere Herdenschutzhunde, die nicht mit Hütehunden zu verwechseln sind.

Zweitens müssen sie mit den Menschen und den Tieren, die sie beschützen sollen, eine Beziehung haben. Im Idealfall werden sie sozialisiert, sobald sie Babys sind, sie sollen bei den Schafen schlafen und auch im Winter mit ihnen untergebracht sein.

Drittens, die Hunde müssen das Aufpassen von erfahrenen Herdenschutzhunden lernen. Die Vier am Hof von Luci und Jana gehören zur Hunderasse Owczarek Podhalański.

"Wir haben sie vielleicht nicht richtig erzogen", sagt Luci im Gespräch. Sie haben ihre Schutzhunde von ihren Eltern bekommen, aber nicht als Welpen. Die Hunde wurden zwar von erfahrenen Artgenossen angelernt, aber es fehlt das Vertrauen der Herde. Die Hunde wollen manchmal mit den Schafen spielen, aber das sei nur für die Hunde ein Spiel - die Schafe hätten Angst vor ihnen, erzählen die Schwestern.

Demnächst wollen sie selbst Herdenschutzhunde züchten, sie hoffen, dass die Schafe vor den Welpen keine Angst haben.

Schutz, aber nicht überall

Jana und Luci sind beide Mitglieder des Vereins der jungen Bauern in der Slowakei (ASYF - Association of Young Farmers of Slovakia). Auch der Vorsitzende Marian Glovat’ák wird angerufen, zum Treffen am Hof hat er es nicht geschafft. Er findet, dass es zu viele Wölfe in der Slowakei gibt. "Sie sollten schon in gewissen Gebieten geschützt sein, aber nicht dort, wo Landwirtschaft betrieben wird". Die Jäger sollten wieder schießen, dürfen, "aber nur eine kleine Anzahl". Von Ausrotten spricht hier niemand.

Seine Assistentin hat das Treffen koordiniert - sie, so erzählt Marian, hat besondere Schwierigkeiten mit den Wölfen. Sie hat, so die Geschichte, mit dem Auto aus Versehen einen Wolf getötet - auf der Straße, das Tier wollte sie überqueren. Nun ist der Wolf aber hoch geschützt und man darf ihn auch nicht "aus Versehen" überfahren. Die Assistentin musste eine Geldstrafe in der Höhe von 5.000 Euro bezahlen.

Jana und Luci schütteln ihre Köpfe, sie sind überrascht, dass die Strafe wirklich bezahlt werden musste.

Ein historisches Foto von Schafsbauern und -hirten mit einem HirtenhundPULS 24/Franziska Schwarz

Eine historische Aufnahme von Schäfern im Ethnographischen Museum Liptovský Hrádok. Prominent am Bild: Ein Herdenschutzhund der Rasse Slovenský Čuvač.

Einen dieser weißen Hunde hatten die Schwestern vom Schafhof auch einmal. Allerdings wurde er krank und nachdem er bei ihrer Tochter im Bett gesund gepflegt war, war er nicht mehr als Schutzhund zu gebrauchen, sagt Jana. 

Der andere große Beutegreifer

Wölfe sind aber nicht die einzigen sogenannten Beutegreifer, die in den slowakischen Wäldern beheimatet sind. Luchse (Lynx Lynx) sind genau wie Wölfe und Bären über die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU streng geschützt. Ein Luchs-Fell zeugt davon, dass man diese Raubkatzen früher gerne als Trophäe jagte. 

Ein LuchsfellPULS 24/Franziska Schwarz

Am Bild ist ein Luchs-Fell zu sehen. Heute dürfte man einen Luchs nicht mehr schießen.

Angesprochen auf das mutmaßliche "Schießen, Schaufeln, Schweigen" sagten die beiden Schaf-Schwestern, dass sie schon glauben, dass es (noch) passiert. Auch die Hirten früher hätten geschossen, man sprach nur nicht darüber, das Schweigen sei Teil des Jobs gewesen.

Auch Österreich will den Bären nicht

Angst haben die Menschen hier von einem anderen Tier. "Die Bären suchen kein Futter mehr oben auf den Bergen, sondern kommen in die Täler", sagt Luci. Wenn wir mit unseren Kindern in den Wald gehen, dann schreien wir, damit der Bär nicht kommt. Früher war das nicht so, sind die Schwestern überzeugt.

In der Slowakei gibt es den Witz, dass man einem anderen Land die Bären schenken will, das Geschenk aber von allen abgelehnt wird. Auch Österreich will ihn nicht, sagen die Schwestern.

Angesprochen darauf, ob auch vor Wölfen eine ähnliche Angst herrscht, wird gelacht. Wölfe sind scheu, sagt Jana. Sie erzählen von einem Bären, der bei der Stadt Martin in der Slowakei einen Teenager attackiert hat. Dessen Mutter soll dann den Jungen mit einer Heugabel gerettet haben - verifizieren kann ich die Geschichte nicht, die beiden sind sich aber sicher.

Umweltschutz und Bauernschutz

Bei der abschließenden Hof-Führung ist auch der Vater der beiden vorbeigekommen. Er spricht kein Deutsch, es wird erklärt, was hier vor sich geht. Er lacht und sagt: "Österreich hat ja keine Wölfe, auf jeden Fall nicht so viele, wie die Slowakei." Auch seine Töchter hätten eigentlich keine Erfahrung mit dem Problem, so der langjährige Schafbauer.

Jana und Luci haben nur einmal in ihrem Leben einen Wolf gesehen. Ein kranker Wolf habe, als sie beide studierten, alle paar Tage ein einziges Schaf vom Hof ihrer Eltern getötet.

Auch wenn bei Ihnen letztes Jahr zwanzig Tiere gerissen wurden, haben die Schwestern eigentlich kein großes Problem mit dem Wolf, sagen sie. Sie hätten aber trotzdem gerne Balance zwischen Umweltschutz und Unterstützung für die Bauern.

Ermöglicht wurde die Reise in die Slowakei durch das Projekt "Eurotours" des Bundeskanzleramts. Die Kosten für Unterkunft und Anreise wurden übernommen. Im Blog des Projekts gibt es alle Berichte aus den EU- und Balkanländern zu lesen.

ribbon Zusammenfassung
  • Wie gehen andere Länder mit dem Wolf um?
  • In der Slowakei war der Wolf nie ausgerottet, man hat mit dessen Management also 150 Jahre mehr Erfahrung.
  • Was nutzen elektrische Zäune und Herdenschutzhunde, worauf kommt es an?
  • Die Schaf-Bäuerinnen Jana und Luci erklären, wie sie ihre Schafe schützen.
  • Auch wenn 20 ihrer Schafe gerissen wurden, will in der Slowakei niemand den Wolf ausrotten.

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