Amoklauf in Graz
Religionslehrer allein in Klasse: Entschied mich, "zu laufen"
Acht Schüler und zwei Erwachsene kamen am Dienstagvormittag ums Leben, als ein 21-jähriger Steirer das Feuer im BORG Dreierschützengasse eröffnete.
Religionslehrer und evangelischer Pfarrer Paul Nitsche war zu diesem Zeitpunkt alleine in einer Klasse. Er habe gehört, "wie die Schüsse fallen und bin mir dann bewusst geworden, dass in so einer Situation als Lehrer, allein in der Klasse, eine schlechte Ausgangslage ist", erzählt er am Tag danach PULS 24.
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"Die Tür war offen, ich hab‘ mich auch nicht mehr getraut, sie zuzumachen. Dann hab‘ ich mich entschieden, zu laufen. Ich bin von der Klasse bissl über den Gang, ins Stiegenhaus und runter", schildert er.
Dabei habe er auch "einen kurzen Blick" auf den Täter geworfen. Der habe gerade "mit seinem Gewehr" versucht, "das Türschloss aufzuschießen".
Miteinander reden und schweigen
Wie viele andere hat Nitsche sich Mittwochfrüh vor der Helmut-List-Halle eingefunden. Dort fallen sich regelmäßig Schüler:innen in die Arme, einige von ihnen haben Blumen mitgebracht.
Auch Nitsche ist hier, um ein offenes Ohr für die Gymnasiast:innen zu haben. "Das miteinander Reden ist, glaube ich, der Schlüssel zu allem. Oder auch das miteinander Schweigen oder das Zuhören."
"Wir gehören zusammen"
Dem stimmt auch Edwin Benko, Leiter des Kriseninterventionsteams Steiermark zu: "Es ist besonders wichtig, nach solchen unfassbaren Ereignissen zu merken: Wir gehören zusammen. Freunde, die’s noch gibt, die da sind, mit denen kann ich mich austauschen, ich bin nicht alleine. Sie können mir Halt geben, wir können gemeinsam lachen, weinen und Fragen stellen."
Das Kriseninterventionsteam ist gemeinsam mit der Schulpsychologie vor Ort, um betroffene Schüler:innen und Lehrer:innen zu unterstützen. Dabei hätten die Menschen "ganz unterschiedliche Reaktionen".
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Ähnliches erzählt auch Nitsche. Er habe am Dienstag mit vielen Schüler:innen gesprochen. "Manche haben geweint, manche waren tapfer, manche haben einander getröstet. Es war einfach alles dabei."
Täter ist "momentan wurscht"
Nebensächlich sei für alle gerade der Täter. "Es klingt jetzt komisch, aber uns ist allen der Täter momentan wurscht", betont der Religionslehrer.
"Es geht um die Schüler, um die leeren Plätze. Wir haben gerade echt andere Themen, als die Schuldfrage zu stellen. Das ist für mich als Pfarrer total komisch", fügt er hinzu.
Wie es nun weitergehe, sei noch unklar, aber Nitsche ist sich sicher, dass man das als Schulverband "irgendwie meistern" würde. Klar ist vorerst einmal nur, dass Trauerarbeit vor allem eines braucht: Zeit.
Video: Schock und Trauer in Graz
Zusammenfassung
- Am Dienstagvormittag erschütterte ein Amoklauf das BORG Dreierschützengasse in Graz.
- Der mutmaßliche Täter, ein 21-jähriger Österreicher, tötete zehn Menschen.
- Religionslehrer Paul Nitsche war zu der Zeit alleine in einem Klassenzimmer und musste schnell handeln: "Dann habe ich mich entschieden, zu laufen."