Josef VotziJosef Votzi/PULS 24

Kurz, ein Fall für den ÖVP-Ethikrat?

In der ÖVP machte der Wunsch die Runde, Sebastian Kurz möge den NÖ-Wahlkampf entlasten und seine Partei-Mitgliedschaft ruhend stellen. Kurz will von einer Beziehungspause nichts wissen. Werden seine Chats - nach Vorbild von "Presse" und ORF – nun ein Fall für den ÖVP-Ethikrat?

Wann immer die WKStA eine Auswertung seiner 300.000 Chats zum Casino-Akt gibt, sorgt der ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium und Co-Regisseur der türkisen Machtergreifung für neue Aufregung.

Der manische Diener vieler Herren gibt jetzt selbst bei der Aufarbeitung der türkisen Skandal-Ära den Takt vor. Bis zum Auftritt von Thomas Schmid im ÖVP-Korruptions-Ausschuss am Tag nach Allerseelen war es beschlossene Sache: Die Mandatare beenden die weiteren Versuche der Befragung von Auskunftspersonen endgültig am 9. Dezember.

Nach dem Aussageverweigerungs-Marathon eines der wichtigsten Steigbügelhalter von Sebastian Kurz geht der Ausschuss nun doch in die Verlängerung. Denn die Abgeordneten wollten sich im Finale nicht ausgerechnet von einer Schlüsselfigur des türkisen Netzwerks als zahnlos vorführen lassen. Die Mandatare suchen ihre Aufdecker-Ehre mit einer neuerlichen Vorladung von Schmid zu retten.

NÖ in Panik: Korruptions-Ausschuss droht Mikl-Leitners Wiederwahl zu überlagern

Wie immer dieser neue Anlauf ausgeht, der Ausschuss geht damit zumindest bis kommenden Jänner in die Verlängerung. Und droht damit auch die heiße Phase des niederösterreichischen Wahlkampfs zu überlagern. Als Wahltag wurde der 29. Jänner 2023 just am Tag des Schmid-Auftritts fixiert. In der niederösterreichischen ÖVP löst das zunehmend Panik aus. Eine zuletzt nur noch vage schwarze Hoffnung ist damit endgültig dahin: Ein paar Wochen Adventruhe, Weihnachts- & Neujahrsfrieden ohne Bad News aus dem ÖVP-Korruptionsaussschuss, um anschließend nach einem kurzen und knackigem Wahlkampf mit halbwegs heiler Haut davonzukommen.

In internen niederösterreichischen ÖVP-Runden waren so zuletzt öfter Sätze wie diese zu hören: "Wir dürfen nicht mehr am Gängelband von Sebastian Kurz hängen." Die niederösterreichische ÖVP, die als letzte Landespartei über eine absolute Mehrheit in einem Bundesland verfügt, müsse ein klares Zeichen der Distanz zu den türkisen Umtrieben setzen.

SOS-Ruf in NÖ-Parteikreisen: Kurz soll seine ÖVP-Mitgliedschaft auf Eis legen

In der ÖVP-Niederösterreich nahm daher eine, in höchsten Parteikreisen rund um das niederösterreichische Landhaus in St. Pölten kreierte, Idee zuletzt massiv an Fahrt auf: Sebastian Kurz solle - solange die Ermittlungen laufen - seine Mitgliedschaft in der Partei ruhend stellen.

Befeuert wurde die Idee dadurch, dass Kurz mit seinem Ex-Weggefährten Schmid ein Glaubwürdigkeits-Duell zu eröffnen suchte. Mit dem Outing eines heimlich aufgenommenen Tonbands rührte Kurz die Skandalsuppe nicht nur neu auf. Er scheint auch entschlossen, jede Gelegenheit für einen neuen Waffengang zu nutzen.

Kurz setzt weiter auf öffentliches Glaubwürdigkeits-Duell mit Schmid

Denn der 36-Jährige wirkt auf alle, die zuletzt mit ihm zu tun hatten, ganz auf Kampf gepolt. Gesprächspartner erleben ihn freilich immer öfter mit Tunnelblick. Das lässt auch Kurz-Fans in der ÖVP fürchten, er könne im Zweikampf mit Schmid noch mehr an der Eskalationsspirale drehen.

Der türkise Heilsbringer außer Dienst soll sich ÖVP-intern so auch mit Händen und Füßen gegen die Idee gewehrt haben, seine ÖVP-Mitgliedschaft auf Eis zu legen. Anhänger der Idee in der ÖVP argumentieren: Nach dem "Schritt zur Seite" als Kanzler im Oktober des Vorjahrs und dem Rückzug als Partei-Chef im Dezember würde er der, weiter im freien Fall befindlichen, ÖVP damit nicht nur einen Dienst erweisen. Er könne so auch das massiv bestärkte Bild korrigieren, dass es ihm in seiner Abwehrschlacht einmal mehr nur um ihn selber gehe.

Von Kurz, sagen Parteifreunde, ist genau deswegen eine Suspendierung seiner ÖVP-Mitgliedschaft nicht zu erwarten. Er betrachte einen solchen Schritt als ein selbstschädigendes Schuldeingeständnis. Wird Beziehungspause mit Kurz ein Fall für den ÖVP-Ethikrat?

Nur unverbesserliche Optimisten in der ÖVP sagen: Es wäre nun an Karl Nehammer, bis zur juristischen Klärung der Vorwürfe von sich aus eine Beziehungspause zwischen Kurz und der ÖVP auszurufen. Dieser denkt freilich keine Sekunde daran, lässt er verlauten. Dabei hätte der ÖVP-Chef seit gestern ein Argument mehr an der Hand: "Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak und ORF2-Chefredakteur Matthias Schrom stellen wegen persönlich belastender Chats ab sofort ihre Führungsjobs ruhend.

In beiden Fällen wurde, soweit bisher bekannt, juristisch keine rote Linie überschritten. Im Fall von Nowak hat die WKStA einschlägige Ermittlungen bereits folgenlos eingestellt. Im Fall von Schrom waren mögliche juristische Verfehlungen bislang kein Thema. Eine interne Kommission des "Presse"-Eigentümers Styria und ein ORF-Ethikrat sollen nun die offenen ethischen Fragen jenseits von Strafrechts-Paragraphen klären. Sebastian Kurz hat zwar kein ÖVP-Amt mehr inne, steht aber nach wie vor für eine prägende Phase als oberster Repräsentant der ÖVP.

In der Volkspartei hat jüngst ein längst verschollen geglaubter Ethikrat ein Lebenszeichen gegeben. Wer, wenn nicht dieser, wäre prädestiniert, ÖVP-Funktionären wie jenen in Niederösterreich aus der Zwickmühle zu helfen. Und jenseits von staatlichen Paragraphen offene Fragen wie diese zu klären: Ist das Agieren von Sebastian Kurz, das sich allein aus den Chats erschließt, mit dem Verhaltens-Kodex der ÖVP vereinbar?

Josef Votzi ist Journalist und Kolumnist des Magazin "Trend": Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage"  jeden Freitag neu auf trend.at

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  • In der ÖVP machte der Wunsch die Runde, Sebastian Kurz möge den NÖ-Wahlkampf entlasten und seine Partei-Mitgliedschaft ruhend stellen.
  • Kurz will von einer Beziehungspause nichts wissen.
  • Werden seine Chats - nach Vorbild von "Presse" und ORF – nun ein Fall für den ÖVP-Ethikrat?