APA/dpa/Lino Mirgeler

Wolf-Abschuss: So hebeln die Länder den Artenschutz aus

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Mit Verordnungen gehen die Bundesländer gegen Raubtiere wie Wölfe vor, das ist ein Strategiewechsel. Rechtlich verhindert das die Mitbestimmung und rechtliche Kontrolle durch Umweltschutzorganisationen. Experten vermissen eine sachliche Debatte auf Faktengrundlage und sehen eine EU-Rechtsverletzung.

Lange wurden Wolfsabschüsse rechtlich über Bescheide geregelt. In Niederösterreich, Tirol und Kärnten wird die "Entnahme", also die Tötung, nun mit Verordnungen geregelt, auch in Oberösterreich ist das ab 1. Juli möglich. Entwürfe gibt es auch für Salzburg und in der Steiermark. 

Der entscheidende Unterschied zwischen der bisherigen Regelung per Bescheid und der neuen per Verordnung: Bescheide können von Umweltschützern rechtlich angefochten werden, das hat eine aufschiebende Wirkung. Gegen Verordnungen gibt es keine Einspruchsmöglichkeiten mehr. 

Unrecht kann nicht geltend gemacht werden

Dass niemand diese Entscheidungen anfechten könne, das sei nicht europarechtskonform, so Umweltrechtlerin Erika Wagner von der Johannes Kepler Universität. 

Wenn Länder dieses Recht auf Einsprache der NGOs abschneiden, dann müsse das Thema eigentlich vor den Europäischen Gerichtshof – allerdings können die NGOs nach der österreichischen Rechtsordnung ohne Parteistellung und ohne Beschwerderecht nicht den EuGH anrufen. 

Die rechtliche Grundlage

EU-weit sind Wölfe durch die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) der EU geschützt. Diese wird in der Gesetzgebung der Bundesländer umgesetzt, in sieben Bundesländern in der Form des länderspezifischen Jagdgesetzes und zeitlich befristeter Verordnungen. In Oberösterreich ist eine Abschussverordnung aktuell in Begutachtung. Nur das Burgenland, Wien und Vorarlberg haben oder planen aktuell keine Verordnung. 

Es ist auf Basis der EU-Richtlinie nur in ganz bestimmten Fällen zulässig, einen Wolf zu schießen, solange der "günstige Erhaltungszustand" noch nicht erreicht ist. Das deutsche Bundesministerium für Umwelt definiert, dass Wölfe in ihrem natürlichen Lebensraum leben können und langfristig nicht vor dem Ausrotten bedroht sind – dann wäre dieser "günstige Erhaltungszustand" erreicht. 

Zum Vergleich: In Deutschland gab es 2022 insgesamt 1.175 Einzeltiere in Rudeln, Paaren und im Alleingang. In Österreich waren es 2022 insgesamt 31 Wölfe in vier Rudeln. Für Jäger und Bauern scheint jeder einzelne Wolf in Österreich zu viel zu sein, diese Einstellung steht im Gegensatz zu den Artikeln der FFH-Richtlinie.

Artenvielfalt zweitrangig?

Von verschiedenen Seiten wurde in Österreich in der Vergangenheit der Wunsch geäußert, den Wolf aus der FFH-Richtline herauszunehmen. Dabei sei die FFH-Richtlinie nicht das Problem, die Erhaltung der Umwelt vor dem Hintergrund der Klimakrise sei wichtig, so Daniela Ecker vom Institut für Umweltrecht der Johannes Kepler Universität Linz. Es sollten aufgrund des akuten Artensterbens in Zukunft noch mehr Arten aufgenommen werden in die Richtlinie, sagt sie.

Nach Ansicht von Juristin Erika Wagner wäre es der richtige Umgang mit dem Wolf, finanziell die Landwirte in Zukunft mit der Setzung von Herdenschutzmaßnahmen zu unterstützen. Bei der Abgeltung von gerissenen Tieren sollte ihrer Ansicht nach mitberücksichtigt werden, ob Herdenschutzmaßnahmen zumutbar waren und dennoch nicht ergriffen wurden. 

Auch der prominente österreichische Biologe Kurt Kotrschal sieht das einem Interview mit der niederösterreichischen Wochenzeitung "NÖN" so. Die niederösterreichische Landesregierung würde den Menschen hier eine Lösung vorgaukeln.

Umweltjurist Gregor Schamschula sieht hier Handlungsbedarf in Österreich: Es bräuchte eine bessere Datengrundlage, Alternativprüfungen und fachlich und rechtlich korrekte Lösungen. Es fehle in Österreich zum Wolf an ordentlichen Managementplänen und rechtlichen Kontrollen für die Entnahme - also Tötung. 

Teure Vertragsverletzung

Gregor Schamschula ist Umweltjurist beim Ökobüro – Allianz der Umweltbewegung. Mit dem WWF Österreich bearbeitet er Fälle im Bereich Artenschutz. Er ist nicht prinzipiell gegen den Abschuss von Wölfen, allerdings müsse das Management von geschützten Tierarten in Österreich dringend überarbeitet und konstruktiv gestaltet werden, so der Jurist gegenüber PULS 24. 

In der Vergangenheit wurden Abschussbescheide von Umweltschutzorganisationen, die auch von dem Ökobüro unterstützt werden, angefochten. Weil den Bescheiden der Länder die Rechtsgrundlagen fehlten, wurden sie von den Landesverwaltungsgerichten aufgehoben. Der "Ausschluss" von Umweltschutzorganisationen aus dem Rechtsschutz durch fehlende Einspruchsmöglichkeit widerspricht dem Völkerrecht und dem Unionsrecht, so Schamschula.

Aktuell führt die EU-Kommission deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich, so der Umweltjurist. Um sich die Größenordnung eines solchen Verfahrens vor Augen zu führen: Der Tagessatz für jeden Tag der Verletzung liegt zwischen 2.788 und 167.280 Euro. Pauschal liegt die Zahlumsetzung für Österreich aktuell bei 2.312.000 Euro.

Wieviel Geld für gerissene Tiere gezahlt wird

Auf den Kosten für den Riss eines Tieres bleiben Landwirte in Österreich nicht sitzen. Aus den Länderbudgets werden über Jägerschaft oder Landwirtschaftskammer Entschädigungen bezahlt. Dazu muss der Rissgutachter, das ist häufig der Wolfsbeauftragte des jeweiligen Bundeslandes, das tote Tier begutachten.

Tirol und Salzburg haben Kulanzregelungen, bei denen es finanzielle Entschädigung auch für wahrscheinlich von einem großen Beutegreifer verletzte Tiere gibt. Im Jahr 2022 wurden insgesamt 447.910,16 Euro als Entschädigung für Schäden von Wolf, Bär und Goldschakal ausbezahlt, so das Österreichzentrum Bär Wolf Luchs gegenüber PULS 24.

Nicht alle Länder fördern Herdenschutzmaßnahmen

Ob es Herdenschutzmaßnahmen gab, muss dabei nicht nachgewiesen werden. Herdenschutzmaßnahmen werden in Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg gefördert. Keine Förderung für Prävention gibt es in Kärnten, dem Burgenland, der Steiermark und Wien.

An sich gibt es Geld für den Tierschutz: Im Rahmen des europäischen Green Deals wurde das ÖPUL Budget um 130 Millionen Euro erhöht. Im Rahmen dieses Programms soll die Diversität in der Umwelt gefördert werden. Finanziell gefördert wird "zeitgemäßes und standortangepasstes" Weidemanagement.

Anders als in Österreich muss zum Beispiel in Bayern nachgewiesen werden, dass Risspräventionsmaßnahmen getroffen wurden, um entschädigt zu werden. In definierten Wolfsgebieten müssen entsprechende Herdenschutzmaßnahmen getroffen werden.

Umweltschutz gegen Artensterben

"Der Wolf ist in Österreich heimisch und erfüllt eine wichtige Funktion in unseren fragilen Ökosystemen. Inmitten des größten Artensterbens seit 66 Millionen Jahren und der Klimakrise können wir uns den rücksichtslosen Umgang mit Umwelt und Natur nicht mehr leisten. Nur gesunde Ökosysteme helfen uns auch im Kampf gegen die Klima- und Biodiversitätskrise", sagt Umweltrechtler Schamschula.

Neben dem Artenschutz befasst sich die FFH-Richtlinie auch mit dem Habitatschutz, also dem Schutz der Lebensräume. Österreich hat keine Gebiete ausgeschildert, in denen der Wolf geschützt wäre. Bereits 1999 liefen gegen Österreich zwei Vertragsverletzungsverfahren wegen mangelnder Umsetzung der FFH-Richtlinien und der Vogelschutzrichtlinie. 

ribbon Zusammenfassung
  • Mit Verordnungen gehen die Bundesländer gegen Raubtiere wie Wölfe vor, das ist ein Strategiewechsel.
  • Rechtlich verhindert das die Mitbestimmung und rechtliche Kontrolle von Umweltschutzorganisationen.
  • Experten vermissen eine sachliche Debatte auf Faktengrundlage und sehen eine EU-Rechtsverletzung.
  • So werden Herdenschutzmaßnahmen nicht in allen Bundesländern gefördert.
  • Auch ist die Datenlage in Österreich mager.