Architektur-Rendering der Seestadt WienDaniel Hawelka

Warum die 15-Minuten-Stadt Verschwörungsgläubige alarmiert

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Der Glaube an konspirative Machenschaften von mächtigen Zirkeln macht neuerdings auch vor dem Forschungsgebiet der Raumplanung nicht Halt. Im Fokus der irrationalen Befürchtungen steht das Konzept der "15-Minuten-Stadt" des Wissenschaftlers Carlos Moreno.

Das Konzept der 15-Minuten-Stadt bedeutet, dass Bewohner:innen eines Grätzls ihre täglichen Ziele wie Geschäfte, Parks, Büro, Kindergarten oder Schule in kurzer Zeit ("15 Minuten") zu Fuß oder per Rad erreichen können. Die Leute würden dadurch weniger Auto fahren, ist der Vater des Konzepts, der französisch-kolumbianische Stadtforscher Carlos Moreno, überzeugt. So weit, so harmlos.

Nun aber haben Verschwörungsgläubige die "15-minute city", wie das Konzept auf Englisch heißt, für sich entdeckt und weltweit zum neuen Hassobjekt erkoren. Die Theorie lautet in etwa, die 15-Minuten-Stadt solle dazu dienen, die täglichen Wege der Menschen zu überwachen sowie die Mobilität und damit die Freiheit im Namen des Klimaschutzes einzuschränken.

Auf fruchtbaren Boden fällt die 15-Minuten-Stadt-Verschwörungstheorie insbesondere in Großbritannien. Der britische Rechtspopulist und Impfgegner David Kurten behauptet zum Beispiel, das Konzept der 15-Minuten-Stadt sei Teil einer sogenannten "Agenda 2030", womit der diabolische "Great Reset" ("Große Neustart") gemeint sein dürfte, den Verschwörungstheoretiker herbeifantasieren.

David KurtenScreenshot Twitter

Raumkonzept angeblich Teil der Verschwörung

Der Begriff "Great Reset" geht tatsächlich zurück auf eine Vision des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos: Dort wollte man für die Zeit nach der Covid-19-Pandemie bessere Antworten auf Herausforderungen wie den Klimawandel finden. Verschwörungsideolog:innen wittern dahinter aber den Plan "der Eliten", die Bevölkerung zu überwachen, zu unterwerfen und auszubeuten. Die 15-Minuten-Stadt gilt neuerdings als Baustein dieser vermeintlichen Geheimpläne.

Dabei ist der Wunsch, Städte angesichts des sich verschärfenden Klimawandels anders als früher zu planen, durchaus nachvollziehbar, wie beispielsweise der britische Journalist und Fahrrad-Fan Carlton Reid in einem aktuellen Video auf Twitter darlegt.

Eindämmung des Autoverkehrs

Warum die Aufregung gerade in Großbritannien groß ist? Weil es dort bereits konkrete und weitreichende Ideen zur Umsetzung des 15-Minuten-Konzepts gibt. In Oxford zum Beispiel will man ab 2024 ein Zonen-Experiment wagen: Die Universitätsstadt soll in sechs 15-Minuten-Zonen geteilt werden und Autofahrer:innen deren Grenzen zwischen 7.00 Uhr und 19.00 Uhr nur noch mit Genehmigung passieren dürfen. Andernfalls droht eine Geldstrafe. Laut Medienberichten soll eine Geldbuße 35 Pfund betragen. In sozialen Medien kursieren darüber Falschmeldungen wie ein "Klima-Lockdown" oder, dass Bürger:innen in ihrer 15-Minuten-Zone eingesperrt würden.

Stadtplaner:innen begründen das Vorhaben in Oxford unter anderem damit, dass die Stadt seit dem Jahr 1900 von rund 60.000 auf knapp 160.000 Einwohner gewachsen sei. Historische Städte wie Oxford seien niemals so angelegt gewesen, dass in ihren Zentren Tausende Autos fahren und parken.

Stadt der kurzen Wege

Auch auf dem europäischen Festland versuchen viele Großstädte, sich dem Prinzip der 15-Minuten-Stadt anzunähern. Weil die Einwohnerzahlen in Städten steigen und für neue Autos der Platz fehlt, aber auch weil fortschrittliche Stadtverwaltungen die Luftqualität und das Klima besser als früher schützen wollen. Bestrebungen, den sogenannten "Modal Split", also die Verteilung des Verkehrs so zu steuern, dass mehr Menschen zu Fuß gehen, das Fahrrad nehmen oder mit Öffis fahren, sieht man in Paris, Barcelona, Mailand und auch in Wien.

Die neu geschaffene Seestadt Aspern im 22. Wiener Gemeindebezirk ist ein Beispiel für das Konzept der 15-Minuten-Stadt. Die Planer:innen strebten für den Stadtteil einen Modal Split von 40 Prozent Radfahrten, 40 Prozent öffentlicher Verkehr und nur 20 Prozent Autofahrten an.

Derzeit leben schon mehr als 9.500 Menschen in der Seestadt, wie es seitens der Immobiliengesellschaft 3420 Aspern, die das Quartier entwickelt, heißt. Dass die Seestadt-Bewohner:innen durch das Konzept der 15-Minuten-Stadt eingesperrt werden, kann man getrost ausschließen.

ribbon Zusammenfassung
  • Der Glaube an konspirative Machenschaften von mächtigen Zirkeln macht neuerdings auch vor dem Forschungsgebiet der Raumplanung nicht Halt.
  • Im Fokus der irrationalen Befürchtungen steht das Konzept der "15-Minuten-Stadt" des Wissenschaftlers Carlos Moreno.