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Van der Bellen: Ruheanker der Republik sichert sich zweite Amtszeit

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Stolze 13 Jahre nach Erreichen des Pensionsalters hat sich Alexander Van der Bellen am Sonntag einen Job für die kommenden sechs Jahre gesichert. Wohl mehr wegen seiner soliden ersten Amtszeit als wegen eines inspirierten Wahlkampfes.

Als Van der Bellen vor sechs Jahren nach seiner epischen Wahlschlacht gegen Norbert Hofer dann doch noch die Hofburg erreichte, war nicht absehbar, dass die durch Wahlwiederholung und -verschiebung in die Länge gezogene Kampagne noch das geringste Problem für den Staatschef gewesen sein würde. Regierungskrise um Regierungskrise, Corona und zuletzt die russische Aggression in der Ukraine - zu tun gab es immer.

Ruheanker in instabilen Zeiten

Van der Bellen schaffte es, sich in einer für österreichische Verhältnisse ungewöhnlich instabilen Zeit als Ruheanker zu bewähren. Klar, Wähler wie Politiker rechts der Mitte wurden mit dem langjährigen Grünen-Bundessprecher auch als Staatsoberhaupt nicht warm. Ebenso offensichtlich: diejenigen vor allem links der Mitte, die die ÖVP unbedingt aus der Regierung fallen sehen wollten, fanden den Präsidenten vor allem Sebastian Kurz gegenüber viel zu gnädig.

Chronologie der Ära Van der Bellen

Doch die Mehrheit in der Mitte des Landes demonstrierte am Sonntag an der Wahlurne, dass es Van der Bellen sechs Jahre lang dann doch ganz gut gemacht haben dürfte. Nicht umsonst verzichteten bis auf die Freiheitlichen alle Parlamentsparteien auf eine Gegenkandidatur. Die NEOS unterstützten den Alt-Grünen ganz offen, die SPÖ zumindest in Wien ebenso, die Bundespartei doch deutlich schüchterner wie auch die Volkspartei, wo aber auch prominente Proponenten wie Tirols Landeshauptmann Günther Platter oder Kanzleramtsministerin Karoline Edstadler aus ihrer Stimme für den Amtsinhaber kein Geheimnis machten.

"So sind wir nicht"

Dabei wurde es dem gebürtigen Wiener, der im Tiroler Kaunertal aufgewachsen war, wirklich nicht leicht gemacht. Vor allem die Ibiza-Affäre mit all ihren Folgen hatte historische Züge, was die Rolle der Hofburg anging. Den damaligen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) berief er auf Wunsch von Kanzler Kurz ab, eine Regierung wurde vom Nationalrat abgewählt, Regierungschefs wie Minister kamen und gingen.

Van der Bellen vertraute öffentlich auf die Schönheit der Verfassung, gab tröstende Worte ("So sind wir nicht") und setzte zwischendurch auch noch ein gesellschaftspolitisches Zeichen, als er mit Brigitte Bierlein an der Spitze einer Expertenregierung die erste Kanzlerin des Landes installierte. Bei all dem blieb der Präsident mehr gütig als streng, selbst Türkis-Blau, kaum seine Wunsch-Konstellation, hatte er mit gelassener Freundlichkeit angelobt.

Putin falsch eingeschätzt

Als seinen größten Fehler gab Van der Bellen danach gefragt an, Wladimir Putin falsch eingeschätzt zu haben. Ansonsten fiel er außenpolitisch nicht sonderlich auf. Corona nahm der Präsident von Anfang an ernst, leistete sich nur die Peinlichkeit, bei einem Abendessen mit Freunden die damals höchst unbeliebte Sperrstunde zu überziehen. Inhaltlich trieb Van der Bellen in erster Linie den Kampf gegen die Klimakrise voran, je näher die Wiederwahl kam, umso mehr entdeckte er mit offensiven Festspiel-Reden auch die Moral in der Politik als Thema.

Gar so streng wie manche seiner früheren Parteikollegen war Van der Bellen eigentlich nie, vielleicht weil er quer eingestiegen war. Für die Politik entdeckt wurde der Volkswirtschaftsprofessor vom langjährigen Grünen-Einzelkämpfer Peter Pilz. Nach einer gescheiterten Kandidatur für das Amt des Rechnungshof-Präsidenten zog Van der Bellen 1994 in den Nationalrat ein, dem er dann auch bis 2012 angehört. Rasch wurde er zum ruhigen Star der Partei und 1997 zu deren Chef. Die Amtszeit war großteils von Wahlerfolgen geprägt und dauerte für Grüne Verhältnisse damals fast unglaubliche elf Jahre. Van der Bellens größte Enttäuschung in der Ära war das Platzen der schwarz-grünen Regierungsgespräche mit Wolfgang Schüssel (ÖVP).

"Window of Opportunity"

Als Van der Bellens Karriere in den 2010er-Jahren mit einem Mandat im Wiener Landtag und seinem eher belächelten Job als Universitätsbeauftragter der Stadt dem Ende zuzugleiten schien, eröffnete sich mit der Hofburg-Wahl 2016 plötzlich ein "Window of Opportunity". Durch dieses schlüpfte der damals schon 72-Jährige und fand schnell Gefallen am neuen Job. Van der Bellen hatte zwar nicht die Volkstümlichkeit seines Vorgängers Heinz Fischer, doch war er schon irgendwie greifbar, etwa wenn er höchstpersönlich Hund Juli bei deren Geschäften nahe der Hofburg begleitete.

Medienauftritte Van der Bellens wurden jedoch selten. Sein Team ließ ihn lieber one-way via Social Media oder TV sprechen als in Interviews ziehen, die in früheren Zeiten durchaus Unterhaltungswert hatten, tendierte er doch dazu, nicht nur das Erwartete zu sagen. Auch im Wahlkampf wich er Konfrontationen mit seinem Herausforderer-Sextett aus, unangenehme Fragen machten ihn eher grantig. Daneben gab es so manche Seltsamkeit vom tanzenden Präsidenten bis zur Wahlempfehlung seines Hundes. Andererseits, auch Heinz Fischer war dereinst als DJ Heifi unterwegs.

Wie turbulent die zweite Amtsperiode für den Sohn einer estnischen Mutter und eines russischen Vaters sein wird, ist noch schwer absehbar. Durchhalten will Van der Bellen sie jedenfalls. Einzig wenn er merkt, dass es ihm zu viel wird, würde er meinen: "Oida, es reicht". Zumindest hat er das kurz vor der Wahl versprochen.

ribbon Zusammenfassung
  • Stolze 13 Jahre nach Erreichen des Pensionsalters hat sich Alexander Van der Bellen am Sonntag einen Job für die kommenden sechs Jahre gesichert.
  • Wohl mehr wegen seiner soliden ersten Amtszeit als wegen eines inspirierten Wahlkampfes.
  • Wer ist Alexander Van der Bellen?

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