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Van der Bellen: Entwicklung in Afghanistan unklar

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Die Machtübernahme der radikalislamistischen Taliban war das außenpolitische Topthema der vergangenen Wochen, doch wurde es bei der aktuellen UN-Generaldebatte bisher kaum angesprochen. Diese Einschätzung äußerte Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einem Interview mit der APA-Austria Presse Agentur. Es sei offenbar noch zu unklar, wie es in Afghanistan weitergehe. Doch dürften dort künftig Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eine wichtige Rolle spielen.

Bezüglich der Verteilung von Corona-Impfstoffen gebe es ein Ungleichgewicht zwischen den Ländern des Nordens und jenen des "globalen Südens", konstatierte Van der Bellen. Während in Europa Vakzine sogar im Überschuss vorhanden seien, würden Länder in Afrika oder Lateinamerika verzweifelt danach suchen. In Europa und Österreich hingegen würden ungeimpfte Personen, die sich mit Corona infiziert haben, die Spitalskapazitäten blockieren, kritisierte Van der Bellen.

Beim Thema Kampf gegen den Klimawandel ortete der Bundespräsident "Bewegung", zumal "der Markt" die Bedeutung und Risiken des Themas erkannt habe. Beim sich abzeichnenden globalen Machtkampf zwischen den USA und China um Hegemonie in der Welt, dürfen sich die europäischen Länder nicht vereinnahmen lassen, mahnte der Bundespräsident. Vielmehr müssten sie selbstbewusst ihre eigenen Interessen vertreten.

Im Folgenden das APA-Interview mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Wortlaut:

APA: Nach dem Machtwechsel in Afghanistan gibt es Befürchtungen, dass das Land zu einem sicheren Hafen für Terroristen werden könnte. Teilen Sie die Befürchtung? Wurde das bei der UNO-Generaldebatte thematisiert? Und wie schätzen sie die ersten sozialen Entwicklungen in Afghanistan ein? Etwa in Bezug auf Frauen und Mädchen.

Van der Bellen: Grundsätzlich war Afghanistan bei den Eröffnungsreden kaum ein Thema. Das waren die Pandemie, die Klimakrise, Digital Divide, also der weltweite Zugang zum Internet, und dann Gender Divide, die Nichtgleichberechtigung von Frauen. Das kann man schon auch auf Afghanistan beziehen, aber es ist eine weltweite Frage. Ich glaube, diese Nichtbetonung hat einen Grund: Wir wissen zu wenig, wie es in Afghanistan ausschaut, und vor allem, wie es dort weitergeht. Afghanistan hat hier keine offizielle Vertretung mehr. Man weiß nicht, ist der Botschafter noch akkreditiert bis ein neuer berufen wird. Wer sind die zuständigen Minister? Wird die Regierung anerkannt? Wenn ja, von wem? Das sind lauter offene Fragen.

Es hat ich aber schon herausgestellt, dass wir bei der Versorgungslage mit Nahrungsmitteln auf eine Krise zusteuern. Von Krankenhäusern will ich jetzt gar nicht reden. In Afghanistan können NGOs wie die Caritas oder das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, das UNHCR, und ähnliche Organisationen wichtige Rollen einnehmen. Weil die Staaten haben es schwer, jetzt einzugreifen. Weil das könnte als Unterstützung für die Taliban interpretiert werden. Daher sollen und werden NGOs da eine wichtige Rolle einnehmen.

APA: UNO-Generalsekretär António Guterres hat zu Beginn der Generaldebatte die ungleiche Verteilung von Covid-Impfstoffen kritisiert. Sie haben in New York bilaterale Gespräche mit Präsidenten aus Afrika und Asien geführt. Wie stellt sich für sie diese Thematik dar?

Van der Bellen: Es ist tatsächlich so, dass der Norden, also Nordamerika, Europa und ein paar andere Staaten fast schon überversorgt sind mit Impfstoffen. Das heißt, wir können sogar etwas hergeben. Das tut Österreich auch, während der sogenannte globale Süden, also Afrika und süd- oder mittelamerikanische Länder, verzweifelt nach Impfstoff sucht. Sie könnten den teilweise auch kaufen, aber es gibt ihn nicht mehr am Markt.

Ein Beispiel: Eineinhalb Milliarden Menschen leben in Afrika, aber nur drei, vier Prozent sind vielleicht geimpft. Wir in Österreich halten jetzt bei 60 Prozent ungefähr. Einzelne Regierungen in Afrika reagieren darauf. Senegal und Ghana sind schon in Verhandlungen mit großen Pharmafirmen wie Biontech/Pfizer, um dort an Ort und Stelle entsprechende Produktionsstätten zu errichten. Das halte ich für eine sehr gute Idee. Das Problem ist nur, das dauert natürlich. In drei Monaten stellt niemand so eine Fabrik hin. Es dauert, bis die Manpower da ist, das ausgebildete Personal und die komplizierten Lieferketten. Aber es besteht die Chance, dass in ein, zwei Jahren auf diese Weise das Problem besser im Griff ist als jetzt.

APA: Die Impfrate in Österreich ist mit 60 Prozent auch nicht so hoch, wie erwünscht. Wie kann man Impfskeptiker in der Welt und damit auch in Österreich noch überzeugen, sich impfen zu lassen?

Van der Bellen: Wenn ich's wüsste, hätte ich es schon längst gesagt. Das ist ja keine homogene Gruppe. Das macht die Sache nicht leichter. Natürlich gibt es Leute, die Unsinn glauben, nur weil er im Internet, auf Social Media, vorkommt. Es wird auch versucht, das politisch zu instrumentalisieren und auf diese Art ein paar Stimmen an Land zu ziehen. Da halte ich für ganz schlecht. Aber mit Argumenten ist es schwer. Wenn man von Haus aus in Zweifel zieht, was Wissenschafter geschweige denn Politiker sagen, ist es verdammt schwer, mit Argumenten durchzukommen. In dem Fall vertraue ich mehr auf die Medien. Dass da eine neutrale Stimme erschallt.

Wir werden mit einer Restmenge Ungeimpfter auskommen müssen. Ich möchte aber schon eines dazusagen: In den Intensivstationen der Spitäler liegen fast ausschließlich ungeimpfte Personen. Sie nehmen die Spitalskapazitäten in Anspruch. Wenn dann jemand anderer einen Herzanfall oder sonst eine akute Bedrohung erlebt, das Bett aber blockiert ist, dann ist das kein Spaß. Da geht es auch um die anderen Menschen.

APA: Thema Klimawandel. Sie haben bei einer virtuellen Veranstaltung im Rahmen der UNO-Generaldebatte gewarnt, dass es keine Zeit mehr zu verlieren gibt. Was haben Sie diesbezüglich für ein Gefühl? Gibt es bei Veranstaltungen wie dieser ernsthafte Bemühungen, etwas weiterzubringen? Oder sind das weitgehend Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden?

Van der Bellen: Den Eindruck kann man manchmal schon haben. Nur kommen die Dinge jetzt schon in Bewegung. Es lässt sich ja nicht mehr leugnen, dass sich das Weltklima ändert. Da müsste man schon blind und taub sein. Wesentlich und für mich erstaunlich ist aber, wie der Markt reagiert. Das heißt insbesondere Banken, Versicherungen, das ganze Finanzwesen. Warum? Weil das Realisten sind, die beobachten, was auf der Welt passiert. Sie sehen, dass sich die Risiken ändern. Sie schauen, ob eine Investition von 50, 100 Millionen Euro in zehn Jahren noch etwas wert oder ein Stranded Investment ist.

Von da kommt ein gewaltiger Druck. Auch von den jungen Leuten, die erkannt haben, dass es um ihre Zukunft geht. Dann ist da natürlich auch der Druck von Leuten wir António Guterres, der das Problem wirklich ernst nimmt und versucht, mit aller Emotion, die dazu gehört, das Thema unter die Leute bringen. Ich möchte keine Prognosen machen, aber ich halte es für möglich, dass man bei der UNO-Klimakonferenz in Glasgow im November sagen wird können: Zwei Drittel des Glases sind schon voll geworden.

APA: Es heißt immer, dass es künftig einen Wettlauf zwischen China und den USA um die Hegemonie auf der Welt geben wird. Wir beurteilen Sie das? US-Präsident Joe Biden hat das ja in seiner Rede in Abrede gestellt.

Van der Bellen: Es ist richtig, dass Joe Biden kein Öl ins Feuer gegossen hat. Zu Präsident Xi Jinping, der aus China virtuell zugeschaltet wurde, kann man im Großen und Ganzen das Gleiche sagen. Also piano, piano auf allen Seiten. Langfristig ändert das natürlich nichts daran, dass China in den USA als "die" aufstrebende Macht gesehen wird. Mit Recht. Und die jahrzehntelange Nummer eins der Welt ist nervös, weil sie Konkurrenz spürt. Für uns Europäer heißt das: Wie müssen aufpassen, dass wir uns von keiner Seite von Haus aus verpflichten lassen, und durchaus selbstbewusst unsere eigenen Interessen vertreten.

(Das Gespräch führte Edgar Schütz/APA in New York)

ribbon Zusammenfassung
  • Die Machtübernahme der radikalislamistischen Taliban war das außenpolitische Topthema der vergangenen Wochen, doch wurde es bei der aktuellen UN-Generaldebatte bisher kaum angesprochen.
  • Diese Einschätzung äußerte Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einem Interview mit der APA-Austria Presse Agentur.
  • Während in Europa Vakzine sogar im Überschuss vorhanden seien, würden Länder in Afrika oder Lateinamerika verzweifelt danach suchen.

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