Israel prüft noch Hamas-Antwort zu Waffenruhe
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wird voraussichtlich in Kürze Beratungen über den Waffenruhe-Vorschlag einberufen. Er steht unter dem Druck seiner rechtsextremen Regierungspartner, die eine Feuerpause mit der Hamas ablehnen. Die Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir haben gefordert, den Krieg bis zur Niederlage der Hamas fortzusetzen und den Gazastreifen zu annektieren. Zugleich demonstrierten allerdings am Sonntag Zehntausende Israelis bei einer der größten Kundgebungen seit Kriegsbeginn für eine Einigung zur Beendigung der Kämpfe und eine Freilassung der Geiseln.
Die letzte Runde der indirekten Gespräche war im Juli gescheitert. Zuletzt lagen die Forderungen beider Seiten weit auseinander. Israel fordert die Entwaffnung der Hamas und den Abzug ihrer Anführer aus dem Gazastreifen. Diese Bedingungen hat die Hamas bisher öffentlich zurückgewiesen. Die Bemühungen um einen Stopp der Kämpfe hatten in der vergangenen Woche aber wieder an Fahrt gewonnen, nachdem Israel eine neue Offensive zur Einnahme von Gaza-Stadt angekündigt hatte. Ägypten und Katar drängen auf eine Wiederaufnahme der indirekten Gespräche zwischen beiden Seiten über den von den USA unterstützten Plan für eine Waffenruhe.
Dem Vermittlerland Katar zufolge ähnelt der Vorschlag sehr einem früheren Plan des US-Sondergesandten Steve Witkoff, dem Israel zugestimmt hatte. Er sei "fast identisch", sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Doha. Die islamistische Palästinenserorganisation Hamas habe "eine sehr positive Antwort gegeben und einen zuvor von Israel akzeptierten Plan" zu einer Waffenruhe im Gazastreifen und der damit verbundenen Freilassung von Geiseln "fast vollständig übernommen", fügte er hinzu. Es werde nun eine Antwort aus Israel erwartet.
Der Vorschlag sieht laut einem Hamas-Vertreter die Freilassung von 200 in Israel inhaftierten palästinensischen Strafgefangenen sowie einer ungenannten Zahl von Frauen und Minderjährigen vor. Im Gegenzug sollen zehn Hamas-Geiseln freikommen und die Leichen von 18 verstorbenen Geiseln übergeben werden.
Zwei ägyptische Sicherheitsvertreter bestätigten diese Angaben. Sie fügten hinzu, die Hamas habe zudem von Israel die Freilassung Hunderter Gefangener aus dem Gazastreifen gefordert. Der Vorschlag werde geprüft, wie zwei israelische Regierungsvertreter am Dienstag erklärten. Er umfasst zudem einen teilweisen Abzug der israelischen Streitkräfte und die Einfuhr von mehr humanitärer Hilfe in den Gazastreifen. Dort ist die Bevölkerung von 2,2 Millionen Menschen von einer Hungersnot bedroht.
UNO: Israel riskiert Hungersnot im Gazastreifen
"In den vergangenen Wochen haben die israelischen Behörden Hilfslieferungen nur in einem Umfang genehmigt, der bei weitem nicht ausreicht, um eine weitreichende Hungersnot abzuwenden", kritisierte ein UNO-Sprecher am Montag bei einer Pressekonferenz in Genf. Die Gefahr einer Hungersnot sei ein "direktes Ergebnis der Politik der israelischen Regierung, humanitäre Hilfe zu blockieren", hieß es seitens der UNO in Genf. Sie lasse schlicht zu wenige Hilfslieferungen zu.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte der israelischen Regierung bereits am Montag einen "absichtlichen Hungerfeldzug" vorgeworfen. "Israel setzt einen absichtlichen Aushungerungsfeldzug im besetzten Gazastreifen ein und zerstört systematisch die Gesundheit, das Wohlergehen und das gesellschaftliche Gefüge" der Palästinenser, hieß es in einem Bericht der NGO.
Israels Militär: "Erhebliche Anstrengungen bei Verteilung von Hilfsgütern"
Die für die Koordinierung von Hilfslieferungen zuständige israelische Militärbehörde COGAT erklärte indes, Israel unternehme "erhebliche Anstrengungen" bei der Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen. Die israelische Regierung beschuldigt auch die islamistische Palästinenserorganisation, die Verteilung von Hilfsgütern zu untergraben.
Anzeichen für eine baldige Waffenruhe gab es vor Ort nicht. Bei israelischem Beschuss und Luftangriffen wurden am Dienstag nach Angaben der Gesundheitsbehörden im Gazastreifen mindestens 20 Palästinenser getötet. Israelische Panzer schlossen die Einnahme des Vororts Seitun am Rande von Gaza-Stadt ab und beschossen weiterhin das benachbarte Viertel Sabra.
"Es war eine der schlimmsten Nächte in Sabra und Gaza-Stadt, die Explosionen waren in der ganzen Stadt zu hören", sagte die 54-jährige Bewohnerin Nasra Ali. "Ich wollte mein Haus verlassen, als ich von einer möglichen Waffenruhe hörte. Ich bleibe vielleicht ein oder zwei Tage, aber wenn nichts passiert, werde ich mit meinen Kindern fliehen", sagte sie der Nachrichtenagentur Reuters. Israel plant, die Kontrolle über ganz Gaza-Stadt zu übernehmen.
Dramatische humanitäre Lage nach 22 Monaten Krieg
Im Gazastreifen herrscht nach 22 Monaten Krieg zwischen Israel und der Hamas eine dramatische humanitäre Notlage, mit einem Mangel an Nahrungsmitteln und Medikamenten. Ausgelöst worden war der Krieg durch den Großangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023, bei dem nach israelischen Angaben mehr als 1.200 Menschen getötet und 251 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden waren.
Israel geht seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben der Hamas-Behörden, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, bisher mehr als 61.900 Menschen getötet. Aktuell plant das Militär auf Anordnung der Netanyahu-Regierung weitere Vorstöße, um den gesamten Gazastreifen unter Kontrolle zu bekommen.
Zusammenfassung
- Israel prüft aktuell die Zustimmung der Hamas zu einer 60-tägigen Waffenruhe im Gazastreifen, die die Freilassung der Hälfte der noch festgehaltenen Geiseln vorsieht.
- Der Vorschlag, dem die Hamas bereits zugestimmt hat, beinhaltet auch die Freilassung von 200 palästinensischen Gefangenen, einen teilweisen Abzug israelischer Truppen und mehr humanitäre Hilfe.
- UNO und Amnesty International werfen Israel vor, mit der Blockade von Hilfslieferungen eine Hungersnot im Gazastreifen zu riskieren, während Israel auf eigene Anstrengungen bei der Versorgung verweist.
- Trotz laufender Verhandlungen wurden am Dienstag bei israelischen Angriffen mindestens 20 Palästinenser getötet, und die Offensive auf Gaza-Stadt wird fortgesetzt.
- Nach 22 Monaten Krieg leben 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen unter dramatischen Bedingungen, mit über 61.900 Toten laut Hamas-Behörden, wobei diese Angaben nicht unabhängig überprüft werden können.