Sicherheitsorgane warnen vor Unruhen im Iran
"Ich habe den Innenminister angewiesen, mit Vertretern der Protestbewegung zu sprechen und ihre Forderungen zu berücksichtigen", schrieb Pezeshkian in der Nacht auf Dienstag auf der Plattform X. In den vergangenen zwei Tagen war es in Teheran zu heftigen Protesten gekommen. Auslöser war die sich verschärfende Wirtschaftskrise.
Die Sicherung der Lebensgrundlagen der Bevölkerung sei ein zentrales Anliegen und stehe täglich auf seiner persönlichen Agenda, schrieb Pezeshkian, der im Iran die Rolle des Regierungschefs innehat, weiter. Daher wolle er Reformen des Geld- und Bankensystems vorantreiben sowie Maßnahmen zum Erhalt der Kaufkraft einleiten.
Die zunächst wirtschaftlich motivierten Proteste nahmen rasch eine politische Dimension an. Demonstranten riefen Parolen wie "Tod dem Diktator" gegen das islamische System und forderten mit Rufen wie "Lang lebe der König" sogar die Rückkehr zur Monarchie. Laut Augenzeugen setzte die Polizei Tränengas ein, um die Menschenmengen auseinanderzutreiben.
Die öffentliche Wut richtet sich auch direkt gegen Präsident Pezeshkian. Ihm wird vorgeworfen, staatliche Mittel zur Unterstützung bewaffneter Gruppen in den palästinensischen Gebieten, im Libanon und im Jemen einzusetzen, statt die Nöte der eigenen Bevölkerung zu lindern.
3. Tag der Proteste
Der Protest war am Sonntag von Teherans größtem Handy-Markt ausgegangen und hatte sich von dort auf andere Geschäfte ausgeweitet. Händler ließen ihre Läden geschlossen und demonstrierten im Zentrum der iranischen Hauptstadt. Auch am Montag protestierten Händler.
Am dritten Tag der spontanen Proteste weiteten sie sich auch auf andere Städte des Landes aus, wie Augenzeugen erzählten. Demnach kam es etwa bereits in Großstädten wie Isfahan und Kerman sowie auf der Insel Qeschm zu Kundgebungen.
Auch Studenten protestierten am Dienstag an mehreren Universitäten gegen die desolate wirtschaftliche Lage. An mehreren Unis in der Hauptstadt Teheran, aber auch in der Stadt Isfahan im Zentrum des Landes kam es zu Protesten, wie die Nachrichtenagentur ILNA meldete. Hunderte Studierende haben laut offiziellen Medien an den Protesten teilgenommen, laut Studentengruppen waren es jedoch Tausende an nahezu allen Universitäten Teherans. Die Hochschulzeitung Amir-Kabir berichtet sogar, die Teheraner Universität sei von Sicherheitskräften umzingelt worden und die protestierenden Studierenden seien auf dem zentralen Campus eingeschlossen worden.
Rätselraten um Wettervorhersage
Zudem erklärte die Teheraner Stadtverwaltung kurzfristig den Mittwoch zum Feiertag - "wegen einer bevorstehenden Kältewelle und zur Energieeinsparung". Wie Staatsmedien berichteten, bleiben Schulen, Banken und öffentliche Einrichtungen am Mittwoch in Teheran und einigen weiteren Gegenden auf Entscheidung der Behörden geschlossen.
Da jedoch keine Wetteränderung in der Hauptstadt erwartet wird, gehen Beobachter davon aus, dass die Maßnahme andere Ziele verfolgt. Ihrer Einschätzung nach soll der Feiertag Polizei- und Sicherheitseinheiten ermöglichen, die Proteste besser zu kontrollieren. Silvester spielt im Iran keine Rolle, da das Land einem eigenen Kalender folgt.
Auch Medienvertreter wurden in verschiedenen Teilen Teherans daran gehindert, über die Proteste zu berichten oder Bilder aufzunehmen. Besonders sollten die Medien über systemkritische Parolen wie "Tod dem Diktator" nicht berichten.
Der Chefredakteur der reformorientierten Tageszeitung "Etemad" wird seiner Ehefrau zufolge seit mehr als 24 Stunden vermisst. Mehdi Bejk wollte am Montag einen Bericht über die Proteste im Teheraner Großbasar verfassen und ist seitdem nicht zurückgekehrt. Auch sein Handy sei ausgeschaltet, schrieb seine Ehefrau Zahra Bejk auf der Plattform X. "Etemad" zitierte einen nicht namentlich genannten Händler, der sich über mangelnde staatliche Unterstützung angesichts hoher Importkosten beschwerte. "Wir mussten uns entscheiden, unseren Protest zu zeigen", sagte er demnach.
Behörden verstärken Polizeipräsenz
In der südöstlichen Stadt Kerman riefen Demonstrierende am Montag nach Angaben von Augenzeugen heftige Parolen gegen das islamische System und forderten grundlegende politische Veränderungen. Die Behörden setzten demnach verstärkt Polizei- und Sicherheitseinheiten ein. Mit dem Slogan "Habt keine Angst, wir sind alle zusammen" ermutigten sich die Protestierenden den Angaben nach gegenseitig.
Die Proteste begannen, nachdem der Kurs der nationalen Währung Rial am Sonntag innerhalb weniger Stunden auf ein neues Rekordtief gefallen war. Am Sonntag kostete ein Dollar nach Angaben auf Preisbeobachtungsportalen rund 1,42 Millionen Rial, ein Euro wurde für 1,7 Millionen Rial getauscht. Vor einem Jahr hatte ein Dollar noch 820.000 Rial gekostet. Bis Dienstag erholte sich der Rial nur leicht.
Der chronische Wertverlust der iranischen Währung führt zu Hyperinflation und starker Unsicherheit angesichts der stark schwankenden Preise. Dies hemmt insbesondere den Verkauf importierter Güter. Die iranische Wirtschaft steht auch wegen westlicher Sanktionen im Zusammenhang mit dem Atomprogramm unter dem Druck. Nach den Protesten kündigte die Regierung an, den bisherigen Chef der iranischen Zentralbank am Mittwoch durch Abdolnasser Hemmati zu ersetzen. Hemmati war im März als Wirtschafts- und Finanzminister vom Parlament abgesetzt worden, Grund war ebenfalls der starke Wertverlust des iranischen Rial.
Zusammenfassung
- Iranische Sicherheitsorgane warnen vor einer Eskalation der anhaltenden Proteste gegen die Wirtschaftsmisere, nachdem in Teheran und weiteren Städten Demonstrationen ausgebrochen sind.
- Präsident Massoud Pezeshkian kündigte Reformen des Geld- und Bankensystems an und rief zum Dialog mit den Protestierenden auf.
- Der Wert des Rial fiel am Sonntag auf ein Rekordtief von 1,42 Millionen pro US-Dollar, während ein Euro für 1,7 Millionen Rial gehandelt wurde, was zu Hyperinflation und Unsicherheit führte.
- Die Proteste, die sich auf mehrere Städte und zahlreiche Universitäten ausweiteten, wurden von regierungskritischen Parolen und Forderungen nach politischen Veränderungen begleitet.
- Die Behörden reagierten mit verstärkter Polizeipräsenz, einem kurzfristigen Feiertag zur Kontrolle der Lage und Einschränkungen für Medienvertreter.
