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Serbischer Außenminister kritisiert EU und lobt Orban

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Der serbische Außenminister Nikola Selakovic hat deutliche Kritik am langwierigen EU-Beitrittsprozess und der "Scheinheiligkeit" mancher Staaten im Umgang mit seinem Land geübt. "Wie kann es sein, dass EU-Mitgliedsländer bereit sind, serbische Bürger aufzunehmen, aber nicht Serbien als Mitgliedsstaat?", sagte Selakovic im APA-Interview. Den ungarischen Premier Viktor Orban, der jüngst per Zeitungsanzeige Serbiens EU-Beitritt gefordert hatte, lobte er als "großen Anführer".

Selakovic kritisierte die "sich ständig verändernden Ziele" im EU-Beitrittsprozess. Obwohl Serbien als erstes Kandidatenland die neue Methodologie für die Beitrittsverhandlungen akzeptiert habe, habe es kein Beitrittsdatum erhalten. Das sei "der riesige Unterschied" zu früheren Beitrittsrunden, in denen die Bedingungen und Daten von Anfang an klar gewesen seien.

Dabei sei Serbien für die Mitgliedschaft "gut vorbereitet", sagte Selakovic mit Blick auf aktuelle Wirtschaftszahlen. Die Wirtschaft werde heuer um über sechs Prozent wachsen, bei der Staatsschuld erfülle man die Maastricht-Kriterien und die Arbeitslosenrate sei innerhalb weniger Jahre von 26,9 auf neun Prozent gesunken. Viele junge Serben kämen nun wieder in ihre Heimat zurück, um dort unter anderem bei internationalen Unternehmen zu arbeiten. Schließlich ziehe Serbien einen Großteil der ausländischen Direktinvestitionen in der Region an.

Nicht nur Serbien sollte an der EU-Mitgliedschaft gelegen sein, betonte der enge Vertraute von Präsident Aleksander Vucic. "Wir sehen, dass es auch die Europäische Union viel mehr bedauern könnte, wenn Serbien kein EU-Mitglied wird", sagte Selakovic. Schließlich wolle die EU "keinen leeren Raum" in der Region haben. "Und ich denke, es ist wichtig für die Europäische Union, dass sie frisches Blut bekommt", fügte er hinzu.

Mit Blick auf die Migrationsfrage bezeichnete er es zugleich als "paradox", dass sein Land mit Migrationsströmen von EU-Territorium (Griechenland und Bulgarien, Anm.) konfrontiert sei. Beim Thema Migration seien viele Länder an einer engen Partnerschaft mit Serbien interessiert. "Irgendwie ist es normal, sich Serbien als guten Partner zu wünschen, wenn man es mit einigen problematischen Fragen zu tun hat. Aber man will Serbien nicht als Partner oder Mitgliedsland, wenn es um andere gute Fragen geht", sagte er in Richtung der Erweiterungsskeptiker in der EU, wobei er Österreich explizit ausnahm.

Dem ungarischen Premier Orban dankte Selakovic für die Unterstützung. "Egal ob wir jetzt alle seine Positionen teilen, ist er ein großer Anführer und tapferer Mann und das einzige Problem, das ich bei ihm sehe, ist, dass er jemand ist, der immer sagt, was er denkt. Leider ist das in der heutigen Welt nicht mehr so üblich", sagte Selakovic mit Blick auf die umstrittene Politik des ungarischen Regierungschefs. Zugleich rief er die EU auf, unterschiedliche Sichtweisen zu akzeptieren. "Europa gründet sich auf der Gedankenfreiheit und solange Europa Unterschiede akzeptiert, was auch unterschiedliche Ansichten einschließt, wird es bestehen", betonte er. Persönlich würde er sich wünschen, dass Europa stärker seine Identität und Kultur schütze "statt immer nur über den Markt, Handel und Geld zu sprechen".

Selakovic räumte ein, dass der Normalisierungsdialog mit Pristina "das wichtigste Thema" auf Serbiens Weg in die EU ist. Dass Belgrad seinen diesbezüglichen territorialen Anspruch für den EU-Beitritt wird aufgeben müssen, glaubt er aber nicht. "Kennen Sie den Fall eines anderen Kandidatenlandes, das etwas ähnliches hätte tun müssen, um Mitgliedsstaat zu werden?", fragte er rhetorisch. Außerdem stelle sich die Frage, "wie das eine Vorbedingung für den Beitritt zur EU sein kann, wenn wir eine Situation haben, in der nicht alle Mitgliedsstaaten den gleichen Blickwinkel in Bezug auf Kosovo haben", sagte er in Anspielung auf jene fünf EU-Staaten, die den Kosovo nicht als unabhängigen Staat anerkannt haben.

"Kosovo ist nicht nur laut der serbischen Verfassung die südliche Provinz der Republik Serbien, sondern auch aufgrund der UNO-Sicherheitsresolution 1244 (aus dem Jahr 1999, Anm.). Serbien ist den Vereinten Nationen in seinen Grenzen einschließlich Kosovo beigetreten, und wir sind ein UNO-Mitglied", betonte Selakovic. Zugleich machte er klar, dass Belgrad weiter zu einer Kompromisslösung mit Pristina bereit sei. Diese Lösung solle "nachhaltig, anwendbar und wechselseitig annehmbar" sein. "Das bedeutet nicht, dass einer alles bekommt und der andere nichts", sagte er in offenkundiger Anspielung auf den neuen kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti, der eine Anerkennung des Kosovo zur Voraussetzung für Gespräche gemacht hatte.

Selakovic wollte nicht konkret sagen, wie ein Kompromiss aussehen könnte. Auf eine Frage nach einer Autonomie für die Kosovo-Albaner ging er nicht ein, zum Thema Grenzveränderungen sagte er: "Niemand spricht darüber. Es liegt keine Lösung dieser Art auf dem Tisch". Serbien hatte die Kontrolle über seine südliche Provinz im Jahr 1999 nach einem NATO-Krieg zum Schutz der albanischen Zivilbevölkerung verloren. Mit der UNO-Resolution 1244 wurde der Kosovo unter UNO-Verwaltung gestellt. Im Jahr 2008 erklärte sich Pristina für unabhängig, wobei dieser Schritt umgehend von führenden westlichen Staaten und auch Österreich anerkannt wurde.

Auf die Frage, ob sich Belgrad nicht damit abfinden sollte, dass die Kosovo-Albaner nicht in Serbien leben wollen, sagte Selakovic: "Ist es vernünftig, eine Million Serben in Bosnien-Herzegowina dazu zu zwingen, in Bosnien-Herzegowina zu leben?" Gerade weil es dabei um "Prinzipien" gehe, stehe Serbien voll zur territorialen Integrität von Bosnien-Herzegowina. "Denn wir wissen, dass unsere Position bezüglich Bosnien-Herzegowina auch unsere Position bezüglich des Kosovo wahrt. Ich habe niemanden getroffen, der mir erklären konnte, warum das Prinzip der Selbstbestimmung für die Albaner in Kosovo gelten sollte, aber nicht für die Serben in der Republika Srpska." Beim Kosovo habe die internationale Gemeinschaft gedacht, dass eine Grenzveränderung eine "gute Lösung" sei. "Ich denke, dass das keine gute Lösung ist. Wenn man die Grenzen einmal ändert, wird das immer wieder passieren. Es ist nicht gut für die Region, nicht gut für uns", so Selakovic, der sein Land als Garant für Frieden und Stabilität in der Region zu präsentieren versuchte.

Kritisch äußerte sich Selakovic über den kosovarischen Ministerpräsidenten Kurti, weil dieser die mehrere Jahre alten Brüsseler Vereinbarungen über die Schaffung einer Gemeinschaft serbischer Gemeinden im Kosovo nicht umsetzen wolle. "Wenn es ein Abkommen gibt - pacta sunt servanda -, muss man es erfüllen, egal ob es uns gefällt oder nicht", sagte Selakovic. Belgrad habe seine Verpflichtungen umgesetzt. Nun erwarte man auch von der EU und den Kosovo-Albanern, dass sie das tun. Mit Blick auf die Sympathien Kurtis für eine Vereinigung des Kosovo mit Albanien zeigte sich der serbische Außenminister "besorgt", und zwar nicht nur über Kurtis Aussagen, sondern auch "das Schweigen in den europäischen Hauptstädten dazu".

Dem künftigen Bosnien-Beauftragten Christian Schmidt, der am 1. August sein Amt vom österreichischen Diplomaten Valentin Inzko übernimmt, riet Selakovic zu "Unparteilichkeit". Wenn man nämlich eine Lösung für Bosnien-Herzegowina wolle, dürfe man sich nicht "einmischen und Partei ergreifen". Die bosnischen Serben hätten "gute Gründe", warum sie dem Amt des Bosnien-Beauftragten skeptisch gegenüber stehen. Die bisherigen Beauftragten hätten nämlich ihre Befugnisse genutzt, um die Kompetenzen der Republika Srpska einzuschränken, so Selakovic, der in diesem Zusammenhang eine Lanze für den Dayton-Friedensvertrag aus dem Jahr 1995 brach. "Der Dayton-Friedensvertrag ist eines der erfolgreichsten Friedensprojekte nicht nur in Europa, sondern weltweit, und wir sollten ihn bewahren." Änderungen könne es nur mit Zustimmung aller drei Staatsvölker und beider Entitäten Bosniens geben.

(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Der serbische Außenminister Nikola Selakovic hat deutliche Kritik am langwierigen EU-Beitrittsprozess und der "Scheinheiligkeit" mancher Staaten im Umgang mit seinem Land geübt.
  • Dabei sei Serbien für die Mitgliedschaft "gut vorbereitet", sagte Selakovic mit Blick auf aktuelle Wirtschaftszahlen.
  • Serbien hatte die Kontrolle über seine südliche Provinz im Jahr 1999 nach einem NATO-Krieg zum Schutz der albanischen Zivilbevölkerung verloren.