Schweizer Parlamentschefin rät zu mehr direkter Demokratie
Riniker war auf Einladung ihres Amtskollegen Walter Rosenkranz (FPÖ) zu "70 Jahre Neutralitätsgesetz: die Neutralität im Fokus - ein Symposium über Herausforderung und Perspektiven" ins Parlament gekommen. Dabei habe sie erstaunt, "dass man sich fragt, ob sich Österreich eine Volksabstimmung zur Neutralität zutrauen kann". Schließlich habe das Schweizer Stimmvolk schon "zu extrem komplizierten Fragestellungen Stellung genommen", betont die Aargauer Politikerin. Ein klares Nein kommt von ihr auf den vielfach geäußerten Einwand, dass direkte Demokratie eine Schweizer Besonderheit sei, die man nicht so einfach auf andere Länder übertragen könne.
"Die Schweiz macht gute Erfahrungen mit Volksabstimmungen. Es geht dabei auch um den Respekt gegenüber der Bevölkerung. Direkte Demokratie kann man, wenn man will", sagt sie in Richtung ihrer Kolleginnen und Kollegen in anderen Staaten. In der Schweiz wirke direkte Demokratie stabilisierend, weil sie "uns die Sicherheit gibt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger direkt einbringen können, wenn sie nicht zufrieden sind. Mit 50.000 Unterschriften kann ein Gesetz per Referendum durch eine Volksabstimmung geändert werden."
Gleichwohl will Riniker in Sachen Demokratie auch von Österreich lernen, und zwar bei der Demokratievermittlung. Das im neuen Parlamentsgebäude eingerichtete Demokratikum sei etwas, was sich die Schweiz zum Vorbild nehmen könne, weil es einen niederschwelligen Zugang zur Volksvertretung ermögliche.
"Weg vom Tisch" ist für Riniker die Frage eines EU-Beitritts der Schweiz, selbst wenn sich der Union in den nächsten Jahren auch wohlhabendere Länder wie Island anschließen könnten. Stattdessen "streben wir eine verlässliche und stabile Beziehung mit der EU in spezifischen Politikbereichen an". Das Ende 2024 vereinbarte Paket zum EU-Schweiz-Abkommen befinde sich derzeit in der innenpolitischen Beratung, im kommenden Frühjahr soll die Regierung dem Parlament die finale Bewertung zukommen lassen, erläutert Riniker. "Im besten Fall werden die Schweizerinnen und Schweizer im Frühjahr 2027 darüber abstimmen." Sollten die Beratungen länger dauern, könnte die Abstimmung erst im Jahr 2028 - nach der Parlamentswahl im Herbst 2027 - stattfinden.
Keine Volksabstimmung wird es in der Schweiz über Sky Shield geben. "Wir werden nicht darüber abstimmen", so Riniker. Es gilt jedoch zu beachten, dass die Schweizerische Volkspartei (SVP) aber eine Neutralitätsinitiative zur Abstimmung bringen will, die etwa einer Teilnahme an den Russland-Sanktionen einen Riegel vorschieben würde. "Neutralität muss mit der Zeit gehen. Sie muss weiterentwickelt werden, so wie sich unsere Gesellschaft und unsere Außenpolitik verändern", so Riniker. Nur so bleibe Neutralität wirksam, "dazu gehört in einer Demokratie eine ständige, kritische Auseinandersetzung und Legitimation." Genauso kritisch würden die Schweizerinnen und Schweizer eine Verankerung der Neutralität in der Bundesverfassung bewerten, ist Frau Riniker überzeugt.
Befragt zur aktuellen Bedrohungslage der Schweiz sagt Riniker, dass man sich vor einem konventionellen Angriff nicht direkt fürchten müsse. Es sei aber "die Frage berechtigt, wann die hybride Kriegsführung beginnt, und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen". Die entscheidende Frage, die die Schweiz derzeit umtreibt, sei: "Verteidigen wir uns, sollte es zu einem Angriff kommen, komplett alleine oder sind internationale Kooperationen, die mit der Neutralität vereinbar sind, die Zukunft."
US-Zollhammer hat Unternehmen "stark getroffen"
Die im August verhängten US-Zölle hätten die Schweizer Wirtschaft in bestimmten Bereichen wie etwa der mechanischen Industrie oder Uhrenindustrie "stark getroffen", sagt Riniker. "Wir spüren, dass insbesondere in der Romandie (französischsprachige Westschweiz, Anm.) auch Stellen abgebaut werden." Um die betroffenen Betriebe zu stützen, habe man die Kurzarbeitsentschädigung von 18 auf 24 Monate ausgeweitet. Dies solle den Unternehmen die Möglichkeit geben, sich am Markt neu auszurichten.
Grundsätzlich sei das vorsichtige Vorgehen der Schweiz im Angesicht der US-Zolldrohungen "kein unkluges Rezept gewesen", sagt Riniker über das Vorgehen der Regierung. Sie glaubt, dass die Weltgemeinschaft gut daran getan hätte, "einmal innezuhalten", um zu überlegen, "welche gemeinsame Haltung man entwickeln könnte."
(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)
Zusammenfassung
- Die Schweizer Nationalratspräsidentin Maja Riniker sieht in der direkten Demokratie und den Volksabstimmungen ein zentrales Stabilitätsmerkmal und spricht sich angesichts der Demokratiekrise für mehr Referenden aus.
- Die im August verhängten US-Zölle haben die Schweizer Wirtschaft, insbesondere die mechanische Industrie und Uhrenbranche in der Romandie, stark getroffen, weshalb die Kurzarbeitsentschädigung von 18 auf 24 Monate ausgeweitet wurde.
- Ein EU-Beitritt der Schweiz ist laut Riniker kein Thema, über das neue EU-Schweiz-Abkommen könnte jedoch frühestens im Frühjahr 2027 oder nach den Parlamentswahlen 2028 abgestimmt werden.