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Mattle-Kritik an Kassenfusion führt zu neuer Debatte

Heute, 07:49 · Lesedauer 8 min

Dass Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) die Kassenfusion als Fehler bezeichnet und eine "Reform der Reform" gefordert hat, sorgt für Debatten. Der Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), Andreas Huss, lobte die "Einsicht" Mattles. In den anderen Ländern teilten die Kritik vor allem SPÖ-Vertreter, aber - zurückhaltender - auch Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP). Die Bundes-ÖVP und die Grünen warnten vor einer Rückkehr zu alten Strukturen.

Huss ist als Vertreter der Arbeitnehmerseite seit Juli turnusgemäß wieder ÖGK-Obmann. "Gut, dass ÖVP-Landeshauptmann Mattle in der ORF-Pressestunde am Sonntag so deutlich angesprochen hat, dass die ÖGK-Reform und die mangelnde regionale Präsenz der ÖGK in den Bundesländern Fehler waren", zeigte sich Huss erfreut. Die Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmervertreter würden aber noch mehr Fehler in der "missglückten" Reform finden, ließ er wissen.

Vor allem könnten die Versicherten nicht mehr selbst über ihre Beiträge entscheiden, sondern seien durch die Vertreter der Arbeitgeber "fremdbestimmt". "Das war neben der gewollten Privatisierung der Gesundheitsversorgung das zweite Ziel der Kassenzusammenlegung." Wenn jetzt "sinnvollerweise" über eine echte Reform der missglückten Kassenzusammenlegung nachgedacht werde, müssten drei Ziele im Vordergrund stehen, befand Huss.

Die ÖGK müsse etwa die finanziellen Mittel, die ihr durch die Kassenfusion entzogen wurden, wieder zurückbekommen. Zudem sei der Einfluss der Arbeitgeber, Privatspitäler oder Privatversicherungen wieder zu reduzieren. Auch müsse die ÖGK wieder regionaler werden.

ÖVP gegen "Rückkehr" zu alter Struktur

Eine Rückkehr zur alten Struktur wäre nicht zielführend, befand hingegen der Generalsekretär der Volkspartei, Nico Marchetti. Er verwies in einer Aussendung auf die jüngsten Beschlüsse in der Landeshauptleutekonferenz. "Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Wartezeiten für die Menschen auf Behandlungen, Arzttermine oder Operationen zu verkürzen." Dafür brauche es eine bessere Patientenlenkung, mehr Telemedizin sowie Maßnahmen zur Bewältigung des Fachkräftemangels.

"Die Rückkehr zu 21 Kassen erscheint uns in Hinblick auf den notwendigen Bürokratieabbau und die Bedeutung schlanker Strukturen als nicht zielführend", meinte Marchetti. Auch die Grünen äußerten sich skeptisch. Deren Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner gibt Mattle laut eigenen Angaben zwar Recht, wenn es um den "türkis-blauen Marketingschmäh" Patientenmilliarde geht, eine Renaissance des Föderalismus wäre für die Versicherten im Land aber eine schlechte Nachricht, zeigte er sich überzeugt.

NEOS-Gesundheitssprecher Johannes Gasser bekrittelte ebenfalls das Milliardenversprechen und beklagte, dass in der Umsetzung mehr Posten entstanden als eingespart worden sind. Zugleich bekräftigte er: "Eine Rückkehr zur alten Struktur würde eine Rückkehr zur Zersplitterung bedeuten." Dies sei abzulehnen. Die NEOS würden vielmehr weitere Reformmöglichkeiten etwa im Bereich der Digitalisierung sehen, sagte Gasser.

Ärztekammer begrüßt "Reformsignal" Mattles

Die Ärztekammer begrüßte das "klare Reformsignal" Mattles: "Die Fusion war fachlich ungenügend vorbereitet und hat zentrale Versprechen nicht eingelöst", konstatierte Kammerpräsident Johannes Steinhart. "Wir brauchen echte Strukturreformen und nicht kleinliche Sparmaßnahmen - wie etwa Beschränkungen bei MR- und CT-Untersuchungen - auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten." Der aktuelle Jahresbericht der ÖGK zeige, wie tief die Kasse inzwischen in Schieflage geraten sei. Die Rücklagen seien aufgebraucht, die finanzielle Lage angespannt. Dies offenbare die strukturellen Schwächen der fusionierten Kasse.

Peter McDonald, der Vorsitzende im Dachverband der Österreichischen Sozialversicherungen, zeigte sich im Gegensatz dazu über die Debatte wenig erfreut und sprach sich gegen einen "Retourgang mit Vollgas" aus: "Ich kann wenig damit anfangen, wenn wichtige - damals mit den Bundesländern gemeinsam ausgearbeitete - Reformen in der Sozialversicherung immer wieder von verschiedenen Seiten aus politischen Motiven angezweifelt und kritisiert werden." Die Zusammenführung von 21 auf fünf Träger sei wichtig und richtig, hielt er via Aussendung fest. "Es kann kein politischer Weg sein, Strukturen wieder aufzublasen und damit teurer und ineffizienter zu machen - vielmehr brauchen wir Vereinfachung statt Verneunfachung und müssen wir uns mit der Zukunft und nicht mit der Vergangenheit beschäftigen."

Kaiser sieht "Scherbenhaufen"

Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) wiederum begrüßt den Vorstoß seines Tiroler Amtskollegen auf APA-Anfrage als "notwendigen und richtigen Schritt" ausdrücklich. Die von der früheren ÖVP-FPÖ-Regierung angekündigte Reform habe sich als Seifenblase entpuppt, die geplatzt sei. Statt der angekündigten "Patientenmilliarde" müssten die Steuerzahler für den "Selbstvermarktungstrick" am Ende noch tiefer in die Tasche greifen. Nun müssten andere den "Scherbenhaufen" aufräumen.

"Jetzt geht es darum, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Ziel muss es sein, dass die Leistungen unseres Gesundheitssystems effizient, leistbar und vor allem dort ankommen, wo sie gebraucht werden - bei den Menschen. Patientinnen und Patienten verdienen eine Versorgung auf höchstem Niveau, unabhängig von Wohnort, Einkommen oder Kassenstatus", so Kaiser in einer schriftlichen Stellungnahme.

Hacker gegen "Zurück an den Start"

Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) erinnerte in einer der APA übermittelten Stellungnahme ebenfalls daran, dass die Landeshauptleute bei ihrem letzten Treffen mit den Spitzen der Bundesregierung beschlossen haben, die Organisation des Gesundheitswesens als eines von mehreren zentralen Feldern grundlegend zu diskutieren. "Das wird in den nächsten Monaten ein wichtiges Thema sein und wir werden da neue Wege brauchen."

"Ich habe immer gesagt, dass diese Reform keine Verbesserung gebracht hat", betonte Hacker: "Es war ein teurer Marketinggag auf Kosten der Österreicherinnen und Österreicher. Zurück zum Start wäre aber der nächste Fehler. Wir müssen auf aktuelle Entwicklungen eingehen und schauen, wie wir die zahlreichen Zukunftsfragen im Gesundheitswesen lösen können. Daher ist diese späte Einsicht der ÖVP positiv zu bewerten."

Laute Kritik von Doskozil, leisere von Stelzer

Auch der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) bekräftigte Mattles Kritik. Die unter dem früheren Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) betriebene Zusammenlegung der Kassen sei eine "reine Mogelpackung" gewesen, "mit der man dem Gesundheitssystem und auch der ÖGK immense zusätzliche Kosten aufgebürdet hat, ohne irgendeinen Mehrwert für die Patienten zu erreichen". Eine "Reform der Reform" sei daher dringend geboten, forderte Doskozil in einer Aussendung. Die Gesundheitsorganisation in Österreich soll "schlagkräftiger und schlanker" werden und noch stärker auf regionale Bedürfnisse zugeschnitten sein. Vor allem drängt der Landeshauptmann auf eine langfristige Klärung der Finanzierung.

Der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) gab sich in der Wortwahl zwar zurückhaltender, räumte aber ein: "Wenn man die Landsleute fragt, ob sich die Gesundheitsversorgung seit der ÖGK-Reform verbessert hat, würde wohl eine deutliche Mehrheit mit Nein darauf antworten." Die Wartezeiten für Arzttermine würden länger, es gebe in Summe zu wenige Fachärzte und daher überlastete Spitalsambulanzen. "Das ist die Realität. Aber so kann und darf es nicht weitergehen", mahnte er dringend "Verbesserungen zum Wohle der Patientinnen und Patienten" ein. Das sei Aufgabe der ÖGK, müsse aber auch ein zentrales Projekt der Reformpartnerschaft sein, das dringend angegangen werden solle, so Stelzer.

Steiermark ortet Wildwuchs an Zuständigkeiten

Der steirische Gesundheitslandesrat Karlheinz Kornhäusl (ÖVP) betonte am Montag auf APA-Anfrage: "Die vielfältigen Herausforderungen im Gesundheitsbereich sind bekannt, und dass es Reformen braucht, sollte unstrittig sein." Egal, wo jemand lebe, die Versorgung dürfe keinen Unterschied machen. Derzeit gebe es einen Wildwuchs an Zuständigkeiten und bei den Finanzierungsströmen und immer noch keinen bundesweiten, einheitlichen Honorarkatalog für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte.

Daher brauche es bei den notwendigen Reformen kein Stückwerk, sondern einen umfassenden Masterplan für die Gesundheitsversorgung der Menschen, zeigte sich Kornhäusl überzeugt. Dieser Masterplan müsste im Zuge eines breit angelegten Diskussionsprozesses unter Einbindung aller Partner im Gesundheitswesen erfolgen und die Dimension des Österreich-Konvents sowie eine rasche Umsetzung zum Ziel haben. Ohne Denkverbote, Standesdünkel oder Scheuklappen müsse offen über Zuständigkeiten, Konstruktionen und Finanzierungen gesprochen werden.

Edtstadler und Mikl-Leitner hoffen auf vereinbarte Reformen

Für Salzburgs Landeshauptfrau Karoline Edtstadler (ÖVP) ist es "sinnvoller, die Zukunft zu gestalten, als in die Vergangenheit zu schauen". Sie verweist auf die vereinbarte Reformpartnerschaft: "Hier werden sich der Bund und die Länder neben Bildung, Energie und Verwaltung auf die Gesundheit konzentrieren. Mir ist dabei wichtig, dass das Geld der Leistung folgt. Die Versorgung von Patienten, die aus anderen Bundesländern in Salzburger Spitälern behandelt werden, muss entsprechend abgegolten werden", so Edtstadler.

Zurückhaltend gab man sich im Büro von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP): "Ein zukunftsfittes Gesundheitssystem stellt die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt aller Überlegungen. Welcher Weg beschritten wird, um das Ziel einer effizienten und patientenzentrierten Gesundheitsreform zu erreichen, wird in den zuständigen Reformgruppen entschieden", hieß es auf Anfrage.

Zusammenfassung
  • Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) bezeichnet die Kassenfusion als Fehler und fordert eine "Reform der Reform", was eine breite politische Debatte auslöst.
  • Der ÖGK-Obmann Andreas Huss und mehrere SPÖ-Vertreter unterstützen die Kritik und fordern mehr regionale Präsenz sowie eine Reduktion des Arbeitgeber-Einflusses.
  • Die Bundes-ÖVP, die Grünen und die NEOS lehnen eine Rückkehr zu den früheren 21 Kassen ab und betonen die Notwendigkeit schlanker Strukturen und weiterer Reformen, etwa im Bereich Digitalisierung.
  • Die Ärztekammer kritisiert die ungenügende Vorbereitung der Fusion, verweist auf aufgebrauchte Rücklagen und fordert tiefgreifende Strukturreformen.
  • Mehrere Landeshauptleute und Gesundheitspolitiker sehen steigende Wartezeiten, zu wenig Fachärzte und fordern einen umfassenden Masterplan für die Gesundheitsversorgung.