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Neue kartografische "Geburtsurkunde" Amerikas entdeckt

Heute, 04:02 · Lesedauer 4 min

Der in Österreich lebende Wissenschafter, Stefaan Missinne, ist wohl einer historischen Sensation auf der Spur. Missinne präsentierte jüngst in Wien die "älteste kartografische 'Geburtsurkunde' Amerikas". Laut seinen Recherchen stammt eine in der New Yorker Public Library lagernde und kaum beachtete französische Weltkarte von etwa 1508 und ist damit um mindestens acht Jahre älter als die "Waldseemüller"-Karte, die bisher als älteste Darstellung des Kontinents Amerika galt.

Die aus einem Holzschnitt angefertigte "Waldseemüller-Karte" dürfte nämlich laut einem Gutachten falsch mit 1507 datiert worden sein. Sie wurde aber offenbar erst 1516 gedruckt.

Der Belgier Missinne, der auch Mitglied der britischen "Royal Geographic Society" ist, spricht von einem "Durchbruch" bei der Suche nach der ersten Weltkarte, die den 1492 von Christoph Columbus entdeckten Kontinent mit America benennt. "Die in den USA bis jetzt als Geburtsurkunde Amerikas präsentierte 'Waldseemüller-Karte' ist gemäß Wasserzeichen und einem deutschen Gedicht aus 1515 auf der Rückseite der Karte ein Nachdruck auf wiederverwendetem Papier aus der Zeit nach 1516."

Diese wurde 2001 um 10 Millionen US-Dollar von Johannes Fürst zu Waldburg-Wolfegg und Waldsee verkauft und später in einem Staatsakt an die Kongressbibliothek in Washington D.C. übergeben. Missinne stieß nach jahrelangen weltweiten Forschungen in der "Public Library" in New York auf die Karte des französischen Kartografen Louis Boulangier, die dieser in seiner südfranzösischen Heimatstadt Albi um 1508 angefertigt hat und dabei den identischen Maßstab des mit Eiweiß zusammengeklebten Straußeneischalen-Globus von Leonardo da Vinci aus dem Jahr 1504 (Maßstab 1:80.000.000) und dessen Entdeckung von Globenstreifen aus dem Jahr 1490 anwendete.

Auf 12 Streifen hat Boulengier die gesamte Weltkugel dargestellt. "America" erscheint als "neu entdeckt" - lateinisch "noviter reperta"- ganz im Osten in der Nähe Japans, da der Pazifik noch unbekannt war, als zwickelähnliche Fläche mit vielen unbekannten Inseln umgeben.

Missinne präsentierte seine Entdeckung am vergangenen Donnerstagabend bei einem Vortrag auf Einladung der Österreichischen Landesverteidigungsakademie (LVAk) in Wien. Die von ihm vergrößerte Karte wurde dabei von französischen und US-amerikanischen Militärattachés vor Diplomaten aus Österreich, dem Vatikan, der Schweiz, Portugal, Spanien, Polen, Norwegen, Kroatien und der Türkei feierlich enthüllt.

Das Original der Karte wurde 1881 bei einer Auktion in Paris vom US-Sammler Charles H. Kalbfleisch erworben und kam 1889 in den Bestand der "Public Library" in New York. "Sie liegt dort kaum beachtet in einem kleinen Kästchen", so Missinne, der 2018 die Karte persönlich inspizieren konnte, im Gespräch mit der APA.

"Beitrag zum 250. Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung"

"Mein Fund des verborgenen Schatzes ist auch ein Beitrag zum nächstes Jahr gefeierten 250. Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung aus 1776. Amerika hat jetzt eine neue kartografische Geburtsurkunde." Damit ist die bisherige aus Deutschland stammende und 1901 von einem Priester entdeckte "Waldseemüller-Karte" als älteste Darstellung Amerikas gewissermaßen entthront worden.

Die frühere deutsche Kanzlerin Angela Merkel übergab 2007 bei einem Besuch in Washington dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush das einzige bekannte Exemplar, ein Nachdruck dieser Karte aus dem Jahr 1516. Merkel betonte in ihrer Festrede, dass die Verdienste der USA für die deutsche Entwicklung in der Nachkriegszeit den Ausschlag dafür gegeben hätten, die Waldseemüllerkarte auch als Hinweis auf die zahlreichen deutschen Wurzeln der USA an die Library of Congress zu übergeben. Dort wird sie jährlich von zwei Millionen Besuchern besichtigt.

Der amtierende US-Präsident Donald Trump wird mit der älteren Karte des Franzosen Boulengier -gedruckt in Lyon - vermutlich wenig Freude haben. Denn der amerikanische Kontinent ist darauf nur sehr klein dargestellt. Zudem fehlt das von ihm beanspruchte Grönland komplett.

Buch von 1505 eröffnet neue Aspekte zur Etymologie "Amerikas"

Missinne kam über ein kleines Buch aus dem Jahr 1507 mit dem Titel "Speculi orbis declaration" von W. Lud aus St. Dié-des-Vosges auch auf neue Erkenntnisse zur Geschichte der Namensgebung des neuen Kontinents. Der elsässische Dichter Matthias Ringmann verwendete die Beschreibungen des italienischen Entdeckers Amerigo Vespucci über Sitten und Gebräuche der Ureinwohner Amerikas für sein Gedicht, in dem er erstmals den Begriff "Americi" (März 1507) durch "Amerika" (April 1507) ersetzte. Das Büchlein existiert weltweit nur in zwei Exemplaren, wobei eines in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien aufbewahrt wird.

Zusammenfassung
  • Die Boulangier-Karte zeigt 'America' als 'neu entdeckt' ('noviter reperta') in der Nähe Japans und besteht aus 12 Streifen, wobei sie den Maßstab des Straußeneischalen-Globus von Leonardo da Vinci von 1504 verwendet.
  • Missinne präsentierte seine Entdeckung in Wien vor internationalen Diplomaten und Militärattachés und sieht sie als Beitrag zum 250. Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung im kommenden Jahr.