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Neue Dauerausstellung zur NS-Unrechtsjustiz in Wien

Im Wiener Landesgericht für Strafsachen ist am Dienstag eine neue Dauerausstellung zur Gedenkstätte für die Opfer der NS-Justiz eröffnet worden. Unter dem Titel "Man kann sie direkt sterben hören" erinnert sie an die 1.219 Frauen und Männer, die im Hinrichtungsraum während der NS-Zeit mit einer Guillotine enthauptet wurden. Die Schau thematisiert den Widerstand in seiner ganzen Bandbreite, die Unrechtsjustiz sowie die Nachkriegszeit.

Die Nationalsozialisten hatten 1938 die Umwandlung eines Lagerraums im Straflandesgericht in eine Hinrichtungsstätte samt Fallbeil veranlasst. Dieser ehemalige Hinrichtungsraum ist seit 1967 ein Gedenkraum. Im Vorraum, wo einst an Hinrichtungstagen eine Gerichtskommission den Verurteilten die Todesurteile verlas, findet sich die Dauerausstellung, die mit der Unterstützung des Justizministeriums vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) und dem Verein Justizgeschichte und Rechtsstaat kuratiert wurde.

"Gerade in einer Zeit, in der die rechten Ränder wieder erstarken, ist es wichtig, an die Grauen der NS-Zeit zu erinnern", sagte Justizministerin Alma Zadic (Grüne) bei der Eröffnung, für die sich etwa auch der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer und Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter einfanden. Denn es sei das Vergessen, das eine Wiederholung erst ermögliche. "Es ist unsere historische Pflicht, die Grundprinzipien der Demokratie, der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen und konsequent einzumahnen", so Zadic. "Das Privileg, in einem Rechtsstaat zu leben, wird durch Ausstellungen wie diese emotional greifbar", strich auch Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien, den Wert der Schau hervor. Diese ist nach erfolgtem Sicherheitscheck beim Einlass zum Gerichtsgebäude frei zugänglich.

Der Name der Ausstellung - "Man kann sie direkt sterben hören" - greift auf überlieferte Worte zurück. Sie kommentierten den Fall des Stahlbeils, der das Gerichtsgebäude erschütterte und selbst im benachbarten Gefangenenhaus noch hörbar war. Die Hinrichtungen selbst dauerten meist nur wenige Sekunden, erklärte DÖW-Leiter Andreas Kranebitter. Dabei sei die Strafrechtsjustiz ein "zentraler Bestandteil des NS-Terrors" gewesen. "Justiz und Gestapo waren kommunizierende Gefäße, sie waren arbeitsteilige Mörder", so Kranebitter.

Hinter den vollstreckten Todesurteilen standen Delikte wie Diebstahl, Mord, "Unzucht wider die Natur", Verstöße gegen die "Volksschädlingsverordnung", Desertation oder Hochverrat. Faire Verfahren gab es nicht. Viele wurden wegen ihrer politischen Tätigkeit, ihrem Glauben oder ihrer sexuellen Orientierung kriminalisiert.

640 der 1.219 Hingerichteten sind dem Widerstand zuzuordnen. Ihre Namen sind auf Zeittafeln grafisch hervorgehoben. Im 1. Quartal 1943 wurden mit über 150 Hinrichtungen die meisten Todesurteile vollstreckt. Dem Widerstand in seinen vielen Formen - etwa kommunistisch, christlich oder slowenischer Widerstand in Kärnten - sind viele Erklärtafeln gewidmet. Dabei werden auch mehrere Einzelschicksale beispielhaft herausgegriffen.

Bei einem Besuch der Gedenkstätte vor der offiziellen Eröffnung interessierte sich Justizministerin Zadic insbesondere auch für jene Hingerichteten, die für "allgemeine Delikte" zum Tod verurteilt wurden, wie Friedrich Forsthuber, gleichermaßen Präsident des Landesgerichts wie passionierter Historiker, erläuterte. Die 60-jährige Karoline Redler, eine Vorarlbergerin, wurde denunziert, nachdem sie im August 1943 in einer Arztpraxis in Hohenems unter anderem gesagt haben soll, Deutschland habe den Krieg gewollt. Sie wurde denunziert, festgenommen, nach Wien gebracht und vom so genannten Volksgerichtshof wegen "Wehrkraftzersetzung" und "Feindbegünstigung" zum Tod verurteilt. "Ihr braucht euch meiner nicht zu schämen, ich sterbe für meine Überzeugung", hielt sie in ihrem Abschiedsbrief vor ihrer Hinrichtung am 8. November 1943 fest.

Im Dritten Reich wurde mit aller Härte gegen Homosexuelle vorgegangen. Das Sondergericht Wien verhängte auch Todesurteile, wenn die betroffenen Männer als "gefährliche Gewohnheitsverbrecher" angeklagt waren. So wird in der Gedenkstätte an das Schicksal des 21-jährigen Franz Doms erinnert, der am 7. Februar 1944 wegen "wiederholter widernatürlicher Unzucht" hingerichtet wurde.

Zahlreiche Tafeln widmen sich der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz und dem Weg zur Hinrichtung. Viel Raum bekommt die Nachkriegszeit mit ihrer (mangelhaften) Aufarbeitung der NS-Gräuel und Justizverbrechen. Viele Richter und Staatsanwälte wurden nach Kriegsende zwar außer Dienst gestellt, konnten aber aufgrund der wenige Jahre später erlassenen "Minderbelastetenamnestie" ihre Karrieren fortsetzen. Ein Beispiel dafür war Walter Lillich, in der NS-Zeit Ermittlungsrichter des Volksgerichtshofs und später Gruppenleiter einer Sondergerichts-Abteilung der Staatsanwaltschaft Wien und als solcher mit der Vollstreckung von Todesurteilen betraut. Nach Kriegsende wurde ein gegen ihn gerichtetes Strafverfahren eingestellt. Er bekam eine Haftentschädigung und machte in weiterer Folge in der Justiz Karriere. 1973 ging er als Hofrat des Oberlandesgerichts Wien in Pension. "Er war unter anderem in der Richterausbildung tätig", hielt Landesgerichts-Präsident Fortsthuber fest.

Im wenige hundert Meter entfernten Justizpalast wurde am Dienstag eine weitere Schau eröffnet: die Wanderausstellung des deutschen Bundesjustizministeriums "Die Rosenburg - Das deutsche Bundesjustizministerium im Schatten der NS-Vergangenheit". Sie thematisiert die nationalsozialistische Vorgeschichte zahlreicher Mitarbeiter des Ministeriums nach 1945 und findet sich bis 2. August in der Eingangshalle des Justizpalasts.

(S E R V I C E - Informationen zu historischen Führungen im Straflandesgericht unter https://www.justiz.gv.at/lg-fuer-strafsachen-wien/)

ribbon Zusammenfassung
  • Im Wiener Landesgericht für Strafsachen wurde eine neue Dauerausstellung zur NS-Unrechtsjustiz eröffnet, die an die 1.219 enthaupteten Opfer erinnert.
  • Die Ausstellung wurde vom DÖW und dem Verein Justizgeschichte und Rechtsstaat kuratiert und ist nach einem Sicherheitscheck frei zugänglich.
  • Justizministerin Alma Zadic betonte die Wichtigkeit, an die Grauen der NS-Zeit zu erinnern, um eine Wiederholung zu verhindern.
  • Der Name der Ausstellung - 'Man kann sie direkt sterben hören' - verweist auf die überlieferten Worte, die den Fall des Stahlbeils kommentierten.
  • Die Nachkriegszeit und die mangelhafte Aufarbeitung der NS-Gräuel werden ebenfalls thematisiert, wobei viele NS-Richter ihre Karrieren fortsetzen konnten.