Ludwig: Nehammer-Brief "an Zynismus nicht zu überbieten"

0

Michael Ludwig spricht im PULS 24 Interview mit PULS 24 Infochefin Corinna Milborn über die Corona-Ampel, Flüchtlingskinder aus dem griechischen Lager Moria, Integration und den Wahlkampf der ÖVP.

Als amtierender Bürgermeister geht Michael Ludwig als Favorit in die Wahl. Als Krisenmanager hat er von der Corona-Krise in den Umfragen profitiert. Zuletzt sorgte aber die Corona-Ampel für Zündstoff mit der Bundesregierung, vor allem natürlich dem türkisen Teil der Koalition. Auch Integration ist nach Auseinandersetzungen zwischen rechtsextremen Türken und kurdischen Vereinen in Wien-Favoriten wieder zum Wahlkampf-Thema geworden, ebenso wie die Aufnahme von Flüchtlingskindern aus dem abgebrannten griechischen Flüchtlingslager Moria. Die wichtigsten Aussagen von Michael Ludwig kompakt zusammengefasst:

Zu steigenden Corona-Fällen und der Schweizer Reisewarnung für Wien:

Alle urbanen Räume, nicht nur in Österreich sondern in ganz Europa sind betroffen. Von daher nehmen wir das auch ernst, es war (...)  voraussehbar, dass es im Herbst wieder eine Steigerung der Anzahl der Infizierten gibt und von daher haben wir auch alle Maßnahmen, die wir gesetzt haben in Wien immer in Einklang mit den Maßnahmen der Bundesregierung aufrecht erhalten. Auch in der Phase, wo man den Eindruck gewinnen konnte, es wird wieder leichter. (...) Das was mich allerdings beruhigt, ist dass die Zahl der Infizierten, die als Schwersterkrankte in den Spitälern aufhältig sind - insbesondere auf den Intensivstationen - seit vielen Wochen sehr stabil ist. Es ist eigentlich unsere Hauptsorge, dass die Kapazitäten der Spitäler erreicht werden, das ist erfreulicherweise in Wien nicht der Fall.

Zu den langen Wartezeiten bei Corona-Tests:

Wir erhöhen laufend den Personalstand und werden das jetzt auch mit einem sehr umfassenden Paket weiter fortsetzen. Aber richtig ist, wir haben die Teststruktur geändert und auch die Anzahl der Test sehr stark erhöht. Wir testen jetzt pro Tag in etwa 4.500 Personen und zwar in sehr untypischen Zielgruppen. Wir stoßen deshalb auch auf viele Infizierte, die keine Symptome haben. Das ist auch der Grund, dass die Zahl der Infizierten stark gestiegen ist, weil wir einfach Menschen identifizieren, die infiziert sind, die wir sonst nicht entdeckt hätten. Von daher macht es sicher Sinn, dass wir die Anzahl der Tests erhöhen. Aber sie haben recht, das fordert sehr alle Kapazitäten und kann in Einzelfällen dazu führen, dass es länger dauert.

Zur Hervorhebung Wiens als Corona-Hotspot durch die Bundesregierung:

Es wird wahrscheinlich schon auch ein wenig mit dem Umstand zu tun haben, dass wir in vier Wochen in Wien Wahlen haben. Denn sonst müsste die Bundesregierung oder einzelne Mitglieder der Bundesregierung ja auch laufend auf andere Regionen Österreichs aufmerksam machen, wo die Zahlen zum Teil höher sind als in Wien - pro 100.000 Einwohner gerechnet.

Zur Corona-Ampel:

Wir waren von Beginn an dafür, dass man Maßnahmen setzt, dass die Bevölkerung mit den Entscheidungen, die auf Bundesebene getroffen werden, mitziehen kann. Dass es ein transparentes, nachvollziehbares System gibt, an dem sich die Bevölkerung orientieren kann. Es zeigt sich jetzt beim Umsetzen dieser Ampel, dass das nicht ganz so einfach ist und auch nicht ganz so klar ist, wie das eigentlich gewünscht ist. So dass auch wir oft verwundert sind, wie manche Entscheidungen zustande kommen und es natürlich wichtig ist, dass man die Entscheidungen dieser Kommission auch sehr transparent ausweist. Denn sonst entsteht das Gegenteil, nämlich Verunsicherung der Bevölkerung und das ist das Wenigste, was wir in dieser Krise brauchen.

Zu den Zuständen im Flüchtlingslager Moria:

Die Bilder sind ja erschreckend, wenn man sieht, dass auf dem Boden der Europäischen Union man nicht in der Lage ist, Kinder entsprechend zu versorgen. Wenn man bedenkt, dass Länder wie Libanon, Jordanien und die Türkei Millionen Flüchtlinge menschenwürdig unterbringen und es gelingt der Europäischen Union nicht, ein paar Hundert Menschen menschengerecht zu versorgen, dann ist das wirklich problematisch.

Zur Aufnahme von Flüchtlingskindern:

Kinder lösen bei mir und bei vielen Wienerinnen und Wienern große Emotionen aus. Von daher haben wir beschlossen - drei Parteien im Wiener Landtag - dass wir bereit sind, 100 Kinder in Wien zu versorgen. Voraussetzung ist aber, dass die Bundesregierung diese Möglichkeit schafft. (...) Alles was Aufenthaltsgesetze betrifft, ist Bundesangelegenheit. Das heißt, die Kinder könnten gar nicht über die Grenze kommen, wenn die Bundesregierung das nicht möchte. Von daher sind unsere Hände da gebunden, aber die Bereitschaft besteht, wie auch in der Vergangenheit Wien geholfen hat in schwierigen Zeiten und immer sehr loyal zu den vertraglichen Vereinbarungen in der Grundversorgung zwischen den Bundesländern und der Republik Österreich.

Zum Nehammer-Vorschlag, Wien solle Flüchtlinge aus Bundeseinrichtungen aufnehmen:

Der Beschluss, den wir im Landtag getroffen haben, ist deshalb getroffen worden, weil es um Kinder geht, die in menschenunwürdigen Zuständen leben. Wenn der Innenminister der Meinung ist, dass dort, wo er politisch Verantwortung trägt, ähnliche Lebensumstände für Kinder herrschen, dann sind wir bereit, auch aus diesen Lagern Kinder zu übernehmen. Aber ich will ja nicht hoffen, dass es im Wirkungsbereich des Innenministers ähnlich furchtbare Lebensumstände für Kinder gibt. (...) Von daher finde ich, ist der Brief an Zynismus wirklich nicht zu überbieten, aber das reiht sich leider ein in die Aussagen der Bundesregierung oder Teile der Bundesregierung der letzten Tage.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hatte der Wiener Stadtregierung in einem Brief vorgeschlagen, statt Flüchtlingskindern aus Moria 100 Kinder aus Bundeseinrichtungen in Österreich zu versorgen. (Anm. Red.)

Zur harten Linie der ÖVP in der Flüchtlingsfrage:

Das ist mir völlig unverständlich oder ist mir nur verständlich unter dem Gesichtspunkt, dass die ÖVP offensichtlich Stimmen von der FPÖ lukrieren will. Aber wenn jetzt schon ein FPÖ-Bürgermeister wie z.B. aus Hohenems (Dieter Egger, Anm. Red.) die ÖVP quasi links überholt, dann muss man sich fragen, ob die ÖVP mit ihrer Entscheidung noch richtig liegt.

Zu Streitigkeiten zwischen Bund und der Stadt Wien:

Ich würde sagen, nicht Streitigkeiten, sondern Angriffe, die Teile der ÖVP auf die Stadt Wien machen. Wir streiten nicht, wir haben sehr loyal alle Entscheidungen der Bundesregierung mitgetragen. Auch in einer Phase, wo für uns klar erkennbar war, dass es Fehler gibt. (...) Wir haben als Stadt Wien immer die Meinung vertreten, in dieser schwierigen Situation müssen alle zusammen halten. Wir werden nichts dazu beitragen, dass die Bevölkerung verunsichert wird. Wir sind aber umgekehrt sehr enttäuscht - auch ich persönlich - wenn ich dann merke, wenn's eine Chance gibt, dass man dann immer versucht mit Wien-Bashing Wien zu schaden - nämlich auch wirklich zu schaden, politisch wie wirtschaftlich. Das kann ich nicht auf Wien sitzen lassen, das haben sich die Wienerinnen und Wiener nicht verdient.

Zu Bildungsdefiziten bei Integration:

Das ist auch der Grund, dass ich jetzt mit Beginn des Schuljahres mit der kostenlosen Ganztagsschule eine Möglichkeit geschaffen habe, dass wir uns noch viel stärker um Kinder kümmern, insbesondere auch um Kinder, die einen starken Nachholbedarf haben. Und wir werden an 70 Standorten kostenfrei Ganztagsschule haben, in einem verschränkten Unterricht: Bildung kombiniert mit Freizeitangeboten. Das ist gut für die Kinder, das ist gut für die Familien, das ist eine wichtige Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das wird vielen Frauen auch die Möglichkeit bieten, Vollzeit beschäftigt zu sein und wird vor allem auch für die Integration ein ganz wichtiger Schritt sein.

Zum Thema Islamismus und Integration:

Da möchte ich zwei Antworten geben: Zum einen, dass ich der erste Politiker war, der die Aberkennung der Staatsbürgerschaft von IS-Heimkehrern verlangt hat und auch umgesetzt hat in einigen Fällen. Ich sag das deshalb, weil ich damit illustrieren möchte: Ich bin gegen jede Form von Radikalismus, egal unter welchem Titel und dass man überall da wo man es verhindern kann, radikale Elemente aus Wien und aus Österreich fernhalten soll. Das zweite ist, dass ich sag, man muss jenen Menschen, die sich einer Glaubensgemeinschaft verbunden fühlen, nicht ständig diskreditierende Äußerungen übermitteln. (...) Wir versuchen in der Seestadt Aspern einen Campus der Religionen an einem Standort zu realisieren, wo sich acht Religionsgemeinschaften nicht nur nebeneinander sondern auch miteinander entwickeln.

Zur Frage nach einem stärkeren Staat:

Ich bin ein großer Vertreter der gemischten Wirtschaft. Privatwirtschaft hat ihre Vorteile, es hat aber auch die Gemeinwirtschaft ihre Vorteile, insbesondere im Bereich der kommunalen Dienstleistungen. Ich glaube, je nachdem in welchen Bereich der Wirtschaft man tätig ist, wird es in Zukunft einen starken privaten Sektor geben und auch einen kommunalen Sektor, der nicht privatisiert werden sollte.

Zur Frage, ob der Lobautunnel sicher kommt:

Ja, ich kann mir nicht vorstellen, dass die grüne Ministerin politisch in irgend einer Form eingreifen kann. Meiner Meinung nach ist das auf Schiene und ist deshalb auch notwendig, weil Wien einer der wenigen Millionenstädte ist, wo es keine Umfahrung gibt. Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Grünen sich so vehement dagegen stellen, denn dass der gesamte Schwer- und Durchzugsverkehr durch die Stadt Wien geführt wird und nicht um die Stadt herumgeführt wird, erscheint mir als echtes Thema. Und von daher werden wir weiter dran bleiben und ich sehe auch keine Möglichkeiten der Grünen, das Projekt zu behindern.

ribbon Zusammenfassung
  • Michael Ludwig spricht im PULS 24 Interview mit PULS 24 Infochefin Corinna Milborn über die Corona-Ampel, Flüchtlingskinder aus dem griechischen Lager Moria, Integration und den Wahlkampf der ÖVP.
  • Als amtierender Bürgermeister geht Michael Ludwig als Favorit in die Wahl.
  • Ich würde sagen, nicht Streitigkeiten, sondern Angriffe, die Teile der ÖVP auf die Stadt Wien machen.
  • Wir werden nichts dazu beitragen, dass die Bevölkerung verunsichert wird.