APA/GEORG HOCHMUTH

Liechtenstein analysiert europäische Integration

18. Juli 2025 · Lesedauer 5 min

Liechtenstein ist dabei, die europäische Integration zu untersuchen. Grund dafür sind die Bestrebungen des EWR-Mitgliedstaats Island, das mit einem EU-Beitritt liebäugelt. Es wurde "eine Arbeitsgruppe gegründet, um die europäische Integration ganz offen anzuschauen", sagte die Regierungschefin des Fürstentums, Brigitte Haas. "Wir prüfen alle Optionen ohne Scheuklappen." Ein EU-Beitritt allerdings "wäre mehr als ein großer Lupf. Das kann ich mir derzeit nicht so vorstellen."

Gleichzeitig betonte die Regierungschefin im Gespräch mit der APA: "Wir müssen gerüstet sein und unsere Gedankenspiele, unsere Untersuchungen jetzt machen: Was für Möglichkeiten gibt es, damit Liechtenstein in Europa eingebettet ist und bleibt." Es gebe verschiedene Formen der Kooperation.

Liechtenstein ist seit mehr als 30 Jahren Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Das Land gehört außerdem dem Europarat, der UNO und der Welthandelsorganisation (WTO) an. Die neueste Institution, der Liechtenstein sich freiwillig angeschlossen hat, ist der Internationale Währungsfonds IWF. Für Liechtenstein sei die IWF-Mitgliedschaft - wie Haas im Dialekt sagt - "ein großer Lupf" (Kraftakt, Anm.), da jährliche Prüfungen stattfinden. "Deshalb haben wir jetzt nicht vor, in ein nächstes Gremium oder in eine nächste Institution einzutreten, sondern wir glauben, wir sind sehr gut und auch sehr solidarisch vertreten."

"Unser Schutz ist nicht die Armee"

Liechtenstein, das über kein eigenes Heer verfügt, setzt auf Solidarität. "Unser Schutz ist nicht die Armee", bestätigte Haas. "Ich glaube, unser Schutz ist, dass wir ein wertvoller Partner sind im Herzen von Europa. Dass wir uns verpflichten, dass wir zuverlässig sind, dass wir beispielsweise Österreich bei seiner UNO-Sicherheitsratskandidatur unterstützen." Liechtenstein trage alle EU-Sanktionen mit, obwohl es keine Verpflichtung dazu hätte. "Diese Sicherheit können wir bieten, auch dass wir in der UNO gewisse Initiativen anstoßen." Auch bei der internationalen humanitären Hilfe sei das Land solidarisch. Und Liechtenstein mit seinen 40.000 Einwohnern habe etwa 800 Menschen aus der Ukraine aufgenommen, was verhältnismäßig viel sei.

Bei der Sicherheitsstrategie sucht Liechtenstein darüber hinaus den Austausch mit seinen Nachbarn. So hätten etwa österreichische Experten ihren Kollegen vom Innen- und Außenressort wertvollen Input gegeben, schilderte Haas. Sie habe auch Bundeskanzler Christian Stocker bei einem Gespräch vergangene Woche gefragt, ob Liechtenstein weiterhin auf derartige Kompetenz zurückgreifen könne, wenn es denn sein müsse, so Haas weiter. Stocker habe zugesagt. Ähnliche Kooperationen gebe es auch mit der Schweiz und Deutschland.

Verkehrsprobleme in Grenzregion

Angesichts der Verkehrsüberlastung, die unter anderem die 8.800 Pendler aus Österreich tagtäglich spüren, berichtete Haas von einer Initiative: Es geht um eine grenzüberschreitende Tarifeinheit im öffentlichen Verkehr zwischen der Schweiz, Vorarlberg und Liechtenstein. "Eine Region, ein Ticket. Das wäre das Ziel", sagte Haas.

Sie sehe die Entscheidung ihrer Landsleute gegen den zweigleisigen Ausbau der Bahnstrecke zwischen Feldkirch und Buchs immer noch als verpasste Chance, sagte Haas. "Ich bin immer noch unglücklich, denn ich habe immer gesagt, der nächste Schritt wird sein, dass die ÖBB nicht mehr über Sargans nach Zürich fährt. Und dreimal dürfen wir raten, was jetzt auf dem Tisch liegt: Die ÖBB fährt über Bregenz, Sankt Margrethen nach Zürich." Wenn dieser Vorschlag umgesetzt werde, dann könnte andererseits die freie Strecke wieder für die S-Bahn genutzt werden.

Haas fürchtet mehr Verkehrsaufkommen durch den geplanten Feldkircher Stadttunnel. "Das ist dann auf unserer Seite wieder nicht so gern gesehen, logischerweise. Da werden wir schauen, wie wir das stemmen werden. Die Straßen sind jetzt schon zu gewissen Zeiten überlastet." Darüber hinaus versuche Liechtenstein, Busspuren einzurichten.

Vorarlberger Bischof

Verbindend zwischen den beiden Ländern ist außerdem, dass der Feldkircher Bischof Benno Elbs seit 2023 Übergangsverwalter der Erzdiözese Vaduz ist. "Wir sind dankbar, dass er eingesprungen ist während der Zeit, als Bischof Haas altersbedingt zurückgetreten ist", sagte Haas. Die Nachfolge des zurückgetretenen Erzbischofs Wolfgang Haas habe sich durch den Tod von Papst Franziskus verzögert. "Bischof Elbs, denke ich, hätte genauso gerne wie wir eine baldige Lösung." Wichtig sei ihr weiters, dass Vaduz eine Erzdiözese bleibt.

Erste Regierungschefin Liechtensteins

Haas zeigte sich im Gespräch mit der APA auf Nachfrage sehr erfreut, dass sie die erste Frau in der Position der Liechtensteiner Regierungschefin sein dürfe. "Ich glaube, es zeigt ja schon, dass Frauen auch bis dahin sehr gleichberechtigt sind." Haas verwies darauf, dass Liechtenstein erst 1984 das Frauenstimmrecht eingeführt habe. Role Models seien wichtig. "Es ist nicht einfach, und da setze ich mal zuerst an die Adresse von uns Frauen, Frauen zu motivieren, sich auch hinzustellen."

Weiterhin keine Song-Contest-Teilnahme

Auch wenn eine Liechtensteiner Künstlerin bereits einmal beim Eurovision Song Contest für ein anderes Land mitgemacht hatte, tritt Liechtenstein selbst nicht bei dem Gesangswettbewerb an. Als Mitgrund für die Nicht-Teilnahme nannte Haas die Größenverhältnisse ihres Landes. "Bei uns haben mittlere Gemeinden 3.000 Leute, aber eine Eventhalle für 3.000 haben wir nicht." Liechtenstein habe sich aber sehr über den österreichischen ESC-Gewinn gefreut.

(Das Gespräch führte Alexandra Demcisin/APA.)

Zusammenfassung
  • Liechtenstein prüft im Zuge der EU-Ambitionen Islands seine europäische Integration und hat dazu eine Arbeitsgruppe eingesetzt.
  • Regierungschefin Brigitte Haas schließt einen EU-Beitritt aktuell aus und betont, dass Liechtenstein alle Kooperationsformen offen prüft.
  • Mit rund 40.000 Einwohnern und über 30 Jahren EWR-Mitgliedschaft setzt das Land auf internationale Solidarität statt militärischen Schutz und unterstützt freiwillig alle EU-Sanktionen.
  • Im Verkehrsbereich sind 8.800 Pendler aus Österreich betroffen, weshalb eine grenzüberschreitende Tarifeinheit mit der Schweiz und Vorarlberg angestrebt wird.
  • Liechtenstein hat etwa 800 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen und sieht sich als zuverlässigen Partner im Herzen Europas.