Kroatiens EU-Grenze: "Rückweisungen erfolgen unter roher Gewalt"

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Seit Jahresbeginn ist Kroatien der 27. Mitgliedsstaat im EU-Schengenraum. Während gegen die Beitritte von Rumänien und Bulgarien von Österreich ein Veto eingelegt wurde, war die ÖVP-regierte Regierung mit dem kleinen Balkanstaat einverstanden. Migrationsexpertin Kohlenberger analysiert die Hintergründe und Erwartungen rund um Zagrebs Schengen-Beitritt.

Für Urlauber und Urlauberinnen stellen die Einführung des Euros und das Wegfallen der Grenzkontrollen in Kroatien Erleichterungen dar, in der EU-Außenpolitik werde sich kurzfristig wenig ändern, sagt die Migrationsexpertin Judith Kohlenberger. Sie rechnet durch die Erweiterung mit keiner Zunahme der irregulären Migration nach Westeuropa. 

Dass ein Land im Schengenraum sei, heiße nicht immer automatisch offene Grenzen - so wurden zuletzt die Kontrollen an der Grenze zwischen Österreich und der Slowakei verlängert. 

Kein Schengen-Veto gegen Kroatien

Im Dezember legte Österreich ein Veto gegen den Beitritt von Rumänien und Bulgarien ein. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sprach sich im November auch gegen den Beitritt Kroatiens aus, denn aktuell funktioniere das System an den EU-Außengrenzen nicht. Schließlich lenkte die ÖVP-geführte Regierung bei Kroatien ein und stimmte mit den anderen Schengen-Staaten für die Aufnahme Kroatiens.

Kroatien und Österreich würden sich politisch-strategisch näher stehen, so Kohlenberger im Interview mit PULS 24 Anchor Jakob Wirl. 

Dilemma mit EU-Erwartungen

Zwischen der EU und Kroatien bestünden unausgesprochene Erwartungen, so Kohlenberger. Die EU hätte vorausgesetzt, dass Kroatien es schaffen würde, den Grenzschutz zu stärken. Kroatien sei aber nur das ausführende Organ der Union, das Dilemma zwischen Menschenrechten und mehr Grenzschutz sei nicht gelöst worden. 

Offen seien nur die Grenzen zu Slowenien, an der bosnisch-kroatischen Grenze würde Kroatien kontrollieren. Allerdings gibt es hier Berichte über Pushbacks seitens Kroatiens. Pushbacks, das sind Zurückweisungen von Migrantinnen und Migranten ohne Asylverfahren, was in der Regel gegen EU-Recht verstößt.

Man könne sich nicht auf der einen Seite auf die europäischen Werte, auf die Grund- und Menschenrechte verständigen und diese einhalten und hochhalten wollen, und auf der anderen Seite aber einen Außengrenzschutz einfordern, der in der Praxis leider sehr häufig bedeute, dass Geflüchtete zurückgewiesen werden.

Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin

Diese Art der Grenzpolitik stelle einen offenen Bruch mit dem "Non-Refoulement"-Gebot der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Darin wird die Ausweisung von Personen, denen in ihrem Zielland Folter oder schwere Menschenrechtsverhandlungen drohen, verboten; es ist ein Grundsatz des Völkerrechts. Diese Zurückweisungen erfolgten an der Grenze von Kroatien zu Bosnien "häufig unter dem Einsatz roher Gewalt", erinnert Kohlenberger.

Menschenrechte an der kroatischen Grenze missachtet

2020 stellte ein Antifolterkomitee des Europarats an der kroatischen Grenze schwere Misshandlungen an der kroatischen EU-Außengrenze fest. So wurden Migrant:innen gezwungen, barfuß durch den Wald zu marschieren und gefesselt in den Grenzfluss Korana geworfen. Der Bericht bezieht sich auf Vorfälle aus dem Jahr 2020, veröffentlicht wurde er 2021. 

Auch Recherchen des deutschen Magazins "Der Spiegel" belegen diese Pushbacks. Polizisten sollten sich dabei vermummt haben, um nicht erkennbar zu sein. "Man müsse da genauer hinschauen", so Kohlenberger. Im Falle Kroatiens seien diese "dokumentierten Menschenrechtsverletzungen" nicht ausschlaggebend für ein Veto von österreichischer Seite gewesen. 

"Durchlässige" kroatische Grenze als Strategie

Im Dezember soll die kroatisch-bosnische Grenze "durchlässiger" gewesen sein, berichtet Judith Kohlenberger. Die Expertin sieht dahinter strategische Ziele, ein Rückstau hätte abgebaut werden sollen, um so nicht im Jänner für womöglich höhere Migrationszahlen mitverantwortlich gemacht zu werden.

ribbon Zusammenfassung
  • Kroatien habe mit dem Schengen-Beitritt zwar nun eine offene Grenze zu Slowenien, aber die bosnisch-kroatische würde weiterhin kontrolliert werden.
  • Die EU würde Kroatien in ein Dilemma drängen: Bei den von Kroatien verlangten Standards für irreguläre Migration würden die Menschenrechte als europäische Werte nicht eingehalten werden.
  • Im PULS 24 Interview erklärt die Migrationsexpertin Judith Kohlenberger, was sich mit dem Beitritt Kroatiens zum Schengenraum ändern wird.

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