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Kinderbetreuung in NÖ: Vollzeit ohne (familiäre) Unterstützung unmöglich

Nicht erst seit dem Wahlkampf wird die Kinderbetreuung in Niederösterreich politisch diskutiert. Manche Parteien wollen Menschen ermöglichen, zu Hause zu bleiben, andere fordern Vollzeit-Betreuung. Aber was wollen die Eltern? PULS 24 hat nachgefragt.

Die Kinderbetreuung ist in Österreich Sache der Länder. In Niederösterreich können Kinder ab zweieinhalb Jahren den Landeskindergarten besuchen. Für Jüngere bieten Gemeinden, private Krabbelstuben oder Tagesmütter Betreuung an. Ab September 2024 wird das Eintrittsalter für den Kindergarten auf zwei Jahre gesenkt, das wurde im November im Landtag beschlossen. Für welche Uhrzeiten Betreuung angeboten wird, das hängt aber vom jeweiligen Betreiber ab.

PULS 24 hat sich umgehört, wie Eltern die derzeitige Situation empfinden. 

Jobwechsel wegen Unvereinbarkeit

Hannah ist Mitte 20, sie hat zwei Kinder im Alter von drei und anderthalb Jahren. Sie lebt zwischen Hollabrunn und Tulln. Aktuell ist sie in Karenz, am Wochenende studiert sie, um den Job zu wechseln. Zuvor arbeitete sie als Flugbegleiterin, die Arbeitszeiten waren aber nicht mit der Kinderbetreuung vereinbar.

Ihre bisherigen Arbeitszeiten als Flugbegleiterin würden sich "hinten und vorne" nicht ausgehen, weil eine Betreuung nur bis 17 Uhr angeboten werde. Ihr jüngeres Kind besucht eine private Tagesstätte. Gratis ist in Niederösterreich aktuell nur der halbtägige Kindergartenbesuch, von Montag bis Freitag zwischen 7 und 13 Uhr. Außerhalb dieser Zeiten muss bezahlt werden. Karenz können sich Eltern bis zum zweiten Geburtstag des Kindes nehmen, mit zweieinhalb kann dann der Landeskindergarten besucht werden.

"Dieses halbe Jahr zwischen dem Ende der Karenz und dem Beginn des Kindergartens muss man halt irgendwie überbrücken", erzählt Hannah PULS 24. Sie habe hier Unterstützung durch Großeltern und ihr familiäres Umfeld. Dieses Glück haben aber nicht alle Familien.

Situation ist ohne Arbeit einfacher

"Ich kenne Leute, die zahlen 800 Euro im Monat für die Tagesmutter" – mit Teuerung und Mieterhöhungen wüsste sie nicht, wo das hinführen solle, meint Hanna. Abhängig von den Arbeitszeiten muss Betreuung gesucht und bezahlt werden, was teuer werden kann. 

"Da kriegt man dann beim AMS mehr als wenn man arbeiten geht", sagt sie. Ihr Kind wäre oft das einzige, das bis 17 Uhr im Kindergarten ist und ihr Partner würde auch so lange arbeiten, "der kann nicht um fünf Uhr das Kind abholen". Sie habe aber auch das Gefühl, dass nicht alle anderen Eltern diesen Bedarf an Kinderbetreuung außerhalb des Vormittags teilen.

Das sah auch die ÖVP im niederösterreichischen Landtag so. In einer aktuellen Stunde im Jänner 2022 sagt die VP-Abgeordnete Margit Göll, dass "bedarfsorientierter" Ausbau der Kindesbetreuung wichtig sei, aber "nicht alle die Betreuung der unter 2,5-Jährigen in Anspruch nehmen", hieß es in einer Aussendung des Landtags.

Teilzeitfalle?

Vor der Rückkehr in den Arbeitsalltag stellt sich bei Paaren die Frage, wer in Karenz gehen soll - bei Hannah war das nicht der Fall, sie wird danach in Teilzeit als Psychotherapeutin arbeiten. Teilzeit ist für sie eine Option, weil sie flexibler ist. Für ihren Mann gilt das nicht, er würde sich dadurch in seinem Vollzeit-Job Aufstiegschancen verbauen, meint sie. 

Vereinbarkeit abhängig von Arbeitszeiten

Seit 2006 erhebt die Arbeiterkammer (AK) den Vereinbarkeitsindikator von Familie und Beruf (VIF). Dabei werden verschiedene Faktoren erfasst, dazu zählt, ob es durchgehende Betreuungszeiten für unter 2,5-Jährige sowie für Kinder zwischen zweieinhalb und sechs Jahren gibt. Andere Faktoren sind etwa die Zahl der Tage, an denen der Kindergarten geschlossen hat, die Wochenöffnungszeiten und die Möglichkeit auf Nachmittagsbetreuung.

Die Arbeiterkammer erfasst jährlich die Betreuungssituation der Kindergärten in Niederösterreich. PULS 24 liegen vorab einige Zahlen des Berichts zur Situation 2021/2022 vor, der im Frühjahr veröffentlicht wird. 

Im Jahr 2022 sank die Betreuungsquote, also der Anteil der Kinder, die einen ganztägigen Betreuungsplatz haben. Für die Altersgruppe der Drei- bis Fünfjährigen sind es 2021/22 "nur noch" 31 Prozent. Zum Vergleich: 2019/20 lag dieser Anteil bei 22 Prozent und verdoppelte sich 2020/21 auf 42 Prozent. Auch die durchschnittliche Zahl der Tage, an denen der Kindergarten geschlossen hat, stieg: von durchschnittlich 20,9 Schließtagen im Vorjahr auf im Schnitt 25 Schließtage im Zeitruam 2021/22.

Laut der Kinderbetreuungsanalyse der Arbeiterkammer Niederösterreich besuchten 2020/21 rund 38 Prozent der Kinder nur vormittags eine Betreuungsstätte.

Baustelle Kleinkindbetreuung

Für die Unter-Dreijährigen hat sich die Betreuungsquote 2021/22 auf 28,6 Prozent verbessert. Eines der "Barcelona"-Ziele des europäischen Rats ist eine Betreuungsquote von Unter-Dreijährigen, die bei mindestens 33 Prozent liegt. Frauen soll so auch mit Kindern das Arbeiten ermöglicht werden.

Unabhängig von der Erfüllung der Vorgaben des VIF, kommt es auf die eigenen Arbeitszeiten an, ob das Betreuungsangebot wirklich passt: Im Vorjahr hatten 18 Prozent der Kindergärten in Niederösterreich bis 17 Uhr geöffnet. In Wien wird das von 86 Prozent erfüllt.

Vollzeit-"Einhorn"-Eltern

Auch Bernhard und seine Partnerin stört die "institutionelle Kultur" bei der Kinderbetreuung in Niederösterreich, wie er sagt. Beide sind Anfang 30, arbeiten Vollzeit und haben eine dreijährige Tochter, die in Tulln einen Landeskindergarten besucht. Er arbeitet an der Universität, seine Frau bei der Kirche. Sie würden regelmäßig vom Kindergarten-Personal gefragt, ob sie ihre Tochter nicht doch früher abholen könnten. Offen hat der Kindergarten eigentlich bis 16 Uhr.

Die Infrastruktur an sich störe ihn nicht, aber man würde da eine "traditionelle Familiennorm" ganz stark spüren, sagt er. Im Vergleich zu Deutschland oder Wien würden sich er und seine Frau - als Vollzeit-arbeitende Eltern ohne soziales Netz - in Niederösterreich "wie ein Einhorn" fühlen, sagt Bernhard.

Wenn Niederösterreich qualifizierte Arbeitskräfte auch in Gegenden außerhalb von Wien haben möchte, dann gibt's keinen Weg daran vorbei, eine vernünftige Betreuungs-Infrastruktur zu haben.

Bernhard, Universitätsmitarbeiter

Eltern müssen flexibel sein

Hannah und Bernhard sind keine Einzelfälle. Für die Recherche hat PULS 24 mit sechs Eltern gesprochen, alle wünschen sich flexiblere Betreuungszeiten. Das Angebot des Landes reicht aus, weil die befragten Eltern flexibel sind - durch Job, zusätzliche Betreuung oder Familie. 

Anders ist die Situation bei Christian, er wohnt mit seiner Partnerin im Piestingtal im südlichen Niederösterreich. In der Gemeinde gibt es einen Gemeindekindergarten für die Unter-Dreijährigen und den Landeskindergarten für ältere Kinder. Luxuriös, wie er findet. Der gebürtige Berliner habe sich die Situation schlimmer vorgestellt, sagt er. Seine Partnerin arbeitet Teilzeit, er Vollzeit. Beide sind aber selbstständig, deshalb können sie sich flexibel mit den Öffnungszeiten der Betreuungseinrichtungen arrangieren.

Ähnlich wie Bernhard findet auch er, dass die Kultur rund um die Kindesbetreuung in Niederösterreich etwas veraltet sei: "Manche Leute gucken uns hier immer noch mit großen Augen an, wenn wir sagen, dass wir unser Kind in dem Alter in den Kindergarten geben."

Die Gemeinde richtet's

Auch Vater Björn aus der Umgebung von Wien machte die Erfahrung, dass die Gemeinde essentiell ist. Die Krabbelstube, in der er und seine Partnerin ihre 14-monatige Tochter gegeben hatten, ging von einer auf die nächste Woche in Konkurs. Die Eltern gingen zum SPÖ-Bürgermeister, der das Thema "politisch immer sehr hoch auf der Agenda stehen" hatte. Das müsse man in einer Gemeinde mit vielen berufstätigen Eltern auch, meint Björn. Die Gemeinde habe dann sehr kurzfristig die Krabbelstube übernommen. 

Ideologisch gefärbtes Dauerthema

Welche Ziele die politischen Parteien bei der Kindesbetreuung haben, gehen weit auseinander: Die SPÖ fordert Kinderbetreuung, die "ganztägig, ganzjährig, gratis" ist. Sie will Frauen ermöglichen, ganztägig zu arbeiten und damit auch mehr Arbeitsplätze schaffen. Ab 2025/26 soll Kleinkindbetreuung ab dem 1. Geburtstag ermöglicht und das finanziell vom Land übernommen werden. 

Auch die Grünen wollen ein Recht auf Kinderbetreuung ab dem 1. Lebensjahr und Verbesserungen des Berufs der Elementarpädagogin. Ebenso wollen sich die Neos für mehr Kinderbetreuung einsetzen.

Keine 200 neuen Gruppen

Auch die ÖVP will "moderne Familienpolitik", "mit gleichen Chancen und Freiheiten für alle". Die VP spricht von einer "Bildungsoffensive": in Niederösterreich werden 750 Millionen Euro in die Kinderbetreuung investiert werden, heißt es im Programm für die kommenden fünf Jahre. Ab 2023 soll die institutionelle Kinderbetreuung für Kinder bis sechs Jahren gratis werden - das umfasst Kinder in Krabbelstuben, die von Gemeinden betrieben werden sowie private Kindergärten und die Landeskindergärten, aber keine Tagesmütter. 

Im Landtag kündigte die VP-Abgeordnete Margit Göll im Jänner 2022 an, dass es bis Jänner 2023 im Land 200 neue Kindergartengruppen geben solle. Das wurde nicht erreicht: Laut der Kindestagesheimstatistik 2021/2022 gab es in Niederösterreich in absoluten Zahlen 55 neue Kindergruppen. 

Die Kinderbetreuung sei das "Hauptthema" der SPÖ gewesen, meint der Innenpolitik-Ressortleiter der "Wiener Zeitung", Simon Rosner, im Interview bei "PULS 24". Mit der Ankündigung des "kräftigen Ausbaus" der Betreuung im November habe die ÖVP der SPÖ aber schon vor dem Wahlkampf das Wasser abgegraben.

Für die FPÖ ist Kindesbetreuung kein Hauptthema. In einer Aussendung fordert sie eine "ehrliche Familienpolitik". Die FPÖ um Spitzenkandidat Udo Landbauer möchte, dass Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen, das Landeskindergeld bekommen.

Alle erwähnten Eltern wurden anonymisiert, PULS 24 sind die echten Namen bekannt.

ribbon Zusammenfassung
  • Nicht erst seit dem Wahlkampf wird die Kindesbetreuung in Niederösterreich politisch diskutiert: Die Parteien wollen viel - Menschen ermöglichen zuhause zu bleiben bis hin zur Forderung nach der Möglichkeit von Vollzeit-Betreuung.
  • Aber was wollen die Eltern? Wahlfreiheit, aber das gibt die bestehende Infrastruktur nicht immer her.