Kärnten
Auch Kaiser will Menschenrechtskonvention diskutieren
Gesetze und völkerrechtliche Vereinbarungen würden regelmäßig überarbeitet und angepasst, so Kaiser in einem Eintrag in seinem Blog. Rechtsstaatlichkeit bedeute auch "Anpassungsfähigkeit", so Kaiser, der allerdings keine konkreten Vorschläge für Änderungen machte.
Zuletzt hatte Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) auch koalitionsintern für Diskussionen gesorgt, als er Änderungen in der Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Migrationsbereich forderte. Dieser legt unter anderem die EMRK aus.
Für diesen Vorstoß, auf den Kaiser in seinem Beitrag konkret nicht Bezug nahm, kassierte Stocker Ablehnung von NEOS und auch der SPÖ. Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag, Änderungen sind daher nur im Konsens der Vertragsstaaten möglich. Darüber hinaus steht sie in Österreich im Verfassungsrang.
Kaiser plädiert für EMRK-Anpassung
Seit 1950 (dem Jahr der Verabschiedung der EMRK, Anm.) habe sich die Welt geändert, argumentiert Kaiser in seinem Blog-Beitrag, aus dem zunächst die "Kronen Zeitung" zitierte.
"Globalisierung, Digitalisierung, weltweite Kriegs- und in Zukunft verstärkte klimabedingte Migrationsbewegungen, das Erstarken religiöser und politischer Radikalisierung sowie die Zunahme terroristischer Gewaltakte stellen die Grundfeste unserer friedlich-demokratischen Gesellschaft immer öfter auf die Probe. Die Frage, ob und in welcher Weise die bestehenden Regelungen der EMRK auch in diesen neuen Realitäten effektiv greifen, ist legitim."
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Die österreichische Verfassung sei seit ihrem Inkrafttreten mehr als 100mal novelliert worden, so Kaiser. Auch die Datenschutz-Grundverordnung der EU sei eine Antwort auf eine völlig veränderte Datenwelt im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor.
"Warum also sollte ausgerechnet die EMRK einem nahezu heiligen, unveränderbaren Status unterliegen - obwohl sich die Rahmenbedingungen für ihren Anwendungsbereich stark verändert haben?"
Babler: Kaiser hat Meinung kundgetan
Der Schutz individueller Grundrechte müsse "stets mit der Sicherheit der gesamten Gemeinschaft in Einklang gebracht werden", betonte der Kärntner Landeschef.
In Fällen schwerer Gewalt, Radikalisierung oder Terror dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass demokratische Rechtsstaaten durch eigene Regeln in eine Handlungsunfähigkeit gedrängt werden. Die EMRK sei ein "Meilenstein europäischer Zivilisation": "Aber auch Meilensteine brauchen hin und wieder ein stabiles Fundament, um nicht unter neuen Belastungen zu zerbrechen."
Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) betonte vor dem Ministerrat am Mittwoch nochmals, dass es sich bei Stockers Vorstoß um keine akkordierte Aktion der Regierung gehandelt habe. Die Meinung der Sozialdemokratie sei eine andere.
Er habe mit Kaiser gesprochen, dieser habe seine Meinung kundgetan, so der Vizekanzler.
Plakolm: Keine parteipolitische Diskussion
ÖVP-Kanzleramtsministerin Claudia Plakolm sagte nach dem Ministerrat am Mittwoch danach gefragt, die Diskussion, die hier geführt werde, zeige, dass der Vorstoß nicht aus einer parteipolitischen Richtung komme. Auf EU-Ebene gebe es eine Initiative von elf Staats- und Regierungschefs, eine entsprechende Diskussion anzuregen.
"Von Liberalen über Sozialdemokraten, die ja auch Mitinitiatoren waren, bis hin zu Rechtspopulisten ist hier eine große Bandbreite gegeben."
Es könne nicht sein, "dass uns (bei Asylverfahren, Anm.) die Hände gebunden sind. Aber klar ist, die Menschenrechte sind in Österreich aus gutem Grund im Verfassungsrang und werden selbstverständlich auch weiterhin bleiben."
Meinl-Reisinger findet Initiative gut
Außenministerin und NEOS-Chefin Meinl-Reisinger meinte wiederum, sie finde die Initiative gut. "Ich habe sie nie so verstanden, auch vom Herrn Bundeskanzler nicht, dass er grundsätzlich die Menschenrechtskonvention infrage stellt, sondern davon ausgeht, dass wir handlungsfähig sein wollen."
Zuvor hatte etwa NEOS-Klubobmann Yannick Shetty davon gesprochen, man müsse sich künftig besser abstimmen, es habe sich um eine Aktion des Bundeskanzlers und nicht der Regierung gehandelt.
Die Menschen würden den "Kontrollverlust" und die irreguläre Migration "in diesem Ausmaß" jedenfalls nicht mehr wollen, so Meinl-Reisinger. Handlungsfähigkeit des Staates und der EU müsse gegeben sein, aber auf Basis der Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Es sei gut und richtig, dass man darauf dränge, einen restriktiveren Rechtsrahmen zu schaffen.
Grüne: Sägen an Grundpfeilern des Rechtsstaats
Für FPÖ-Verfassungssprecher Michael Schilchegger werden mit der aktuellen Debatte "wieder Nebelgranaten gezündet", während "das Asyl- und Zuwanderungschaos" Österreich weiter an den Rand der Belastbarkeit bringe.
ÖVP und SPÖ hätten bisher die Vorstöße der Freiheitlichen zur Neuauslegung der EMRK verteufelt und würden jetzt bloß versuchen, ihr eigenes Versagen zu verschleiern.
Die Grünen sahen in einer Aussendung ihrerseits bei Kaiser einen "befremdlichen Kniefall vor rechtspopulistischen Kräften". "Wer an der Europäischen Menschenrechtskonvention rüttelt, sägt an den tragenden Grundpfeilern unseres Rechtsstaates", warnte die Nationalratsabgeordnete und Kärntner Landessprecherin Olga Voglauer.
Gerade wenn autoritäre Tendenzen in Europa wieder an Boden gewinnen, müsse der Schutzrahmen der EMRK gestärkt und verteidigt werden.
Video: Stocker im Interview
Zusammenfassung
- Die SPÖ-Spitze um Andreas Babler distanziert sich von Kaisers Vorstoß, während NEOS-Chefin Meinl-Reisinger die Initiative begrüßt und betont, dass Handlungsfähigkeit auf Basis von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten notwendig sei.
- Änderungen an der EMRK sind nur im Konsens aller Vertragsstaaten möglich, sie steht in Österreich im Verfassungsrang und die österreichische Verfassung wurde seit ihrem Inkrafttreten mehr als 100-mal novelliert.