Gemischte Reaktionen auf Kopftuchverbot
"Kinder in ihrer Entwicklung zu schützen und sie zu stärken, ist, neben der elterlichen Verantwortung, ein zentrales Anliegen des österreichischen Bildungssystems. Schule vermittelt nicht nur Wissen, sondern fördert auch Werte wie Gleichstellung von Mann und Frau, individuelle Freiheit und soziale Integration", heißt es von der Gewerkschaft. Aus diesem Grund begrüße man den Entwurf in seiner Zielsetzung, die Selbstbestimmung von Schülerinnen zu stärken. Aber: Dadurch dürften keine "zusätzlichen Belastungen" für Schulen entstehen.
Einen solchen "ausschließlich zusätzlichen Mehraufwand" sieht die Gewerkschaft etwa in dem vorgesehenen Gespräch, das die Schulleitung laut Entwurf bei einem Verstoß zunächst nur mit der Schülerin führen muss. "Betroffene Schülerinnen sprechen oft aus Angst vor negativen Konsequenzen im häuslichen Umfeld selten bzw. überhaupt nicht über diese Dinge, weil sie nicht über die kognitive Reife verfügen könnten, um die Hintergründe reflektieren und erfassen zu können", so die Gewerkschaft, die stattdessen fordert, dass im Falle des ersten Verstoßes die Schulleitung unverzüglich Erziehungsberechtigte und Schülerin im Beisein einer weiteren geeigneten Person (Schulqualitätsmanagement, Schulpsychologie) zu einem Gespräch laden soll. Weiters soll durch eine zusätzliche Bestimmung im Privatschulgesetz eindeutig klargestellt werden, dass auch private Träger das Gesetz anzuwenden haben.
Grundsätzlich befürchten die Lehrergewerkschafter, dass der Aufwand am Lehrpersonal hängen bleibt. "Es wird von uns aber unmissverständlich darauf hingewiesen, dass Schulen ausschließlich Bildungseinrichtungen mit klarem pädagogischem Auftrag und keinesfalls Kontrollinstanzen mit sicherheitspolizeilichen oder verwaltungsstrafrechtlichen Aufgaben sind. Zudem ist für uns die Tatsache grotesk, dass nun Pädagog:innen ein gesellschaftspolitisches Problem lösen sollen, das politisch Verantwortliche vor allem im letzten Jahrzehnt mitverursacht haben und es nun offenbar selbst nicht lösen können oder wollen", so die scharfen Abschlussworte der Gewerkschaft in ihrer Stellungnahme.
Gleichbehandlungsanwaltschaft ortet Diskriminierungspotenzial
Gut heißen die Lehrergewerkschafter, dass sich das Verbot an der Schulstufe und nicht dem Alter der Mädchen orientiert, da zweiteres einen zusätzlichen Aufwand gebracht hätte. Anders sieht das die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW): Durch das Verbot für alle bis zur achten Schulstufe könnten auch Mädchen, die bis zu 16 oder sogar 17 Jahre alt sind, betroffen sein. Denn in Österreich gäbe es laut OECD besonders viele "überaltrige" Schüler und Schülerinnen. Somit würden religionsmündige Jugendliche in ihren Rechten beschnitten werden. Außerdem würde das Gesetz auch die Eltern zwingen, in die Religionsfreiheit ihrer Kinder einzugreifen. Denn diese müssten das Verbot auch zuhause umsetzen und darauf achten, dass ihre Töchter ohne Hidschāb in die Schule gehen.
Grundsätzlich ortete die GAW im Gesetzesentwurf "grobe rechtliche Mängel" und Diskriminierungspotenzial. "Wir konnten bereits beim gesetzlichen Vorstoß von 2019 beobachten, dass die betroffenen Mädchen und Familien dadurch verstärkt rassistischen Belästigungen ausgesetzt waren. Das ist aus rechtsstaatlicher Sicht sehr bedenklich", betonte GAW-Leiterin Sandra Konstatzky gegenüber der APA. Sie geht davon aus, dass dieses Gesetz - wie schon 2019 - vom Verfassungsgerichtshof gekippt wird.
Fokus auf einziges Symbol potenziell verfassungswidrig
Denn der Fokus auf ein einziges religiöses Symbol sei verfassungswidrig und widerspreche dem Neutralitätsgebot. Daran würden auch Begleitmaßnahmen des Gesetzesentwurfes, wie zB Sozialarbeit, nichts ändern. Der Gesetzesentwurf verstärke zudem das Risiko, dass Lehrpersonen - bewusst oder unbewusst - komplexe Situationen missdeuten und ein überbordendes soziales Kontrollverhalten ausüben. Dies könne zu rassistischer Diskriminierung führen.
Bereits jetzt sind laut GAW muslimische Frauen besonders von rassistischer Diskriminierung betroffen. 90 Prozent der gemeldeten Diskriminierungsfälle im Bereich Religion betreffen Angehörige des Islams, zu 80 Prozent sind Frauen betroffen. Bereits 2018, als die schwarz-blaue Bundesregierung ihre Pläne für Hidschābverbote an Schulen öffentlich machte, führte das zu mehr gemeldeten Fällen von Diskriminierung.
Bereits jetzt ist antimuslimischer Rassismus in Österreich weit verbreitet: Laut der Europäischen Agentur für Grundrechte (FRA) haben 71 Prozent der Befragten in den vergangenen fünf Jahren rassistische Erfahrungen aufgrund ihrer muslimischen Glaubenszugehörigkeit gemacht. 27 Prozent gaben an, dass ihre Kinder Diskriminierung oder Mobbing in Schulen erleben. Der EU-Durchschnitt liegt hier bei 16. "Die Statistiken belegen, dass in Bildungseinrichtungen rassistische Erfahrungen das Leben vieler Schüler:innen prägen. Der vorliegende Entwurf würde dies unserer Erfahrung nach noch befeuern", betonte Konstatzky.
Auch Protestanten und Freikirchen dagegen
Kritik am Gesetz gab es auch von der Initiative für ein diskriminierungsfreies Bildungswesen. "Was wir dringend brauchen ist ein Diskriminierungsverbot, kein Diskriminierungsgebot", fordert Obfrau Sonia Zaafrani, die davon ausgeht, dass der VfGH dieses Gesetz wieder aufheben wird. Abzuwarten bleibe, wie die Schulleitungen und Lehrpersonen auf dieses Gesetz reagieren werden. Viele hätten bereits signalisiert, "dass sie sich nicht für rassistische und diskriminierende Symbolpolitik missbrauchen lassen."
Ähnlich klang auch die Stellungnahme der Evangelischen Kirche. "Der Zustand einer Demokratie zeigt sich auch daran, wie sie mit Minderheiten umgeht", heißt es dort. Man sehe in dem vorliegenden Gesetz "vorrangig Symbolpolitik, die sich an die Wählerschaft und gegen Musliminnen und Muslime richtet." Eine "einseitige Diskriminierung" ortet der Rat der Freikirchen. Auch die Islamische Föderation in Wien befürchtet, dass durch das Gesetz bestehende Vorurteile gegenüber muslimischen Schülerinnen verstärkt werden, was zu sozialer Ausgrenzung führen könne.
Zusammenfassung
- Die Begutachtungsphase für das geplante Kopftuchverbot bis zur achten Schulstufe endet am Donnerstag, bis dahin sind Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf möglich.
- Die Pflichtschullehrer-Gewerkschaft begrüßt das Ziel des Gesetzes, kritisiert jedoch den zusätzlichen Aufwand für Lehrkräfte und fordert, dass bei Verstößen auch Erziehungsberechtigte und Fachpersonal eingebunden werden.
- Die Gleichbehandlungsanwaltschaft sieht im Gesetzesentwurf Diskriminierungspotenzial, da laut OECD viele überaltrige Schülerinnen betroffen wären und 90 Prozent der gemeldeten Diskriminierungsfälle im Bereich Religion Angehörige des Islams betreffen.
- Evangelische Kirche, Freikirchen und die Initiative für ein diskriminierungsfreies Bildungswesen kritisieren das Gesetz als Symbolpolitik und befürchten eine Verstärkung von Vorurteilen sowie sozialer Ausgrenzung muslimischer Schülerinnen.