Syrien: Jihadisten brachten Aleppo großteils unter ihre Kontrolle
Die Jihadistengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) und mit ihr verbündete Gruppierungen haben den Großteil von Syriens zweitgrößter Stadt Aleppo unter ihre Kontrolle gebracht. Die Jihadisten kontrollierten "den größten Teil der Stadt sowie Regierungszentren und Gefängnisse", erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (OSDH) am Freitag. Zudem sei Aleppo in der Nacht auf Samstag erstmals seit 2016 von russischen Luftangriffen getroffen worden.
Die syrische Armee bestätigte die Präsenz der Kämpfer in der Stadt. Der OSDH zufolge starben bei den Kämpfen seit Mittwoch rund 330 Menschen. Allein bei mutmaßlichen russischen Luftangriffen seien mindestens 16 Menschen getötet und 20 verletzt worden. Die OSDH sprach von einem "Massaker".
Zuvor hatte die Organisation 311 Tote gemeldet - darunter 183 Kämpfer der Jihadistengruppe HTS und seiner Verbündeten, 100 Mitglieder der syrischen Regierungstruppen sowie 28 Zivilisten.
Russische Luftangriffe auf Aleppo
Russische Kampfflugzeuge hätten "erstmals seit 2016 Angriffe auf Teile der Stadt Aleppo" geflogen, erklärte die Beobachtungsstelle. Russland ist ein Verbündeter der syrischen Regierung unter Präsident Bashar al-Assad. Die russische Armee teilte nach Angaben russischer Medien mit, dass sie zur Unterstützung der Regierung in Damaskus "extremistische" Gruppen in Syrien bombardiert habe.
Die Angriffe erfolgten, nachdem der Flughafen von Aleppo geschlossen und alle Flüge gestrichen worden waren. Nach Angaben der OSDH übernahmen mittlerweile kurdische Milizen den Flughafen. Demnach rückten kurdische Kämpfer nach Abzug regierungstreuer Truppen in mehrere Dörfer und Vororte im Norden und Osten der Stadt ein und besetzten den Flughafen. Zehntausende Menschen seien infolge der Entwicklungen auf der Flucht, hieß es in der Mitteilung. Die kurdischen Milizen gehören nicht zur HTS, scheinen nun aber teilweise das durch den Rückzug regimetreuer Truppen entstehende Machtvakuum auszufüllen.
-
Mehr lesen: Syrien: Jihadisten stehen schon in Aleppo
Die syrische Armee bestätigte am Samstag die Präsenz von regierungsfeindlichen Kämpfern in "großen Teilen" Aleppos und meldete "Dutzende" Tote sowie zahlreiche Verletzte in ihren eigenen Reihen. "Bewaffnete terroristische Organisationen" hätten "einen breit angelegten Angriff" an den Fronten in Aleppo und Idlib gestartet. Es gebe heftige Kämpfe "in einem Streifen von mehr als 100 Kilometern".
Am Freitag hatten Rebellen im Zuge einer überraschenden Offensive Aleppo nach eigenen Angaben eingenommen. Sie seien ins Zentrum der Großstadt vorgestoßen, teilten die Rebellen mit. Das syrische Staatsfernsehen bestritt die Angaben. Das Militär erklärte, es stelle sich den Rebellen entgegen. Den Aufständischen seien im Umland von Aleppo und Idlib schwere Verluste zugefügt worden.
Mehrere Viertel Aleppos eingenommen
Bereits am Freitagnachmittag meldete die Kommandozentrale der von der islamistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Sham angeführten Rebellen, ihre Kämpfer seien in mehrere Viertel Aleppos eingedrungen.
Der Kommandeur der Rebellenbrigade Jaish al-Issa, Mustafa Abdul Jaber, erklärte, der rasche Vormarsch sei darauf zurückzuführen, dass die vom Iran unterstützten Kräfte geschwächt seien. Irans Verbündete in der Region haben durch israelische Angriffe während des Gazakrieges und der Offensive im Libanon an Schlagkraft verloren.
Am Mittwoch waren die Rebellen nach Angaben aus Armee- und Aufständischenkreisen unter der Führung der Hajat Tahrir al-Sham in die Provinz Aleppo vorgestoßen, die von der syrischen Regierung kontrolliert wird.
Die OSDH berichtete, dass die HTS-Kämpfer und ihre Verbündeten, von denen ihren Angaben zufolge einige der Türkei nahestehen, am Freitag nach "zwei Selbstmordattentaten mit Autobomben" vor den Toren der Stadt nach und nach die Kontrolle über die Stadtteile übernahmen.
"Grünes Licht" von Türkei
Das syrische Militär sprach von einem "Großangriff auf breiter Front". Es war der größte Angriff seit Vereinbarung einer Waffenruhe im März 2020. Nach jahrelangen Kämpfen zwischen Rebellen und den Truppen von Assad hatten Russland und die Türkei ein Abkommen ausgehandelt, das den status quo zementierte, der nun durch die Rebellen-Offensive in Frage gestellt wird.
-
Mehr lesen: Syrien: Schallenberg will EU-Annäherung an Assad
Assads wichtigster Verbündeter ist neben dem Iran Russland, während die Türkei Rebellengruppen unterstützt. In informierten Kreisen hieß es, die Türkei habe grünes Licht für die Offensive gegeben.
Zusammenfassung
- Nach einer Rebellenoffensive ist die syrische Stadt Aleppo mehrheitlich unter Kontrolle der Jihadistengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS).
- Zuvor war der Flughafen von Aleppo geschlossen worden.
- Russische Kampfflugzeuge flogen Luftangriffe auf Aleppo.