APA/HELMUT FOHRINGER

Fischler: Mehr Integration in der EU "lebenswichtig"

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Der Präsident des Forums Alpbach, Franz Fischler, tritt für mehr Integration in der EU ein, sie sei geradezu "lebenswichtig": "Mehr Integration ist im Eigeninteresse eines jeden Staates in Europa und ganz besonders der kleineren Staaten. Das ist nicht etwas, was europäische Sonntagsprediger oder die EU-Befürworter üblicherweise ins Treffen führen, sondern etwas Lebenswichtiges für uns alle."

Der Präsident des Forums Alpbach, Franz Fischler, tritt für mehr Integration in der EU ein, sie sei geradezu "lebenswichtig": "Mehr Integration ist im Eigeninteresse eines jeden Staates in Europa und ganz besonders der kleineren Staaten. Das ist nicht etwas, was europäische Sonntagsprediger oder die EU-Befürworter üblicherweise ins Treffen führen, sondern etwas Lebenswichtiges für uns alle."

Er sei nicht der Meinung, "dass es in absehbarer Zeit die Vereinigten Staaten von Europa geben wird", sagte der frühere EU-Landwirtschaftskommissar und Ex-ÖVP-Minister im Gespräch mit der APA. "Das findet ja allein deshalb schon nicht statt, weil es den Brexit gibt und weil es andere Staaten gibt, die überhaupt kein Interesse daran haben wie die Schweiz, die wollen sicher nicht der EU beitreten." Die Integration sei aber deswegen nicht zu Ende. "Und daher stelle ich mir die Zukunft so vor, dass man in konkreten Teilbereichen viel stärker zusammenwächst."

Nach Ansicht Fischlers müsste Europa beispielsweise "ein einziger Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsraum" werden. "Da gibt es ja überhaupt niemanden, der da etwas dagegen haben kann. Im Gegenteil: Wenn vor allem die großen Grundlagenforschungen nicht entsprechend gemeinschaftlich organisiert werden, dann werden wir von den Großen - von den USA, von China - in der Zukunft in einem Maße abgehängt werden, dass Europa in die Mittelklasse zurückfallen würde."

Mittelfristig müsse aber auch ein Weg gefunden werden, "wie wir in der Migrationsfrage einen integrativen Ansatz finden, denn es wird nicht funktionieren, dass da jeder Staat eine eigene Position hat". Zudem müssten Integrationsmodelle für die Sicherheit Europas entwickelt werden. "Auch hier, glaube ich, braucht es gemeinsame Initiativen, allein schon aus der ökonomischen Überlegung heraus." Schließlich sei ein gemeinsames Vorgehen etwa im Bereich der Cybersicherheit "ja auch viel preisgünstiger".

Integration müsse aber auch teilweise "anders gedacht" werden, als das traditionellerweise der Fall sei, argumentierte Fischler. "Zur Zeit sind eigentlich wir Europäer diejenigen, die es unterschätzen, wie viele Staaten es auf der Welt gibt, die sich gerade jetzt, in einer Situation, wo aufgrund des Präsidenten Amerika schwächelt und wo auch auf der anderen Seite das Misstrauen gegenüber den Chinesen oder gegenüber den Russen steigt, von Europa globale Initiativen erwarten würden. Wer sonst, wenn nicht Europa, soll eine Initiative starten, dass wir tatsächlich die Klimaziele erreichen? Oder wer sonst, wenn nicht Europa, soll als Vertreter der Grund- und Menschenrechte auftreten? Oder von wem sonst soll man eine Initiative in der WTO erwarten?"

Die Aussichten, dass es zu dieser verstärkten Integration tatsächlich kommen wird, sieht Fischler durchaus optimistisch. Die Coronakrise könnte in diesem Zusammenhang auch ein "Auslöser und Beschleuniger" sein, Dinge zu überdenken, meint er. "Ich bin da nicht so pessimistisch. Es wird natürlich die Orbans und Kaczynskis und wie sie alle heißen weiter geben, die wird man nicht aus der Welt schaffen können, aber ich glaube, dass durchaus auch auf der Ebene der Bürger neue Entwicklungen auf uns zukommen werden. Es ist meines Erachtens ja auch kein Zufall, dass jetzt auf einmal zum Beispiel in mehr und mehr Mitgliedstaaten die Möglichkeit geschaffen wird, Entscheidungen über Bürgerräte herbeizuführen. Ich glaube, dass die Demokratie nicht unbedingt überall auf dem Rückzug ist, sondern durchaus auch auf dem Vormarsch." Das zeige sich auch in extremen Fällen wie dem, was sich zur Zeit in Weißrussland abspiele. "Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen, die sogar ihr Leben riskieren, um mehr Demokratie zustande zu bringen."

Auf die Frage, wie er den bisherigen Umgang der EU mit der Coronakrise bewerte, sprach Fischler von einer "ambivalenten Situation". Es stimme zwar, "dass die Kompetenzen der europäischen Institutionen im Zusammenhang mit Gesundheitsmaßnahmen sehr begrenzt sind und viele Gesundheitsmaßnahmen nach wie vor in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten" fielen. Doch: "Darauf hat sich meiner Meinung nach am Anfang der Coronakrise die Europäische Kommission zu sehr berufen, ich würde sogar sagen, dahinter versteckt. Denn auch wenn keine unmittelbaren Kompetenzen gegeben sind, ist das noch lange kein Grund, dass die Kommission keine Initiativen ergreifen könnte, und da war sie am Anfang schwach. Jetzt, in der Zwischenzeit, ist es etwas anders geworden, weil auch die Einsicht gestiegen ist, dass man hier gemeinschaftlich vorgehen muss."

Zu Beginn der Krise seien außerdem "jede Menge Gemeinschaftsvorschriften und -regeln von den Mitgliedsstaaten ignoriert" worden: "Denken Sie nur an die Grenzkontrollen, denken Sie an Handelsbeschränkungen von Material wie Masken und Handschuhen und dergleichen, an Hygienemittel, die man in den Krankenhäusern dringend gebraucht hat. Da hat man auf einmal die gemeinschaftlichen Vorschriften über Nacht außer Kraft gesetzt." Nach Ansicht Fischlers wäre es jedenfalls sehr wichtig, "dass man in den kommenden Jahren die Fehler, die am Anfang begangen worden sind, aufarbeitet; denn das Schlechteste in der Politik ist, Fehler zu wiederholen".

Das Vorgehen der Staats- und Regierungschefs in den nicht gerade unaufwendigen Verhandlungen über EU-Coronahilfen im Juli sieht Fischler nicht unbedingt als Beispiel dafür, dass nationale Interessen letzten Endes doch immer wieder vor gemeinschaftliche gestellt werden. "Ein Regierungschef eines Mitgliedstaates wird ja nicht dafür gewählt, dass er die Interessen Europas vertritt, sondern dafür, dass er die Interessen seines Landes vertritt. Also insofern ist das logisch und nachvollziehbar." Problematisch werde die Sache dadurch, "dass die Mitgliedstaaten immer mehr versuchen, sich in die europäischen Angelegenheiten und in die Zuständigkeiten der europäischen Institutionen - der Kommission, des Europäischen Parlaments und des Rates - einzumischen und versuchen, ihre nationalen Positionen der Gemeinschaft aufzudrücken. Das ist unfair, und das ist etwas, was hintangehalten werden muss."

Das größte Problem in diesem Zusammenhang sei das Prinzip der Einstimmigkeit: "Die Einstimmigkeit schafft einfach die Möglichkeit, dass jeder Mitgliedstaat die anderen Mitgliedstaaten erpressen kann und sich seine Zustimmung teuer abkaufen lassen kann, und das geschieht natürlich ständig." Das zeige sich nicht nur im Zusammenhang mit dem Budget, sondern beispielsweise auch in der Steuerfrage. "Europäische Steuervorschriften können nur einstimmig eingerichtet werden. Solange die Briten Mitglied in der EU waren, haben sie alle gemeinschaftssteuerlichen Initiativen verunmöglicht, indem sie einfach ihr Veto eingelegt haben. Und so ist das in vielen anderen Bereichen auch."

Fischler sprach sich dafür aus, die Einstimmigkeit weiter zu reduzieren. "Nach Möglichkeit sollte die Einstimmigkeit überhaupt wegfallen. Dann hätte man auch ein demokratischeres System, denn Demokratie besteht ja nicht darin, dass die einen die anderen erpressen."

ribbon Zusammenfassung
  • Das ist nicht etwas, was europäische Sonntagsprediger oder die EU-Befürworter üblicherweise ins Treffen führen, sondern etwas Lebenswichtiges für uns alle."
  • Er sei nicht der Meinung, "dass es in absehbarer Zeit die Vereinigten Staaten von Europa geben wird", sagte der frühere EU-Landwirtschaftskommissar und Ex-ÖVP-Minister im Gespräch mit der APA.
  • Das zeige sich auch in extremen Fällen wie dem, was sich zur Zeit in Weißrussland abspiele.

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