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Ex-EU-Kommissar Andor: Orbán gerät an die Peripherie

Obwohl Ungarns Regierungschef Viktor Orbán im EU-Wahlkampf von der "Eroberung Brüssels" spricht, sieht Ex-EU-Kommissar László Andor den rechtsnationalen Premier auf europäischer Ebene eher im Abseits. "Er steht (Russlands Staatschef) Wladimir Putin zu nahe, und das ist für die meisten nicht akzeptabel", so der Sozialist im Gespräch mit der APA über den Chef der derzeit fraktionslosen ungarischen Regierungspartei Fidesz.

"Sein Einfluss schwindet, er gerät an die Peripherie", so Andor weiter. Fidesz sucht gerade nach einer neuen Fraktion im künftigen Europaparlament. Die Partei war nach längeren Konflikten 2020 aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) ausgetreten. Die Andockversuche Orbáns konzentrieren sich derzeit auf die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), in der etwa die Fratelli d'Italia von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni sitzen, und auf die Rechtspopulisten-Fraktion "Identität und Demokratie" (ID) mit der FPÖ oder dem französischen Rassemblement National.

"Die überwiegende Mehrheit der EKR unterstützt die Ukraine", erinnert Andor an eventuelle Konflikte mit dem pro-russischen Orbán. "In der ID bleibt er hingegen als Regierungschef alleine, er gerät dann vollkommen an den Rand."

Ungarn übernimmt ab Juli die rotierende Präsidentschaft der Europäischen Union. Der frühere EU-Sozialkommissar nennt als wichtiges Thema der EU für die nächste Zeit die Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Das bedeute nicht das Streben nach europäischer Autarkie, wohl aber eine "Vertiefung des Binnenmarktes", die Schaffung von mehr Kaufkraft in den ärmeren Regionen. Andor schlägt vor allem den gezielteren Einsatz der EU-Kohäsionsmittel vor, insbesondere auch die Verknüpfung verschiedener Dimensionen bei der Förderung, etwa von Infrastruktur, Innovation und Human Ressources. "Vielleicht kann die ungarische EU-Präsidentschaft die Debatte in diese Richtung lenken."

Als wichtigste Bestrebung der Sozialdemokraten auf europäischer Ebene in den nächsten Jahren sieht Andor den Abschluss eines "neuen Gesellschaftsvertrags". "Die soziale Dimension der europäischen Integration muss vertieft werden." Es sei auch wichtig, "den Green Deal zu retten", betont er. "Viele machen ihn für die Probleme verantwortlich, dabei ist er eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Man muss die Wirtschaft nachhaltig machen, um das Klima zu schützen."

In diesem Zusammenhang übt er Kritik an den Bestrebungen einiger EU-Länder um mehr Distanz zu China. "Die EU folgt den USA in eine wirtschaftliche Konfrontation mit China - und das ist nicht unbedingt von Vorteil." Gleichzeitig befürwortet er aber auch nicht Orbáns Kuschelkurs mit Peking - demonstriert erst jüngst beim Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Ungarn. "Orbán akzeptiert alles, und das um jeden Preis." Europa sollte eher einen "pragmatischen" Weg im Umgang mit China gehen, so der Wirtschaftsfachmann, und nennt dabei die Politik Deutschlands als Beispiel.

Etwas besorgt zeigt sich Andor bezüglich der zu erwartenden Zugewinne von Rechtspopulisten und Rechtsextremen bei der EU-Wahl im Juni. "Der Rechtsruck ist ein allgemeiner Trend in Europa. Die Mitte-Links-Parteien werden stabil bleiben, aber die Grünen und die Liberalen werden wohl geschwächt werden." Die Rechtspopulisten werden "stärker, aber sie werden nicht die Führung der europäischen Institutionen übernehmen", erwartet er.

Sorge bereitet dem Sozialisten diese Entwicklung vor allem deswegen, weil seiner Meinung nach die Rechtspopulisten nicht das Interesse aller in Europa im Blick hätten: "Sie sind nicht konstruktiv. Sie gehen nicht nach Brüssel, um etwas zu entscheiden, was im Interesse der gesamten Union steht. Stattdessen zielen sie auf das ab, was sie für das eigene nationale Interesse halten, womöglich auf Kosten anderer."

( Das Gespräch führte Petra Edlbacher/APA.)

Zur Person:

László Andor (geb. 1966) war 2010-2014 in der Europäischen Kommission unter Präsident José Manuel Barroso EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration. Zuvor saß der Wirtschaftswissenschafter 2005-2010 im Verwaltungsrat der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Andor ist für mehrere Universitäten und Think Tanks tätig. Er ist Vorstandsmitglied der Sozialistischen Partei (MSZP) in Ungarn.

ribbon Zusammenfassung
  • Viktor Orbán, Ungarns Premier, steht wegen seiner Nähe zu Putin politisch isoliert da, besonders auf europäischer Ebene.
  • Nach dem Austritt aus der EVP-Fraktion 2020 sucht Fidesz Anschluss bei den Europäischen Konservativen und Reformern sowie der Identität und Demokratie Fraktion.
  • Ungarn übernimmt ab Juli die EU-Präsidentschaft und könnte wichtige Impulse für die Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Europas setzen.