Erste 100 Tage Dreierkoalition waren überraschend harmonisch
Es war gewiss keine Liebesheirat zwischen den drei ideologisch in vielen Bereichen konträr gepolten Partnern, die sich erst im zweiten Anlauf und mangels Alternativen in Koalitionsverhandlungen zusammenraufen konnten. Dementsprechend gering waren die Erwartungen an die Dreierkoalition, deren Handlungsspielraum ohnehin eingeschränkt ist: Das desolate Staatsbudget muss saniert werden, ohne die schwache Konjunktur im dritten Rezessionsjahr abzuwürgen und die Zeit drängt.
Deshalb kam die Bundesregierung auch gleich ins Tun. Schon drei Tage nach ihrer Angelobung am 3. März wurden im Nationalrat erste große Brocken zur Budgetkonsolidierung beschlossen - inklusive Erhöhung von Bankenabgabe und Abschaffung der Bildungskarenz - sowie ein Miet-Stopp in Teilbereichen. Mit Letzterem wurde ein Kernanliegen der SPÖ erfüllt, dem folgten wenig später die von der ÖVP forcierte Pause für den Familiennachzug sowie von den NEOS vorgebrachte Maßnahmen im Bildungsbereich wie Orientierungsklassen, Handyverbot und Deutschförderung.
Es ist das Rezept "Leben und Leben lassen", nach dem die Dreierkoalition funktioniert. Jede Woche darf eine der Koalitionsparteien das Thema vorgeben, so der Versuch einer neuen Form von "Message Control". Überraschend gut klappt bisher die nach außen demonstrierte Einigkeit der drei Koalitionspartner, die sich nach dem Platzen der ersten Koalitionsgespräche Anfang des Jahres noch öffentlich allerlei Unfreundlichkeiten ausgerichtet hatten. Kein Wort der öffentlichen Kritik drang aus den wochenlangen harten Verhandlungen um die Einsparungen in den Ministerien nach außen.
Marterbauer punktet mit Pragmatismus
Personifiziert wird der stoische Pragmatismus durch Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP), der in die Rolle des Kanzlers eher zufällig rutschte, nachdem er die ÖVP nach dem Platzen der ersten Dreierkoalitions-Verhandlungen eigentlich als Juniorpartner in eine Koalition mit der FPÖ führen sollte. Mit Pragmatismus und Sachlichkeit überraschte auch der linke Ökonom Markus Marterbauer als Finanzminister - bei seiner Nominierung noch als SPÖ-Kampfansage an die Industrie verstanden. Er schaffte es binnen weniger Wochen sogar an die Spitze der Beliebtheitsskala in der Regierungsriege. Eine allgemeine Aufbruchstimmung auszulösen, gelang der Bundesregierung bisher allerdings nicht. Die Zustimmungswerte für die drei Parteien sind in den Umfragen seit ihrem Antritt relativ stabil mau.
In den Strudel negativer Berichterstattung geriet NEOS-Staatssekretär Josef Schellhorn wegen der Wahl eines luxuriöseren Dienstwagens. Das mitunter ungeschickte Auftreten des prominenten Gastwirts am politischen Parkett konnte die Harmonie der Dreierkoalition nach außen bisher aber ebenso wenig stören wie die Anklage gegen ÖVP-Klubchef August Wöginger oder der Alleingang von Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) auf EU-Ebene mit der Forderung nach einer veränderten Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Konfliktpotenzial gibt es künftig genug
Nur vertagt wurden bisher Meinungsverschiedenheiten um die Messenger-Überwachung. Im Regierungsprogramm einigte man sich auf eine "verfassungskonforme" Lösung. Der von der ÖVP vorgelegte Entwurf ist dies aus Sicht der NEOS jedoch nicht. Potenzielle Reibungsflächen für die Zukunft bergen auch andere Vorhaben wie die geplante Reform der Sozialhilfe. Herausfordernd für das Koalitionsgefüge dürften auch die weiteren notwendigen Einsparungen werden - spätestens wenn entschieden wird, welche der im Regierungsprogramm unter Budgetvorbehalt stehenden Herzensanliegen der Parteien realisiert werden können und für was das Geld nicht reicht.
Nagelprobe für die Dreierkoalition werden außerdem die von sämtlichen Experten dringlich eingeforderten Strukturreformen. Angesichts der inhaltlich zum Teil weit entfernten Positionen sind die Erwartungen allerdings gering. Insofern könnte die Regierung theoretisch auch hier überraschen.
Zusammenfassung
- Jede der drei Koalitionsparteien – ÖVP, SPÖ und NEOS – konnte in den ersten Wochen zentrale Anliegen umsetzen, wobei das Prinzip 'Leben und Leben lassen' und wöchentlicher Themenvorgabe für Einigkeit sorgt.