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Dolmetscher sehen sich vom Justizministerium ausgebootet

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Die Gerichtsdolmetscher sind nicht gut auf das Justizministerium zu sprechen, das per Erlass festgelegt hat, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften zukünftig über die dort angesiedelte Übersetzungsstelle und eine Vermittlungsagentur Übersetzungen in die deutsche Sprache bzw. aus dem Deutschen vornehmen lassen können. Für den Österreichischen Verband der Gerichtsdolmetscher (ÖVGD) betreibt das Ministerium damit eine "Entprofessionalisierung des Gerichtsdolmetscherwesens".

Der in der Vorwoche an den Obersten Gerichtshof (OGH), die Generalprokuratur, sämtliche Oberstaatsanwaltschaften und Oberlandesgerichte, das Bundesverwaltungsgericht und die Datenschutzbehörde verschickte Erlass stelle das Übersetzen "auf tragfähige, nachvollziehbare und einheitliche Beine", hieß es am Freitag auf APA-Anfrage aus dem Justizministerium. Der Anwendungsbereich des Erlasses beziehe sich "nur auf Ausnahmefälle", sagte eine Sprecherin. Voraussetzung sei, dass alle Beteiligten Verfahrenshilfe oder Gebührenfreiheit genießen bzw. es um Pflegschaftssachen Minderjähriger geht. Die Übersetzungsstelle unterstütze primär das Ministerium und sei nun auch als Anlaufstelle für die Justizbehörden gedacht, wenn diese dringenden Bedarf hätten. Für Übersetzungen in Strafverfahren komme die Übersetzungsstelle insofern nur in Ausnahmefällen in Betracht, als dafür kraft Gesetzes grundsätzlich zertifizierte Dolmetscherinnen und Dolmetscher heranzuziehen sind.

Die Gerichtsdolmetscher befürchten dagegen, dass sie mit diesem Erlass aus dem Geschäft gedrängt und ausgebootet werden. Die Übersetzungsstelle werde verstärkt auf eine Vermittlungsagentur zurückgreifen, die "einen Pool von ungeprüften Dolmetscherinnen und Dolmetscher" beschäftige, die "im Verhältnis zu den gesetzlichen Tarifen des Gebührenanspruchsgesetzes massiv unterbezahlt sind", wie es am Freitagnachmittag in einer Presseaussendung des ÖVGD hieß. Die Tätigkeit der gerichtlich zertifizierten Dolmetscherinnen und Dolmetscher sei im Sachverständigen- und Dolmetschergesetz, im Gerichtsorganisationsgesetz und im Gebührenanspruchsgesetz geregelt. Eine Umgehung durch Vergabe von Aufträgen der Gerichte an eine Agentur, die nicht näher bekannte Übersetzerinnen und Übersetzer beschäftigt, verstoße gegen geltendes Recht. "Wo die Aufträge landen und wie die Qualitätssicherung aussieht, ist nicht nachzuvollziehen. Der ÖVGD sieht diesen Aspekt als skandalös und verantwortungslos gegenüber der gesamten Gesellschaft, denn dies kann gravierende Auswirkungen auf die einzelnen Verfahren und deren Ausgang haben", stellte der Verband fest.

"Es geht nur ums Kostendrücken", vermutete ÖVGD-Vorstandsmitglied Elisabeth Frank-Großebner. Gerichtsdolmetscher würden fürs Übersetzen mit 1,5 Euro pro Zeile honoriert. Die Agentur, über die zukünftig das Übersetzen weitgehend abgewickelt werden soll, habe einer Kollegin 40 Cent angeboten. "Uns ist auch ein Fall bekannt, wo für eine Fachübersetzung ein Budget von 20 Euro angeboten wurde", schilderte Frank-Großebner im Gespräch mit der APA.

Was das Thema Sicherheit anlangt, betonte das Ministerium, die Kommunikation zu den Behörden erfolge "selbstverständlich weiterhin im Wege verschlüsselter E-Mails im gesicherten Netzwerk des Bundes". Die Vermittlungsagentur - nach Informationen der APA eine GmbH, die auf ihrer Homepage damit wirbt, weltweit über 50 Übersetzungsbüros zu betreiben - hätte sich nach einem europaweiten Ausschreibungsverfahren gegen vier andere Mitbewerber durchgesetzt und sei vertraglich zur Verschwiegenheit und Einhaltung aller Datenschutzbestimmungen verpflichtet und werde eine sichere digitale Plattform mit Verschlüsselungstechnologie einsetzen. Über diese könnten dann Aufträge, Unterlagen und Abrechnungen hoch- bzw. heruntergeladen werden. Die zu übersetzenden Texte würden in elektronischer und maschinenlesbarer Form übermittelt. "Der Gerichtsakt selbst bleibt somit bei Gericht, wodurch Verfahrensverzögerungen vermieden werden", erläuterte das Ministerium.

Der mit der Agentur abgeschlossene Rahmenvertrag schreibt vor, dass die von dieser eingesetzten Übersetzerinnen und Übersetzer die jeweilige Fremdsprache als ihre Muttersprache beherrschen. Sie müssen zudem eine mindestens dreijährige Berufserfahrung und eine mindestens einjährige juristische Expertise aufweisen, also mit den Rechtsmaterien vertraut sein. "Wie will das Justizministerium überprüfen, ob diese Leute wirklich ausreichend qualifiziert sind?", fragte sich Yasin Elbizanti, Gerichtsdolmetscher für die arabische Sprache. Im Gespräch mit der APA wies Elbizanti darauf hin, dass es im Dolmetscher-Verband ausreichende Fachkräfte für die anfallenden Übersetzungstätigkeiten gebe. Der Schritt des Ministeriums passiere "ohne Not" und verhindere, "dass sich gut ausgebildete und zertifizierte Kolleginnen und Kollegen etablieren können". Übersetzungen für Justizbehörden in laufenden Ermittlungsverfahren seien für viele die Haupteinnahmequelle. "Wenn das Schule macht, dass diese Übersetzungen anderweitig vergeben werden, ist die Konsequenz, dass diesen Kollegen die wirtschaftliche Grundlage wegbricht", sagte Elbizanti.

ribbon Zusammenfassung
  • Das österreichische Justizministerium hat per Erlass die Möglichkeit geschaffen, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften Übersetzungen über eine zentrale Übersetzungsstelle und eine Vermittlungsagentur abwickeln können.
  • Der Österreichische Verband der Gerichtsdolmetscher (ÖVGD) kritisiert diesen Schritt als 'Entprofessionalisierung', da die Agentur mit 40 Cent pro Zeile weit unter dem gesetzlichen Tarif von 1,5 Euro pro Zeile anbietet.
  • Trotz der Bedenken des ÖVGD hinsichtlich der Qualifikation und Qualitätssicherung der Übersetzer, betont das Ministerium die Sicherheitsmaßnahmen und die Einhaltung von Datenschutzbestimmungen durch die Agentur.