Wiener Galerist John Sailer 87-jährig gestorben
John Sailer wurde am 30. November 1937 in Wien geboren. Seine sozialdemokratischen Eltern mussten beim "Anschluss" im März 1938 Hals über Kopf das Land verlassen - ohne ihren wenige Monate alten Sohn, den sie zunächst in Obhut von Freunden zurückließen, der aber glücklich ebenfalls außer Landes gebracht werden konnte und in Frankreich zu seinen Eltern stieß. 1940 gelang der Familie an Bord des Ozeandampfers "Nea Hellas", eines der letzten Schiffe, die Europa verließen, die Flucht von Lissabon nach New York, wo der Sohn später die Rudolf Steiner Schule besuchte. Nach der gemeinsamen Rückkehr nach Wien 1947 fand er sich mit seinem Englisch problemlos im Umfeld der britischen und amerikanischen Besatzungsmächte zurecht. "Ich habe mich als Glückskind gefühlt und konnte mich problemlos in zwei Kulturen bewegen", erinnerte er sich.
Erstmals mit der Kunstszene in Berührung kam der junge Mann beim Autostoppen nach Italien, als er auf den für die US-Army tätigen Fotografen Yoichi Okamoto, den späteren offiziellen Fotografen von US-Präsident Lyndon B. Johnson, traf und von ihm erste Einladungen zu Galerie-Ausstellungen erhielt. Der selbst begeistert fotografierende Schüler wurde regelmäßiger Gast in der Galerie Würthle und der Galerie nächst St. Stephan und frequentierte Künstlerlokale wie die Adebar. "Das wurde prägend für mich - und wirkte sich nicht sehr positiv auf meine Noten aus."
Nach der Matura studierte er Jus und arbeitete als Journalist bei der Tageszeitung "Die Presse". Daneben knüpfte er Kontakte zu Künstlern, deren spätere Berühmtheit noch nicht absehbar war: die Exponenten der Wiener Gruppe rund um H. C. Artmann, Konrad Bayer und Gerhard Rühm, die Architekten Hans Hollein, Friedrich Kurrent, Johannes Spalt und Ottokar Uhl, der Filmemacher Peter Kubelka, die Maler Wolfgang Hollegha, Josef Mikl, Markus Prachensky, Arnulf Rainer, Friedensreich Hundertwasser und Maria Lassnig, die Bildhauer Walter Pichler und Bruno Gironcoli... "Das war eine eingeschworene Gemeinschaft, und ich hatte das große Glück, dazuzugehören. Damals konnte man erleben, wie die Avantgarde wirklich der Zeit voraus war, wie man Neuland kreiert hat. Keiner der Künstler hat damals von Geld gesprochen - im Gegensatz zu heute."
Thonet-Sessel als Grundstock für Kunsthandel
Sailers Einstieg in den Kunsthandel klingt abenteuerlich: Als 1963 bei einer wienweiten Dachbodenentrümpelungsaktion auch Bugholz-Sessel auf den Straßen zum Abtransport warteten, erinnerte sich der kunstinteressierte junge Mann an Kataloge der Firma Thonet. Rasch organisierte er ein flächendeckendes System zur Auffindung und Lagerung der Thonet-Sessel, verfügte bald über eine Sammlung von einigen hundert Stück und organisierte im Palais Liechtenstein eine erste Ausstellung, die in der Folge weiter nach Deutschland, Skandinavien, London und die USA ging. "Überall wurde ich zur Eröffnung eingeladen und lernte die wichtigsten Museumsdirektoren, Kuratoren und Sammler kennen. Das war der Grundstock meiner Kunsthandelstätigkeit. Zurück in Europa habe ich dann immer, wenn ich ein Bild gefunden habe, das in eine bestimmte US-Sammlung gepasst hätte, den Kontakt hergestellt und die Bilder nach Chicago oder New York verschifft."
Nachdem Sailers US-Kontakte durch seine Tätigkeit für das "Salzburg Seminar in American Studies" noch intensiviert wurden, wagte er 1974 schließlich die Gründung einer eigenen Galerie. "Fritz Wotruba hat damals eine halbe Stunde auf mich eingeredet: Mach das nicht! Aber am Ende hat er gesagt: Wenn du's aber machst, dann bin ich dabei. Damit war für mich alles klar. Die erste Einzelausstellung war dann ihm gewidmet." Erstes Quartier waren Garagenräume im Hanuschhof, die vom damaligen Bundestheater-Generalsekretär Robert Jungbluth leihweise zur Verfügung gestellt wurden. 1977 übersiedelte die Galerie an den Opernring, bereits mit Gabriele Wimmer als Geschäftspartnerin.
Zweites Intermezzo in New York
Sailer wurde in der Folge erster Präsident des Verbandes österreichischer Galerien moderner Kunst, Österreich-Repräsentant im International Advisory Board der Basler Kunstmesse und Berater der österreichischen Bundesregierung bei der Reorganisation der Bundesmuseen und dem Ankauf der Sammlungen Ludwig und Hahn für das Museum Moderner Kunst. 1989 übersiedelte er nach New York, wo er u.a. die Ulysses Gallery New York gründete und eine Arnulf Rainer-Ausstellung im Guggenheim Museum organisierte. "Ich habe gefunden, dass ich in Wien alles erreicht habe, was ich erreichen konnte. Es war eine hoch interessante, aufregende Zeit." Doch letztlich blieb Sailer in Wien verwurzelt und verbrachte einen Gutteil seiner Zeit mit Transatlantikflügen. "Ich habe fünf Jahre im permanenten Jetlag gelebt." 1994 kehrte er endgültig nach Wien zurück.
1996 war er an der Gründung der Österreichischen Friedrich Kiesler Stiftung und der Rückholung von Kieslers Nachlass nach Österreich beteiligt, 2000/1 war er Vorsitzender des Universitätsbeirates der Universität für Angewandte Kunst und danach noch gelegentlich als Kurator, Herausgeber, Berater und Autor tätig. Seine Funktions- und Nutzungsstudie für das 20er-Haus im Schweizergarten war wesentlich dafür verantwortlich, dass der Karl-Schwanzer-Bau umgebaut und nicht abgerissen wurde.
Zusammenfassung
- Der Wiener Galerist John Sailer ist am Mittwoch im Alter von 87 Jahren verstorben.
- Sailer wurde 1937 in Wien geboren und floh 1938 mit seiner Familie vor den Nationalsozialisten, bevor er 1940 nach New York emigrierte.
- 1974 gründete er die Galerie Ulysses, die zu einer wichtigen Institution der Wiener Kunstszene wurde.
- Als erster Präsident des Verbands österreichischer Galerien moderner Kunst und Berater der Bundesregierung prägte Sailer die österreichische Kunstlandschaft maßgeblich.
- Nach mehreren Jahren in New York, wo er unter anderem die Ulysses Gallery New York gründete, kehrte er 1994 endgültig nach Wien zurück und engagierte sich weiterhin in zahlreichen Kunstprojekten.