Vienna Humanities Festival startete mit Bauernkrieg-Vortrag
Die heute 69-Jährige berichtete im Duktus eines leidenschaftlichen (Zeit-)Reiseberichts samt dazugehörigen Dias von ihrer mehrjährigen Arbeit an ihrem Buch "Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525", das mittlerweile als Standardwerk gilt. "Der Bauernkrieg hat meine ganze wissenschaftliche Karriere überschattet", sagte sie und erzählte von ihren Forschungen in Deutschland. "Ich wollte, dass die Landschaft eine Rolle spielt in meinem Buch. Deshalb begann ich meine Recherchen mit einer Radtour auf der Route, die Thomas Müntzer genommen hat."
Dieser Priester und Revolutionär (1489-1525) war anfangs ein Anhänger und Mitstreiter Luthers, entfremdete sich diesem jedoch zunehmend, als es darum ging, die sich auf den Kern des Christentums berufende Theorie in die Praxis eines Aufstandes gegen die weltliche und geistige Obrigkeit umzusetzen. "Luther befürwortet, dass man gegen die Bauern einschreitet. Er ist von Anfang an auf der Seite der gesellschaftlichen Ordnung und braucht Unterstützung der Herren." Müntzer dagegen wird im Mai 1525 nach der Schlacht bei Frankenhausen gefangen genommen, gefoltert und hingerichtet.
Mit einer Landkarte belegte Roper eindrucksvoll die Dimension der Aufstände: Hunderte Burgen und über 600 Klöster wurden angegriffen, die Schätzungen über die Opferzahlen bewegen sich zwischen 70.000 und 100.000 - und dies bei deutlich geringerer Bevölkerungsdichte als heute. "Die Schlachten waren eigentlich Massaker. Als die Gegenreformation begann, war es praktisch eine Stunde Null."
"Warum riskierte man alles, was man hatte?"
Die Bauern hatten hohe Lehenszahlungen zu leisten oder waren überhaupt in Leibeigenschaft gezwungen und fühlten sich zu Recht ausgebeutet. Dass ihr Aufbegehren gegen die strenge Ordnung überhaupt einige Monate lang Erfolg haben konnte, sei auch auf die großen Vorräte in den Klöstern zurückzuführen, die geplündert wurden, so Roper. Nicht nur die Vorrats-, auch die Schatzkammern waren prall gefüllt und ermöglichten den Besetzern, sich Soldaten und Kanonen kaufen zu können.
Die Bauern umfassten damals 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung, schilderte die Historikerin und stellte die Frage: "Warum riskierte man alles, was man hatte?" Es habe drei Träume gegeben, die sich letztlich kaum von den späteren Schlagworten der Französischen Revolution unterschieden, nämlich "Freiheit, Bäuerliche Theologie und Brüderlichkeit".
Alle Menschen sind gleich - außer die Frauen
Man wollte vor allem eine Befreiung von der Leibeigenschaft und orientierte sich dabei u.a. an Luthers 1520 erschienener Denkschrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen". Man interessierte sich für die Ideen der Reformation und konzentrierte sich dabei auf die Schöpfung, die Gott allen Menschen zum gleichen Nutzen geschaffen habe, und forderte die gerechte Verteilung dieser Ressourcen inklusive Jagd- und Fischereirecht. Man schwor den Bruderschaftseid statt den Lehenseid und strebte eine faire Beziehung der Menschen untereinander an. Frauen waren davon allerdings ausgenommen. "Aber ohne ihre Unterstützung hätte es natürlich keinen Bauernkrieg gegeben", hob Roper hervor.
Nach der blutigen Niederschlagung der Aufstände im Mai 1525 "ging die Fackel nach Österreich und zu Michael Gaismair über - aber das ist eine andere Geschichte", meinte Roper. Diese Geschichte erzählt etwa der Historiker und ehemalige Staatsarchiv-Leiter Wolfgang Maderthaner am Donnerstag in Schladming zum Abschluss seines mehrtägigen Seminars über die Bauernkriege im Rahmen der "Dachstein-Dialoge", die dem Bauernkrieg ebenfalls einen Schwerpunkt gewidmet haben.
Zahlreiche Veranstaltungen im "Jubiläumsjahr"
"Das Interesse am Bauernkrieg war größer als wir uns in den kühnsten Träumen erträumen hätten können", resümierte Lyndal Roper das "Jubiläumsjahr" zum 500. Jahrestag des Bauernkriegs. "Ich war erstaunt, was es alles gegeben hat zu diesem Jubiläum - vom Mittsommernachtspicknick auf dem Schlachtfeld von Frankenhausen bis zur 'Bauernoper' von Yaak Karsunke und Peter Janssens in der Waldburg." Frappiert habe sie aber, dass Thomas Müntzer in der Erinnerungskultur Ostdeutschlands überall als früher Sozialrevolutionär gefeiert werde, während der von Luther Verteufelte im Westen gar nicht präsent sei: "Wir brauchen eine kritische Auseinandersetzung mit diesem außergewöhnlichen Mystiker und seinem Vermächtnis."
Das Vienna Humanities Festival steht heuer unter dem Motto "On Edge / Unbehagen" und bietet bis zum 28. September noch Keynotes der italienischen Philosophin Federica Gregoratto (am Donnerstag im RadioKulturhaus), der US-Historikerin Natasha Wheateley (am Freitag im Wien Museum) und des französischen Autors und Soziologen Didier Eribon (am Samstag im Volkstheater). Am Samstag und Sonntag wird dann in der Akademie der Bildenden Künste Wien mit Gästen u.a. aus Forschung, Universität und Literatur diskutiert. Das Publikum ist dabei ausdrücklich eingeladen, sich zu beteiligen. Es geht um KI und Klimaschutz, Wokeness und Cancel Culture, den Ukraine-Krieg, China, die USA und die Slowakei. Und um eine zentrale Frage: Kann der Humanismus im 21. Jahrhundert überleben?
(S E R V I C E - 8. Vienna Humanities Festival, bis 28. September, www.humanitiesfestival.at; Lyndal Roper: "Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525", Deutsch von Holger Fock und Sabine Müller, S. Fischer Verlag, 676 Seiten, 37 Euro, ISBN: 978-3-10-397475-1)
Zusammenfassung
- Das 8. Vienna Humanities Festival wurde mit einem Vortrag der australischen Historikerin Lyndal Roper eröffnet, die über den Bauernkrieg von 1525 referierte.
- Der Bauernkrieg gilt laut Roper als umfassendster Volksaufstand vor der Französischen Revolution, mit geschätzten 70.000 bis 100.000 Toten und Angriffen auf hunderte Burgen und über 600 Klöster.
- Die Bauern, die damals 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung stellten, forderten Freiheit, bäuerliche Theologie und Brüderlichkeit, wobei Frauen von der Gleichstellung ausgeschlossen waren.
- Roper schilderte ihre jahrelangen Forschungen, die in ihr Buch 'Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525' mündeten, und kritisierte die unterschiedliche Erinnerungskultur um Thomas Müntzer in Ost- und Westdeutschland.
- Das Festival läuft bis 28. September und widmet sich unter dem Motto 'On Edge / Unbehagen' aktuellen Themen wie KI, Klimaschutz und der Frage, ob Humanismus im 21. Jahrhundert überleben kann.